Schnell gelesen
Auf die Hygiene zu achten, ist nicht nur im Stall wichtig. Auch die eigene Seele braucht Pflege, um gesund zu bleiben.
Wer emotional nicht bei sich selbst aufräumt, läuft Gefahr, sich mit der Zeit überfordert, ohnmächtig und mutlos zu fühlen.
Wo liegt mein Fokus? Gibt es Zeiten für mich? Gehe ich meinen Weg? Diese Fragen können helfen, sich zu sortieren.
Wir sitzen mit einem Cappuccino in der Bauernküche; draußen auf dem Hof ist jede Menge Bewegung. Marlies (38)* und Dennis (43)* erinnern sich daran, wie sie letztes Jahr um diese Zeit gestrauchelt sind – aufgrund der Überforderung in Familie und Betrieb.
Sie haben drei Kinder im Alter von 4, 6 und 10 Jahren. Gemeinsam managen sie Familie und Betrieb, sind als Agraringenieurin und Landwirt beide vom Fach. Marlies sagt: „Mit den Kindern haben sich manche Dinge doch recht klassisch aufgeteilt.“ Dennis ergänzt: „Jeder von uns wusste, dass der andere auch eine Menge zu tun hat und fühlte sich mit den eigenen Aufgaben trotzdem allein gelassen. Wir haben gemerkt, dass wir unseren Eltern immer ähnlicher wurden. Sogar in den Punkten, die wir eher negativ im Gedächtnis hatten.“
Wenn die ruhigere Zeit nach der Ernte kam, wussten wir nicht mehr viel miteinander anzufangen und es knallte unweigerlich.“
Was bei den beiden passiert ist, geschieht häufig: Die Prägungen der Kindheit steuern unterbewusst einen Großteil des heutigen Verhaltens Erwachsener. „Wir wussten einfach, jetzt muss sich etwas ändern“, sagt Marlies. „Solange wir gemeinsam funktionieren mussten, konnten wir viel Stress verpacken und richtig was wegschaffen. Aber wenn die ruhigere Zeit nach der Ernte kam, wussten wir nicht mehr viel miteinander anzufangen und es knallte unweigerlich.“
Sich selbst hinterfragen
Wer etwas verändern will in Familie, Partnerschaft oder Betrieb, darf und muss sich bestimmte Dinge sowie Zusammenhänge im Vorhinein bewusst machen: Wie sind wir zu Hause mit Gefühlen umgegangen? Wie haben wir kommuniziert? Welche Rollenbilder haben unsere Eltern vorgelebt? Was gab es außer Arbeit?
Und: Den Ackerbauern ist klar, dass das Getreide ohne Unkräuter besser wächst. Für jede Schweinebäuerin versteht es sich von selbst, dass Hygiene im Schweinestall den Tierbestand gesund hält und die Leistungen der Tiere verbessert. Da liegt es doch auf der Hand, dass „Seelenhygiene“ dafür sorgt, dass es einem selbst gut geht.
Wer emotionale Altlasten anhäuft, vor lauter Stress keine Zeit für Gedankensortierung findet und mehr Energie abgibt, als er aufnimmt, steuert unweigerlich auf Überforderung, Ohnmachtsgefühle und Mutlosigkeit zu. Oft sendet der Körper Signale, muss aber weiter funktionieren, denn „sonst macht es ja keiner“. Und dieses „es“ ist häufig gar nicht definiert. Hier geht es um Zuständigkeiten, Vertretungsregelungen, Mitarbeitende zur Entlastung, Familienorganisation und Carearbeit.
Wenn der Frust zum Alltag wird
Marlies erzählt: „Durch die klassische Aufteilung, die sich bei uns eingeschlichen hat, habe ich mich viel um Kinder und Haushalt gekümmert. Ich war aber auch auf dem Betrieb als volle Arbeitskraft eingeplant. Zu sehen, dass das gar nicht möglich ist, und darüber ins Gespräch zu kommen, wer von uns was gerne macht und was lieber abgeben würde, hat uns einen großen Schritt weitergebracht.“ Zu wissen, „Das will ich nicht mehr“ ist ein wichtiger Übergang zu der Frage „Was will ich denn eigentlich“. Erst wenn das klar ist, lässt sich der Weg dorthin auch finden.
Gefühle sind gerade in der Landwirtschaft oft wenig salonfähig."
Am Ende des Tages geht es immer um das Gefühl. Gefühle sind gerade in der Landwirtschaft oft wenig salonfähig. Über sie wurde selten geredet. Schon in den Vorgenerationen sind alle ständig über ihre eigenen Grenzen gegangen: Es gab zu tun, das Wetter war gut, die Tiere hatten Hunger. Da musste gearbeitet werden. Da wurde nicht gefragt, was wer will.
Marlies und Dennis haben einen gemeinsamen Weg gefunden, aber auch jeweils einen eigenen. Marlies berichtet: „Ich habe beschlossen, meine eigenen Themen anzuschauen und habe mir eine Begleitung meines Vertrauens gesucht. Das ist bereichernd, aber auch herausfordernd, weil ich dabei mich, meine Gedanken, Gefühle und Handlungen reflektiere und Schritt für Schritt verändere, wo mir die alten Muster nicht guttun.“
Es gab zu wenig Kommunikation damals im Zuge der Hofübergabe und das hing irgendwie immer noch in der Luft."
Dennis ergänzt: „Das ist mir eine Spur zu krass. Ich lasse mir aber gerne von Marlies berichten und ziehe Impulse daraus. Ich gehe zum Beispiel wieder zum Tischtennistraining. Außerdem habe ich mich überwunden, mich mit meinen Geschwistern an den Tisch zu setzen und mit ihnen an einigen Punkten von vorne anzufangen. Es gab zu wenig Kommunikation damals im Zuge der Hofübergabe und das hing irgendwie immer noch in der Luft.“
Wichtige Fragen
Marlies berichtet von den vielen Fragen, die sie sich immer mal wieder stellt: „Stehe ich selbst auf meiner Prioritätenliste? Gibt es feste Zeiten nur für mich? Bin ich bereit, die Verantwortung für meine Gesundheit zu übernehmen und mich als Prio immer weiter hochzusetzen? Es wird kein anderer kommen und es für mich tun. Darf ich das? Es muss niemand mehr erlauben, ich bin erwachsen. “
Dennis gefällt die Spiegelei-Taktik: „Oft haben wir das Gefühl, die Dinge gar nicht mehr selbst in der Hand zu haben – die Bank, die Politik, das Qualitätssystem, die Saisonarbeit, alle zerren an uns. Dafür gibt es das gute Bild vom Spiegelei. Das Eigelb in der Mitte steht für den Bereich, den ich selbst beeinflussen kann. Es ist schlau, mich darauf zu konzentrieren und somit Selbstwirksamkeit zu erfahren. Das weit verlaufende Eiweiß steht für all die Dinge, auf die ich keinen Einfluss habe. Kann ich daran gerade etwas ändern? Nein? Dann ist es müßig, mich damit zu beschäftigen. Das raubt wertvolle Energiereserven.“
Die beiden wirken zufrieden. Immer wieder sucht ein Blick den anderen. „Ich bin froh, dass wir noch rechtzeitig die Kurve gekriegt haben. Es ist sicher nicht alles schick, aber wir gehen die Dinge an und sind wieder in Verbindung miteinander“, sagt Marlies und lächelt. Dennis nickt zur Bestätigung und schaut aus dem Fenster: „Draußen spielen unsere Kinder. Ich will ihnen nicht nur vorleben, wie harte Arbeit geht. Ich mache das meiste gerne, trotzdem wünsche ich es mir für sie anders.“
*Namen von der Redaktion geändert.
Alles schön und gut, aber wie kann man jetzt selbst ganz konkret anfangen? In Teil zwei dieses Artikels gibt Coachin Birgit Sparenberg dreizehn Fragen an die Hand, die man für einen ersten Schritt nutzen kann. Außerdem hat sie eine Checkliste mit 10 Ideen, um direkt und ohne großen Aufwand mit dem eigenen Stressmanagement zu beginnen. Beides finden Sie hier.