Prof. Dr. Timm Harder, PhD, ist Laborleiter am Institut für Infektionsmedizin der Christian-Albrechts-Universität in Kiel und seit eit 2006 Leiter des WOAH und Nationalen Referenzlabors für Aviäre Influenza am Institut für Virusdiagnostik, Friedrich-Loeffler-Institut, Insel Riems.
Herr Prof. Harder, jüngst gab es mehrere Fälle von Geflügelpest. Ist die Lage ernster als im vergangenen Jahr?
Harder: Bezogen auf die Fallzahlen ist die Lage derzeit ähnlich wie Ende 2023, allerdings bestimmen momentan andere Virusvarianten das Geschehen. Aufgrund der kalten und feuchten Witterung ist das Virus in den Ausscheidungen infizierter Wildvögel länger aktiv. Das Risiko eines Eintrags in Geflügelhaltungen bleibt hoch.
Die Geflügelbetriebe haben ein hohes Niveau in puncto Biosicherheit etabliert. Kann das bei einem massiven Auftreten des Erregers helfen?
Harder: Biosicherheit bleibt die wichtigste Maßnahme zum Schutz vor Einträgen des Virus aus der Umwelt. Allerdings wird aus den jüngsten Fällen deutlich, dass Biosicherheit allein keinen 100 %igen Schutz gewähren kann. Die Impfung als flankierende Maßnahme vor allem bei im Freiland gehaltenen Geflügel bleibt eine vielversprechende Option.
Sie führen am FLI auf der Insel Riems Impfversuche an Gänsen durch. Welche Ergebnisse gibt es bisher?
Harder: Die getesteten fünf Vakzine renommierter Hersteller zeigten eine gute Immunogenität. Zwei Vakzinen, die die höchsten Antikörpertiter induzierten, wurden an Tieren getestet, die dem Geflügelpestvirus H5N1 ausgesetzt wurden. Diese Vakzine vermittelten einen vollständigen Schutz gegen eine Erkrankung. Laufende Untersuchungen befassen sich jetzt mit der Frage, ob und inwieweit diese Vakzine auch einen Erregereinbruch bzw. eine -ausbreitung in einer geimpften Herde unterbinden oder minimieren können.
In Frankreich sind geimpfte Enten an Geflügelpest erkrankt. Was bedeutet das?
Harder: Die in Frankreich erkrankten Herden befanden sich mehrheitlich offenbar am Anfang einer Impfaktion oder die Impfung lag bereits zwei Monate zurück, sodass sich eine schützende Immunität noch nicht ausgebildet hatte bzw. bereits wieder abgeflaut war.
Die Kollegen in Frankreich leiten daraus ab, dass langlebigeres Geflügel eine weitere Boosterimpfung erhalten sollte. Die Impfung schützt die Tiere generell nicht sicher vor einer Infektion. Meist verlaufen solche Infektionen aber ohne klinische Erscheinungen. Aus diesem Grund sind Monitoringmaßnahmen mittels Tupfernahme und PCR erforderlich.
In den Niederlanden gilt bereits landesweit die Stallpflicht. Halten Sie das auch in Deutschland für ratsam?
Harder: Wir sollten versuchen, großflächige Aufstallungsgebote zu vermeiden. Die Geflügelpest tritt häufig regional sehr unterschiedlich auf. Momentan gibt es eine hohe Aktivität in den Küstenregionen sowie im Südosten des Landes. Andere Regionen sind nicht betroffen. Daher bleiben regionale Risikoabschätzungen der lokalen Behörden entscheidend für die Auswahl der Maßnahmen.