Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben".
"Es ist hart, einen Rechtsstreit zu führen. Es ist aber auch hart, trotz Verzichtserklärung der Erben einen Batzen Geld zu zahlen“, weiß Marion Bödder. Sie entschied sich fürs Erste – die juristische Auseinandersetzung.
Schneechaos und Testament
Die heute 49-jährige Landwirtin wurde vor vier Jahren Erbin des väterlichen Hofes, eines ehemaligen Milchviehbetriebs in Velen-Ramsdorf, Kreis Borken. Ihr Vater starb im September 2020 mit 73 Jahren. Er hatte seine älteste Tochter als eine von zwei Schwestern im Jahr 2005 per notariellem Testament als Alleinerbin und Erbin des Hofes gemäß der Höfeordnung eingesetzt. „Damals war dieses schwere Schneechaos. Es gab tagelang keinen Strom“, erinnert sich Marion Bödder. Sie studierte zu dem Zeitpunkt in Osnabrück Landwirtschaft. Weil sie schon immer auf dem ehemaligen Milchviehbetrieb des Vaters mitgearbeitet hatte und seit ihrer landwirtschaftlichen Ausbildung dort angestellt war, sprang sie auch jetzt ein und half dem Witwer auf dem Hof und im Haus. Seine Ehefrau und Mutter der beiden Töchter war 1982 mit nur 30 Jahren verstorben. Die Schwestern waren damals erst fünf und sechs Jahre alt.
„Während des Schneechaos erlitt Papa einen Herzinfarkt. Er lag lange im Krankenhaus und kam dann in die Reha“, berichtet Marion Bödder weiter. Weil der Landwirt gesundheitsbedingt längere Zeit ausfiel, übernahm die junge Landwirtin zunächst das Ruder auf dem 74 ha großen Betrieb. Gleichzeitig legte sie ihrem damals 58-jährigen Vater nahe, ein Testament zu machen. „,Du musst was machen, sonst kann es später Streit geben, wenn du nicht mehr da bist‘, sagte ich zu Papa.“
Zum einen ging es ihr darum, den Willen des Vaters, den Betrieb zusammenzuhalten, abzusichern, zum anderen darum, dass der unverheiratete Bruder des Vaters ein lebenslanges Wohnrecht auf dem Hof erhielt. Daraufhin wandte sich der Vater an einen Notar und ließ ein Testament beurkunden.
Auf Pflichtteil verzichtet
Im Jahr 2006 verkaufte der Landwirt die Kühe und die Milchquote. Die Flächen verpachtete er. Damit die Einnahmen aus dem Verkauf und der Pacht im Betrieb bleiben und nach seinem Tod in den Betrieb investiert werden könnten, entschloss sich der Vater 2006 mit seiner jüngeren Tochter einen Pflichtteilsverzicht zu vereinbaren (siehe Kasten). Der Landwirt wollte, dass sie auf den Pflichtteil verzichtete, sich in Bezug auf die Hofesabfindung entsprechend der Höfeordnung als abgefunden erklärte und einer Modifizierung im Hinblick auf Nachabfindungsansprüche gemäß der Höfeordnung zustimmte. Hierfür erhielt sie vom ihm eine einmalige Abfindungszahlung.
Pflichtteil: Warum verzichten?
Ein Pflichtteilsverzicht und eine Regelung der Hofesabfindung bei landwirtschaftlichen Betrieben gemäß Höfeordnung sind bei Erbangelegenheiten und Betriebsübertragungen interessant. Denn zunächst steht jedem Kind, falls es im Testament nicht berücksichtigt wird, per Gesetz der sogenannte Pflichtteil zu, bei Höfen zudem eine Abfindung. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Mit dem Pflichtteilsverzicht verzichtet das pflichtteilsberechtigte Kind also auf seinen gesetzlichen Pflichtteil am Erbe.
Das kann aus Sicht des Erblassers sinnvoll sein, etwa um den überlebenden Ehepartner bzw. Erben vor unvorhersehbaren Zahlungen zu schützen. Bei landwirtschaftlichen Betrieben geht es meist darum, eine Zersplitterung des Hofvermögens zu verhindern. Im Gegenzug für den Verzicht erhalten die Erben eine finanzielle Entschädigung. Ein Pflichtteilsverzicht und eine Abfindungsvereinbarung sind weitreichende Erklärungen. Sie müssen immer notariell in Anwesenheit aller Beteiligten beurkundet werden.
Diese Regelung musste von einem Notar beurkundet werden. Also setzte der langjährige Notar der Familie Bödder einen entsprechenden Verzichtsvertrag auf. Zur Unterschrift erschienen am 8. Februar 2006 die damals 30-jährige Hoferbin und ihre 29 Jahre alte Schwester. Weil der Vater in der Reha war, vertrat ihn bei der Beurkundung eine Mitarbeiterin des Notars. Er selbst genehmigte dies ein paar Tage später in separater Urkunde bei dem Notar. Das sollte viele Jahre später Folgen haben.
„Etwa ein halbes Jahr nach Papas Tod sprach meine Schwester mich auf das Erbe an“, erzählt Marion Bödder. Die Hoferbin und ihre Familie wohnten zwar noch nicht auf dem Hof, hatten aber angefangen, die teils renovierungsbedürftigen Gebäude mit dem Geld aus dem Hofvermögen zu sanieren.
Fehler im Vertrag
„Ich antwortete meiner Schwester, dass sie doch 2006 den Verzichtsvertrag unterschrieben hätte und meinte, sie solle sich anwaltlich beraten lassen.“ Das tat diese.
Marion Bödder bekam Post vom Anwalt ihrer Schwester. Der hatte den Formfehler im Vertrag gefunden. Nämlich, dass der Vater bei der Unterschrift zur Beurkundung nicht zeitgleich mit der Tochter und dem Notar anwesend war. „Damit war der Verzicht auf den Pflichtteil nach § 2347 BGB unwirksam. Der Schwester stand ein Pflichtteil von gut 100 000 € zu“, erläutert Henrik Nolte-Bödder. Der in der Kanzlei Frank Mensing in Gescher tätige Rechtsanwalt vertrat seine Frau Marion in der Sache bei Gericht. Denn die Hoferbin hat wegen der Forderung ihrer Schwester einen Schadenersatzanspruch gegenüber dem Notar bzw. dessen Vermögensschadenshaftpflichtversicherung.
Gericht gibt Hoferbin recht
Nachdem das Landgericht Münster die Ansprüche gegen den Notar für verjährt hielt, ging Marion Bödder vor dem Oberlandesgericht Hamm in Berufung (Az. I-11 U 148/22). „Die Verjährungsfrist von drei Jahren begann erst mit dem Ende des Jahres, in dem Papa gestorben ist, also 2020, und nicht 2006 beim vermasselten Notartermin“, begründet die Klägerin. Das sahen die Richter in Hamm auch so und sprachen ihr einen Haftungsanspruch in voller Höhe zu. Doch die Versicherung des Notars machte von der Revision zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe Gebrauch. Aber der wies die Revision rechtskräftig zurück (Az. IV ZR 263/23). „Wir können den Schaden damit endgültig bei dem Notar bzw. dessen Versicherung geltend machen“, sagt Henrik Nolte-Bödder.
Dreieinhalb Jahre Zeit und mehrere Zehntausend Euro kostete der Rechtsstreit. „Der Notar hat einen Fehler gemacht und seine Amtspflicht verletzt. Daher muss er für den Schaden haften und nicht der Hof oder ich“, resümiert Marion Bödder heute.