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topplus Agrarökonom Feindt

Bauernproteste waren „Wendepunkt in der Agrarpolitik“

Prof. Peter Feindt bezeichnet die Bauernproteste 2023/24 als Wendepunkt in der europäischen Agrarpolitik, da sie die Kopplung von Direktzahlungen an Umweltauflagen aufgebrochen haben.

Lesezeit: 7 Minuten

Peter Feindt, Professor für Agrar- und Ernährungspolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin, über die Auswirkungen der Bauernproteste, die Bedeutung landwirtschaftlicher Themen bei der Bundestagswahl und die Nominierung des bayerischen Bauernpräsidenten Günther Felßner als CSU-Kandidat für das Amt des Bundeslandwirtschaftsministers.

AgE: Herr Feindt, die Ampelkoalition ist zerbrochen. Im Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Ist die Ampel auch an den Bauern gescheitert, die im vergangenen Winter zu Zehntausenden auf die Straße gegangen und gefahren sind?

Feindt: Die Bauernproteste im Winter 2023/24 haben zum Gesamterscheinungsbild einer zerstrittenen, kurzfristig agierenden Koalition beigetragen. Zunächst wurden ohne Vorwarnung Sparmaßnahmen im Agrarsektor verkündet. Diese wurden dann jedoch in Teilen wieder schnell zurückgenommen. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck einer Regierung, die sich im Belagerungszustand befindet. Insofern waren die Bauernproteste zwar nicht der entscheidende Sargnagel. Aber sie haben das defensive Bild der Ampelkoalition deutlich geprägt.

Was bedeuten die Bauernproteste für die künftige Agrarpolitik – in Deutschland und in der EU?

Feindt: Die wichtigsten Wirkungen gab es auf der europäischen Ebene. In Brüssel legten die Proteste zwischenzeitlich die komplette Innenstadt lahm. Das hat wesentlich dazu geführt, dass eine Reihe von Umweltauflagen bei den Direktzahlungen ausgesetzt wurden. Im Kern war das eine Umkehr der agrarumweltpolitischen Entwicklung der letzten 20 Jahre. Seit 2005 wurden die Direktzahlungen schrittweise an mehr und mehr Umwelt- und Tierschutzauflagen geknüpft.

Green Deal ist in die Defensive geraten

Damit ist nun Schluss?

Feindt: Diese Verbindung ist aufgebrochen worden. Die Botschaft ist nun wieder, dass die Betriebe die Zahlungen vor allem dafür erhalten, dass sie Flächen bewirtschaften und Gesetze einhalten. Auch im Rat wird von vielen EU-Mitgliedsstaaten ein Fokus auf die landwirtschaftliche Produktion und die Einkommen gelegt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist darum bemüht zu betonen: „Der Green Deal ist nicht tot.“ Aber diese Agenda ist in die Defensive geraten. Und der letzte Winter war dafür eine Wasserscheide.

Ist der gewachsene politische Stellenwert der Landwirtschaft in der Bundesrepublik von Dauer?

Feindt: Ich halte das für ein vorübergehendes Phänomen. Landwirtinnen und Landwirte sind als Wählerklientel umkämpfter geworden. Die traditionelle Bindung der Landwirtschaft an die konservativen Unionsparteien hat sich gelockert. Und daher geht es im Moment vor allem für die Union darum, diese Wählergruppe stärker zu adressieren.

Im Wahlverhalten gibt es große Unterschiede zwischen der städtischen und ländlichen Bevölkerung: Auch bei Landwirtinnen und Landwirten, die sonst klar im christlich-konservativen Lager zu verorten waren, erfährt die AfD mittlerweile überdurchschnittliche Zustimmung. Wie bewerten Sie das?

Feindt: Nach den Daten, die ich kenne, ist es nicht so, dass Landwirte besonders stark AfD wählen. Aber sie liegen mit in dem Trend, dass wir durch alle Bevölkerungsgruppen hinweg verstärkten Zuspruch zur AfD sehen. Während der organisierte Berufsstand noch stark mit den Unionsparteien verbunden ist, beobachten wir bei den Landwirten den gleichen Trend wie in der allgemeinen Bevölkerung: weniger Stammwähler und mehr Menschen, die ihre Wahlentscheidung kurzfristig und situativ treffen.

Ist diese geringere Parteibindung von Landwirtschaft an CDU und CSU denn revidierbar?

Feindt: Wenn wir uns die Ergebnisse der Wahlforschung ansehen, dann zeigt sich dort seit Langem, dass sich traditionelle Milieubindungen auflösen. Früher war klar, dass Leute, die katholisch, konservativ und im ländlichen Raum sind, höchstwahrscheinlich auch Union wählen. Das ist nicht mehr so. Im Agrarbereich kommt hinzu, dass auch die Bindungswirkung des Deutschen Bauernverbandes nachlässt.

Was meinen Sie?

Feindt: Es gibt viel Unzufriedenheit, ob zu Recht oder zu Unrecht, mit dem Bauernverband. Und es gibt vermehrt Konkurrenzorganisationen. Das sind zum einen andere Landwirtschaftsverbände wie etwa der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter  oder die Ökoverbände. Und seit 2019 beobachten wir das Phänomen von „Land schafft Verbindung“. Das ist ein neuer Akteurtyp – ein Netzwerk, in dem vor allem über soziale Medien kommuniziert wird, dem es aber an Organisationsstrukturen mangelt, mit denen man als Verhandlungspartner in Kontakt treten könnte. Der Bauernverband versucht hingegen, durch einen hohen Organisationsgrad als starker Verhandlungspartner dazustehen.

Was folgt daraus?

Feindt: Auf der einen Seite will der Bauernverband mobilisieren, auf der anderen Seite aber auch verhandeln. Man will ein seriöser Gesprächspartner im politischen Berlin sein. Und da agiert „Land schafft Verbindung“ natürlich ganz anders: Im Fokus steht der Protest und nicht, sich auf Kompromisse einzulassen.

Zustimmung zur repräsentativen Demokratie ist rückläufig

Das erinnert an gewisse politische Parteien.

Feindt: Ja. Einige Parteien versuchen, über Anti-Establishment-Botschaften, Erfolg zu generieren. Und das kommt zunehmend bei vielen Menschen an. Denn die Zustimmung zur repräsentativen Demokratie, in der laufend über Kompromisse verhandelt werden muss, geht zurück. Viele bevorzugen offenbar eine Art aktionsorientierte Demokratie, in der ein angeblicher Volkswille möglichst unmittelbar umgesetzt werden soll. Und das sind auch Vorstellungen, die man bei vielen dieser Bauernproteste zum Teil beobachten konnte.

CSU-Chef Markus Söder hat den bayerischen Bauernpräsidenten Günther Felßner als Kandidaten für das Amt des Bundeslandwirtschaftsministers nominiert. Wie ordnen Sie das ein?

Feindt: Erstens ist das ein Signal an CSU-Wähler, die drohen, an die Freien Wähler abzuwandern. Zweitens scheint sich die Agrarpolitik wieder zur klassischen Klientelpolitik zurückzuentwickeln. Wenn der Minister direkt aus der größten Interessensvertretung des Berufsstandes kommt, weckt das Besorgnisse, ob das Agrarministerium zum verlängerten Arm des Deutschen Bauernverbandes werden könnte.

Politisch passt das zu den Aussagen von Markus Söder, der die Grünen als Hauptgegner im Wahlkampf ausgerufen hat. Und Günther Felßner steht deutlich für eine Agenda, die sagt: Es ist mit den Umweltauflagen genug und wir brauchen wieder eine produktions- und einkommensorientierte Agrarpolitik.

Agrarpolitik könnte finanziell unter Druck geraten

Ist das erfolgversprechend angesichts des enormen Spardrucks im Bund und den steigenden Herausforderungen für die Europäische Union?

Feindt: Das meiste Geld kommt aus Brüssel. Es ist im Moment schwer, abzusehen, welchen Stellenwert die Gemeinsame Agrarpolitik ab 2028 noch haben wird. Womöglich wird die Agrarpolitik finanziell unter Druck geraten. Und damit stellt sich die Frage, wie die großen Transformationen bei der Klimawandelanpassung, dem Ressourcenschutz und der Biodiversität finanziert werden sollen. Dann kommen wir in starke Verteilungskämpfe zwischen einkommensstützenden Maßnahmen und den Maßnahmen, die diese Transformation unterstützen sollen.

Und was heißt das auf nationaler Ebene?

Feindt: Man kann aus Deutschland heraus nur versuchen, in Brüssel mitzuverhandeln. Die fiskalischen Spielräume für nationale Unterstützungsprogramme werden relativ gering sein. Das, was dann noch als politische Handlungsfähigkeit übrig bleibt, ist vor allem von symbolischer Art. Zum Beispiel, dass man einen Diskurs pflegt, der in der Landwirtschaft gut ankommt. Und natürlich alles, was unter dem Stichwort „Bürokratieabbau“ läuft. Aber auch da ist man in Deutschland eingebunden in bestimmte Berichtsanforderungen auf der europäischen Ebene. Da sind die Möglichkeiten wahrscheinlich gar nicht besonders groß. Man wird sehen, ob die Erwartungen, die nun geschürt werden, auch erfüllbar sind.

CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat angekündigt, die steuerliche Begünstigung für den Agrardiesel wieder einzuführen. Auch die Zukunftskommission Landwirtschaft hat sich für eine Besteuerung auf dem europäischen Durchschnittswert ausgesprochen. Eine berechtigte Forderung?

Feindt: Das ist nachvollziehbar. Denn zum einen ist der Maschinenpark nun einmal bereits da und man kann nicht kurzfristig auf andere Kraftstoffe umsteigen. Und zum anderen wollen wir keine Wettbewerbsnachteile im europäischen Binnenmarkt.

Was mir dabei aber fehlt, ist eine Perspektive darüber, wie wir zu nachhaltigeren Antriebsformen kommen. Denn die Subventionierung fossiler Kraftstoffe steht im Widerspruch zu den nationalen Nachhaltigkeitszielen.

Wünschenswert wäre ein Paket, wo auf der einen Seite Erleichterungen unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbssituation stehen. Und auf der anderen Seite setzt man ein Programm auf, mit dem man über einen Zeitraum von zehn oder fünfzehn Jahren zu Antriebsformen mit Erneuerbaren kommt.

Gesamte Sektor in enormer Transformation

Ist für Sie die Wiedereinführung der Agrardieselrückvergütung Symbolpolitik?

Feindt: Natürlich ist es bares Geld für die landwirtschaftlichen Betriebe. Aber es wird nicht grundsätzlich die Ertragssituation in der Landwirtschaft verändern. Was kaum angesprochen wird, ist, dass sich der gesamte Sektor in einer enormen Transformation befindet. Etwa durch neue Technologien, die die Märkte verändern. Aber auch durch die Nachhaltigkeitsanforderungen, die ja nicht einfach verschwinden.

Das sind riesige Fragen, die eine Weiterentwicklung der Produktionsmethoden erfordern. Es wird aber der Eindruck erweckt, dass alles so bleiben könne, wie es ist, indem man die Menschen vor diesen Umbrüchen schützt. Eine verantwortungsvolle Politik würde die vorhandenen knappen Ressourcen dazu einsetzen, die Betriebe an die Anpassung an diese Veränderungen bestmöglich zu unterstützen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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