Die bundesweiten Bauernproteste im vergangenen Jahr brachten zigtausende Landwirte auf die Straßen, sorgten über viele Wochen für Schlagzeilen und Diskussionen. Aber was haben sie am Ende gebracht, hat sich seither so mancher Landwirt sicher gefragt. Der Agrardiesel wird immer noch abgeschafft und das Entgegenkommen der damaligen Ampel mit grünem Kennzeichen und „Entbürokratisierung“ blieb ebenfalls überschaubar. Nach Überzeugung der Bestsellerautorin Juli Zeh haben die Agrardemos aber an ganz anderer Stelle Wirkung gezeigt: In den Köpfen der landfernen Bevölkerung.
Verzerrtes Bild von der Landwirtschaft in den Städten
Zeh hat die Bauernproteste 2024 als etwas sehr Positives empfunden, „weil ich glaube, dass es bei vielen Leuten angekommen ist, dass es noch Bauern gibt, dass Deutschland noch eine Landwirtschaft hat und dass sie vital ist“. Wie Zeh bei der Mitgliederversammlung der Freien Bauern am Mittwoch im Brandenburgischen Schönwalde sagte, gibt es in den „städtischen Blasen“ kaum noch ein Bewusstsein für die Existenz und auch die Bedeutung der Landwirtschaft. Tauchen Landwirte hier in politischen Diskussionen auf, dann oft genug die Rede von „durchsubventionierten Renitenten und Störenfrieden“, die kein Verständnis für die wichtigen Herausforderungen mitbrächten.
„Das ist oft eine Haltung, die von Ignoranz geprägt ist, von mangelnder Wertschätzung, von Wegkucken“, erläutert Zeh den Blickwinkel mancher Städter auf die Agrarwirtschaft. Das sei natürlich fatal, denn die Landwirtschaft sei nun einmal so wichtig als Arbeitgeber und Existenzsicherer für die Zukunft. Zeh glaubt aber, dass die Proteste der Landwirte im Bewusstsein der Bevölkerung vieles zum Besseren gewendet haben.
Jung: Framing hat viel kaputtgemacht
Der Politikreferent der Freien Bauern, Reinhard Jung, hat da zum Teil eine andere Beobachtung gemacht. Er verweist auf das mediale Framing, dass viele Landwirte im vergangenen Jahr unter Generalverdacht stellte. Da sei plötzlich von „Wutbauern und rechtem Rand“ die Rede gewesen, was viel Motivation gekostet habe.
Umso dankbarer sei er gewesen, als Zeh in einer Talkrunde damals deutlich gemacht habe, dass die Demos aus ihrer Sicht unabhängig von einzelnen Forderungen ein Paradebeispiel für Meinungsäußerung und eine Art „Wiederbelebung dieser Ursuppe von Demokratie“ seien. Denn die Menschen hätten ihre demokratische Berechtigung und ihre Mitsprachemöglichkeit neu entdeckt hätten. Das habe das Zeug zu einem „Vitaminbooster für das demokratische Miteinander“.
Vorurteile aufbrechen
Zeh sieht das immer noch so und wirbt dafür, dass die Landwirte weiter in diese Bresche schlagen – nicht unbedingt über neue Bauerndemos, denn die seien nicht beliebig wiederholbar. Nötig seien auch Fürsprecher in den urbanen Räumen, die Vorurteile wie von den Bauern als „Subventions-Schluckspechte“ aufbrechen. Die Klischees über die Landwirtschaft resultieren für die Autorin auch oft aus Unkenntnis. Das Bild der Bürger von der Landwirtschaft bewege sich heute oft zwischen Streichelzoo und 19. Jahrhundert. Da klaffe die Realität und die Wahrnehmung wahnsinnig auseinander.
Laut Zeh hat das auch eine politische Komponente, denn nach ihrer Wahrnehmung spielt das eine große Rolle für „das offene Ohr und die Zuwendung der Politik“. Deshalb muss nach Auffassung von Zeh in der Bevölkerung wieder ein anderes - modernes und positiv besetztes - Bild von der Landwirtschaft entstehen. Dabei sei der Landwirt schon heute neben der Nahrungsmittelerzeugung häufig das letzte Zentrum von dörflicher Kultur. „Das sind doch positive Faktoren“, so die Autorin. Das passiere aber meist unter dem Radar und dann werde beklagt, dass sich Stadt und Land nicht mehr verstehen.
Stadt-Land-Graben im Roman thematisiert
Genau dieses Thema hat Zeh zusammen mit Simon Urban in dem Roman „Zwischen Welten“ beleuchtet. Darin wird die Kluft zwischen Stadt und Land anhand zweier ehemaliger Studienfreunde geschildert. Theresa, Milchbäuerin in Brandenburg, und Stefan, stellvertretender Chefredakteur einer Hamburger Zeitung, treffen sich nach zwanzig Jahren zufällig wieder. In neun Monaten tauschen sie sich digital über Themen wie Klimapolitik und gesellschaftliche Veränderungen aus. Während Stefan für Klimaschutz einsteht, kämpft Theresa mit Agrarbürokratie und fühlt sich vernachlässigt. Der Roman zeigt die Entfremdung der Charaktere, die trotz ähnlicher Ziele über die Wege streiten. Am Ende eskaliert es: Stefan wird Chefredakteur, während sich Theresa radikalisiert und an Protesten beteiligt.
Laut Zeh wollten sie und Urban damit zeigen, dass es zum Thema verschiedene, aber gleichberechtigte Perspektiven gibt. Das Buch soll ihr zufolge Mut machen, denn es zeige, dass es außerhalb der städtischen und journalistischen Blasen noch andere Lebenswelten und Meinungen gebe. Und die Reaktionen auf den Roman zeigten, dass auch die Leute mit anderen Meinungen davon angesprochen werden und bereit seien, sich mit den Problemen von Landwirtinnen wie Theresa auseinanderzusetzen und mitzufühlen. „Deswegen würde ich eben nicht sagen, es ist alles verloren“, so Zeh.
Steter Tropfen höhlt den Stein
Jung gibt aber zu bedenken, dass diesem gegenseitigen Verständnis doch oft reale Grenzen gesetzt sind. Er habe beispielsweise mit Greenpeace-Vertreter lange und gut über die Tierhaltung gesprochen. Als es aber um die ökonomischen Aspekte gegangen sein, habe er irgendwann in „leere Augen“ geblickt und der Dialog habe dann festgesteckt, berichtet Jung.
Das hat nach Auffassung von Zeh auch damit zu tun, dass heute viele Themen ideologisch aufgeladen sind und sachliche Debatten so oft verhindert werden. Sie nennt es „das Moralisieren der Politik“. Darauf genauso zu reagieren, mache aber alles noch schlimmer, meint die Bestsellerautorin. Sie rät dazu, den Vorurteilen und „ideologischen Wänden“ immer wieder die sachlichen Botschaften entgegenzusetzen, nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein“. „Nur so kann der Laden funktionieren, den wir Demokratie nennen“, sagt Juli Zeh.