Am 2. Dezember ist es wieder soweit: Bei der vierten Ausgabe von "Politik trifft Praxis" diskutieren Landwirte aus ganz Deutschland gemeinsam mit Bundestagsvertretern über die drängenden agrarpolitischen Fragen beim Thema Pflanzenschutz. Die Debatte verspricht, besonders lebhaft zu werden, immerhin ist die Ampel Geschichte und der Wahlkampf hat längst begonnen. Anmeldungen sind an dieser Stelle noch möglich, die Plätze werden aber knapp.
Im Vorfeld von "Politik trifft Praxis" haben wir die teilnehmenden Politikerinnen und Politikern befragt, wie sie sich die Zukunft des chemischen Pflanzenschutzes und seiner Alternativen vorstellen. Im nun folgenden Interview skizziert der Grünen-Politiker Karl Bär seine Ideen.
"Ins Handeln kommen ist die Devise"
Eines der wichtigsten agrarpolitischen Projekte von Cem Özdemir war das Zukunftsprogramm Pflanzenschutz. Nach dem Ende der Ampel hat das jetzt auf absehbare Zeit keine Chance mehr auf Umsetzung. Aus Sicht der Grünen ein Verlust?
Karl Bär: Falls das Ministerium nicht mehr Grün geführt ist, wird sich nichts an der Realität ändern. Und die ist, dass Landwirt*innen mit einem starken Pestizideinsatz ihre eigene wirtschaftliche Grundlage, eine funktionierende Natur, abschaffen. Ich sehe nicht, warum sich eine andere Hausleitung nach der Zukunftskommission Landwirtschaft und diversen anderen Prozessen noch mal neu auf Lösungssuche machen müsste. Ins Handeln kommen ist die Devise.
Zentrales Ziel des Zukunftsprogramms Pflanzenschutz ist die Halbierung des chemischen Pflanzenschutzes bis 2030. Wie soll das ohne Zwang umgesetzt werden, zumal auch Cem Özdemir doch selbst nach eigenen Angaben lieber auf Kooperation setzen wollte?
Karl Bär: Einfacher wäre es, einen klaren Rahmen für alle zu schaffen, als mit Kooperation und tausendundeins Förderprogrammen etwas für die kommenden Generationen zu erreichen. Weniger Bürokratie wäre es noch dazu. Aber das wollen die Landwirtschaft und vor allem die großen Agrarkonzerne nicht.
Vertreter*innen der Landwirtschaft haben immer wieder betont, dass Kooperation der beste Weg zur Erreichung der Ziele bei der Biodiversität, besserer Effizienz und Reduktion von Schadstoffen ist. Der größte Teil der Umweltbewegung hat sich nach den Volksbegehren in Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg und Niedersachsen auf allerlei Runde Tische und die Diskussionen in der ZKL eingelassen. Auch Cem Özdemir setzt aus Überzeugung auf Kooperation.
Wenn sich herausstellt, dass der kooperative Weg nicht geeignet ist, die immer wieder beschlossenen und sinnvollen Ziele zu erreichen, werden ordnungspolitische Maßnahmen wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Wie rechtfertigen Sie die mögliche Gefährdung der Ernährungssicherheit durch die strikte Reduzierung von chemischen Pflanzenschutzmitteln, während der Druck auf Landwirte steigt, hohe Erträge zu liefern?
Karl Bär: Es wird unsere Ernährungssicherheit nicht gefährden, wenn weniger Gift in der Lebensmittelproduktion eingesetzt wird.
Es wird unsere Ernährungssicherheit nicht gefährden, wenn weniger Gift in der Lebensmittelproduktion eingesetzt wird.
Ganz im Gegenteil: Wer ignoriert, dass wir auf funktionierende Ökosysteme angewiesen sind, riskiert unsere Lebensmittelversorgung. Und falls Sie mir nicht glauben, zitieren ich dazu aus einem Bericht der ehemaligen UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung, Hilal Enver, an die UN-Generalversammlung: „The assertion promoted by the agrochemical industry that pesticides are necessary to achieve food security is not only inaccurate, but dangerously misleading." - Übersetzung: "Die von der agrochemischen Industrie vertretene Behauptung, dass Pestizide zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit notwendig seien, ist nicht nur unzutreffend, sondern auch gefährlich irreführend.“
Sind Sie bereit, eine potenzielle Preissteigerung von Lebensmitteln in Kauf zu nehmen, die durch den absehbaren Rückgang der Durchschnittserträge, Qualitätsprobleme und höhere Ertragsunsicherheiten entstehen könnte?
Karl Bär: Der beste Schutz vor Ertragsunsicherheit ist ein konsequentes Vorgehen gegen den Verlust der Artenvielfalt und für Klimaschutz. Gerade weil ich unsere Ernährungssicherheit und stabile Preise erhalten möchte, bin ich für die Agrarwende. Ich denke aber auch, dass Landwirt*innen für gute Produkte gutes Geld verdient haben. Als allererstes sehe ich da den Staat selbst in der Pflicht. Wir sollen bereit sein, Kinder oder Menschen in Krankenhäusern mit ökologischen und regionalen Zutaten zu versorgen. Das wäre gesünder und besser für Umwelt und Landwirtschaft.
Sie hatten in einem früheren Gespräch eine stärker pflanzenbetonte Ernährung als eine Voraussetzung für den Verzicht auf chemischen Pflanzenschutz genannt. Das würde einen massiven gesellschaftlicher Wandel bedeuten. Wie soll das gelingen?
Karl Bär: Da sind die normalen Leute zu Hause schon weiter als die Diskussion im politischen Berlin. In vielen Haushalten spielt Fleisch heute in der täglichen Ernährung eine kleinere Rolle.
In vielen Haushalten spielt Fleisch heute in der täglichen Ernährung eine kleinere Rolle.
Das ist keine politische Frage, sondern persönliche Vorliebe. Wir wollen, dass öffentliche Küchen regionales, vielfältiges Essen anbieten. Da wird Platz für Fleisch sein, aber die Zeiten, in denen man sich in den Kantinen zwischen Currywurst und Schnitzel Wiener Art entscheiden musste, gehören der Vergangenheit an.
"Die Wirtschaft hat kein Problem damit, sich umzustellen"
Welche Auswirkungen hätte eine solch drastische Umstellung auf die Wirtschaft, insbesondere auf Branchen, die stark von tierischen Produkten abhängen?
Karl Bär: Die Wirtschaft hat kein Problem damit, sich umzustellen. Das kann man inzwischen in jedem Supermarkt sehen. Sowohl die Ernährungswirtschaft als auch die Landwirtschaft können mit einem wachsenden Markt für vegetarische Produkte Geld verdienen. Die spannende Frage ist, wie sich die Wertschöpfungsketten gestalten. Als Politik sollten wir darauf hinwirken, dass Regionalität und Bio eine möglichst große Rolle spielen und wir sollten Transparenz für Verbraucher*innen erzwingen.
Zeitlicher Rahmen: Wie lange würde eine solche Umstellungsphase Ihrer Meinung nach realistisch dauern, und welche Übergangsstrategien sollen dabei helfen, negative Folgen zu minimieren?
Karl Bär: Wichtig ist vor allem, dass es endlich eine Entscheidung gibt, in welche Richtung es gehen soll. Die muss dann politisch konsequent durchgezogen werden, in der Agrarpolitik ebenso wie in der Ernährungs-, Umwelt- und Handelspolitik. Die Kombination aus einer klaren Entscheidung und einem Umstellungszeitraum von 10 oder 15 Jahren führt zu einer Umstellungsphase, mit der Landwirt*innen arbeiten können. Die Alternative ist doch, dass es weitergeht wie bisher und die Landwirtschaft zerrieben wird zwischen Preiskampf, Verbraucherwünschen, gesellschaftlichen Debatten, den Folgen des Klimawandels und einer Politik, die sich zu Gunsten der Agrarindustrie gegen Veränderungen sperrt.
Mit welchen agrarpolitischen Botschaften gehen die Grünen in den vorgezogenen Wahlkampf?
Karl Bär: Für uns steht im Mittelpunkt, unsere Ernährung vor kommenden ökologischen Katastrophen abzusichern. Dazu gehören der Kampf gegen den Klimawandel und den Verlust von Biodiversität genauso wie die Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel. Das klappt am besten mit agrarökologischen Methoden und regionalen Wertschöpfungsketten. Dazu haben wir auch in dieser Regierung gearbeitet und werden das auch weiter stark tun.
Im langfristigen Interesse der Landwirtschaft setzen wir uns dafür ein, dass es eine funktionierende Natur auf dem Land gibt, das Trinkwasser sauber bleibt, die Landwirtschaft sich vor den Folgen des Klimawandels schützen kann, und arbeiten gegen die Marktkonzentration bei den Lebensmittelverarbeitern und -einzelhändlern. Das heißt, keine Patente auf Saatgut, weniger Pestizide, weniger Dünger und verlässliche Absatzmärkte in der Region statt auf dem Weltmarkt.
Vielen Dank für das Gespräch!