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Windenergie: Neue Berechnungsmethode könnte Genehmigungen vereinfachen

Die Probabilistik soll artenschutzfachliche Prüfungen bei der Genehmigung von Windparks vereinfachen. Wir sprachen mit einem Experten über Hintergründe und Vorteile.

Lesezeit: 6 Minuten

Das Thema Artenschutz ist gerade bei der Windenergie hochbrisant: Potenzielle Parkbetreiber müssen strenge Auflagen einhalten, um bei der Standortwahl und im Betrieb der Anlagen die Auswirkungen vor allem auf Greifvogelarten so gering wie möglich zu halten. Hierfür sind aufwendige Gutachten nötig, die viel Zeit und Geld kosten. Mit der sogenannten Probabilistik sollen Prozesse vereinheitlicht und Genehmigungen damit transparenter und schneller werden. Was damit genau gemeint ist und welchen Vorteil sich Windparkbetreiber und Naturschützer davon versprechen, erklärt im top agrar-Interview der Referent für Artenschutz im Bundesverband Windenergie, Moritz Röhrs.

Noch in diesem Jahr will die Bundesregierung eine probabilistische Methode zur Berechnung der Kollisionswahrscheinlichkeit von Brutvögeln bei Windenergieanlagen (WEA) an Land einführen. Was genau ist mit Probabilistik gemeint?

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Röhrs: Es ist eine Berechnungsmethode, um einschätzen zu können, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Ereignis eintritt. Im

Artenschutzbereich wurde die Probabilistik als wissenschaftliches Instrument entwickelt, um die Kollisionsgefahr von bestimmten Vogelarten mit Windenergieanlagen berechnen zu können. Als besonders gefährdet gelten hierbei Greifvögel wie verschiedene Adler- und Weihenarten sowie Milane. Die aktuell entwickelte Methode bezieht sich zunächst einmal nur auf den Rotmilan, soll später aber auch auf andere Arten angewendet werden.

Wie kann man ein Kollisionsrisiko berechnen?

Röhrs: Die Berechnung erfolgt auf der Grundlage eines Algorithmus und bezieht verschiedene Faktoren ein. Dazu gehören artspezifische Parameter wie Brut- und Flugverhalten, der Abstand vom Horst zur Windenergieanlage, Ausweichverhalten der Vögel sowie Typendaten der geplanten Windenergieanlagen wie Größe, Nabenhöhe oder Rotorblattunterkante. Am Ende soll eine sachgerechte Bewertung herauskommen, ob das Risiko so groß ist, dass beispielsweise Schutzmaßnahmen wie temporäre Abschaltungen ergriffen werden müssen.

Was ist daran neu bzw. das Besondere?

Röhrs: So eine Methode gab es bislang nicht in Deutschland. Anders als die Habitatpotenzialanalyse, die sich allein auf zweidimensionale Karten stützt und somit einen Großteil des Lebensraums eines Vogels nicht erfassen kann, bildet die Probabilistik diesen ab. Vieles wurde bislang von Gutachtern nach fachlichen Standards und persönlicher Erfahrung abgeschätzt. Das ist sehr subjektiv. Die Probabilistik soll einen besseren wissenschaftlichen Standard sowie mehr Genauigkeit und Objektivität in das Verfahren bringen.  Man könnte es fast als Quantensprung bezeichnen. Ich würde es mit der Wettervorhersage vergleichen: Die heutige Vermutung, dass ein bestimmter ein Abstand zum Horst pauschal zu einem höheren Tötungsrisiko führt, wäre dabei mit einer Bauernregel zu vergleichen, während die Probabilistik eher einem sehr genauen Berechnungsmodell auf Basis von Satellitendaten beruht.

Können Sie das an einem konkreten Beispiel erläutern?

Röhrs: Nehmen wir das Beispiel des Rotmilans: Wenn er in einem geplanten Windpark vorkommt, ist im Bundesnaturschutzgesetz festgelegt, dass ein sehr großer Bereich von 500 bis 1200 m rund um den Mastfuß geprüft werden muss. Es könnte also sein, dass in diesem großen Bereich eine Windenergieanlage nur mit kostspieligen Abschaltauflagen zulässig wäre. Heute müssen Gutachter dafür eine Habitatpotenzialanalyse erstellen. Darin fließen aber nur wenige Parameter ein. Dadurch ist das Bewertungsergebnis unpräzise und eindimensional.

Sind Umweltverbände in die Entwicklung eingebunden und wie stehen sie dazu?

Röhrs: Ja, Ende 2020 hat die Umweltministerkonferenz einen Arbeitsprozess angestoßen, um einen standardisierten Bewertungsrahmen für den Artenschutz zu entwickeln. In einer Arbeitsgruppe arbeiten verschiedene Landes- und Bundesbehörden sowie Naturschutz- und Energieverbände zusammen, koordiniert durch das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende. Daraus sind zwei Studien entstanden, die die Anwendbarkeit der Probabilistik im Windenergiebereich klar bestätigen.

Wie ist der aktuelle Stand der Umsetzung, was ist jetzt noch nötig?

Röhrs: Die jüngste Studie wurde im Juli veröffentlicht. Damit kann nun die Methode über eine Änderung im Bundesnaturschutzgesetz in das Rechtssystem überführt werden. Wichtig ist dann noch, dass die Berechnungsmethode transparent ausgestaltet wird, damit alle Beteiligten – Behörde, Betreiber oder Gutachter – nachvollziehen können, warum es zu einer bestimmten Entscheidung gekommen ist. Sie soll es ermöglichen, das Modell ohne statistische Vorkenntnisse zu bedienen.

Welche bestehenden Vorschriften werden dann überflüssig? Auf was können sich Anlagenbetreiber einstellen?

Röhrs: Derzeit gibt es neben dem Bundesnaturschutzgesetz in jedem Bundesland eigene Artenschutzleitfäden und Windenergieerlasse. Die probabilistische Methode soll helfen, diese unterschiedlichen Regelungen vereinheitlichen. Am Ende wird der Genehmigungsprozess schneller, günstiger und nachvollziehbarer werden. Ob wir unterm Strich weniger Klagen von Umweltverbänden sehen werden, lässt sich aber nicht absehen.  Denn diese richten sich häufig auf weitere Artvorkommen. Einen neu gefundenen Horst in der Nähe einer Windenergieanlage kann die Probabilistik nicht ausschließen.

Parallel zu den Vorhersagemodellen gibt es ja auch kamerabasierte Antikollisionssysteme, die die Windräder bei der Annäherung bestimmter Arten vorrübergehend abschalten. Wie bewerten Sie das?

Röhrs: Antikollisionssysteme sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz als wirksame Schutzmaßnahme anerkannt. Auf Bundesebene ist zurzeit jedoch nur ein Detektionssystem für den Rotmilan eines einzigen Herstellers anerkannt. Es kann in Einzelfällen sicherlich eine Lösung sein, um Projekte zu realisieren. Wir warnen aber davor, es pauschal und flächendeckend einzuführen. Denn neben den Kosten für die aufwendige Umrüstung kommen auch erhebliche Ertragseinbußen auf die Betreiber zu. Die Erzeugung erneuerbaren Stroms ist notwendig für die Dekarbonisierung unseres Energiesystems, daher sollten Abregelungen vermieden werden. Zur Reduktion des Tötungsrisikos gibt es zielgenaue und günstigere Methoden.

Welche meinen Sie?

Röhrs: Dazu gehören gezielte Abschaltungen in der Brut- oder Balzzeit oder bei der Bewirtschaftung. Wird z.B. Gras gemäht, jagen die Greifvögel vermehrt nach Kleinsäugern wie Mäusen und sind gefährdeter. Je nach Vogelart gibt es bestimmte Lebensphasen, in denen eine Abschaltung sinnvoll ist. Die Anlagenhöhe und die Länge der Rotorblätter spielen eine Rolle wie auch hohe Windgeschwindigkeiten, bei denen bestimmte Arten nicht mehr fliegen. Solche Parameter helfen, das Risiko für die Greifvögel, aber auch Ertragsverluste zu vermeiden. Das schützt die Arten, sorgt aber unterm Strich für mehr Stromerzeugung, als wenn ein Kamerasystem bei jeder Annäherung eines Vogels die Anlage pauschal herunterregelt.

Es gibt auch zahlreiche Studien aus dem Landkreis Paderborn, in dem es außergewöhnlich viele Rotmilane gibt. Die Population wächst dort stark trotz der wachsenden Zahl an Windrädern. Fließen solche Erfahrungen auch in die Bewertung von Modellen bzw. Genehmigungspraxis ein?

Röhrs: Es ist richtig, dass es zum Rotmilan umfangreiche Studien gibt. So haben Wissenschaftler in Hessen z.B. herausgefunden, dass Rotmilane den Windenergieanlagen zu 98 % sicher ausweichen und sogar durch drehende Rotoren fliegen können, ohne Schaden zu nehmen. Mit höher werdenden Anlagen sinkt das Risiko zudem, weil die Flughöhe der Tiere unterhalb der Rotorblattunterkante liegt. Diese Erkenntnisse können bei der Probabilistik berücksichtigt werden, indem man bestimmte Faktoren, wie den Abstand zum Horst, weniger stark gewichtet, wenn es dafür einen wissenschaftlich nachvollziehbaren Grund gibt. Auf diese Weise lassen sich Arten- und Klimaschutz noch stärker unter einen Hut bringen.

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