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topplus FAO-Direktor im Interview

Weniger Kühe und Schweine in Europa schaden dem Klima

Aus Sicht der FAO müssen wir in der Nutztierhaltung effizienter werden. Nur so können wir 10 Mrd. Menschen ernähren.

Lesezeit: 9 Minuten

Dr. Thanawat Tiensin, FAO-Direktor für Tierproduktion und Tiergesundheit, und Dr. Dominik Wisser, FAO-Systemanalyst, fordern im top agrar-Interview mehr Effizienz in der Nutztierhaltung. Nur so lassen sich einerseits die Treibhausgasemissionen senken und andererseits 10 Mrd. Menschen ernähren.

top agrar: Dr. Tiensin, Kritiker sehen in der intensiven Nutztierhaltung den Hauptgrund für den Anstieg der Treibhausgasemissionen. Wie beurteilt die FAO die Rolle der Tierhaltung?

Tiensin: Die Nutztierhaltung trägt natürlich wie andere Wirtschaftszweige auch zum Klimawandel bei. Der Tierhaltung die Hauptschuld für den menschengemachten Klimawandel zu geben, ist aber völlig überzogen.

Laut unseren Berechnungen war der Nutztiersektor im Jahr 2015 weltweit für etwa 6,2 Gt (Gigatonnen) CO2-Äquivalente verantwortlich, das entsprach etwa 12 % der globalen Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen). Berücksichtigt sind in der Berechnung die vor- und nachgelagerten Emissionen, die unmittelbar mit der Nutztierhaltung in Verbindung stehen. Dazu zählen u.a. Emissionen, die bei der Dünger- und Pflanzenschutzmittelherstellung oder bei der Verarbeitung und Verpackung von Lebensmitteln entstehen.

Wenn wir nicht Gegensteuern, landen wir im Jahr 2050 voraussichtlich bei über 9 Gt, ein Plus von 46 %. Einen deutlichen Zuwachs erwarten wir insbesondere bei den Methanemissionen. Wo wir aktuell liegen, können wir leider nicht sagen, da die letzten Erhebungen aus dem Jahr 2015 stammen.

Sicher sagen können wir aber, dass die Emissionen für die gesamte Nahrungsmittelproduktion zur Zeit etwa 30 % der menschengemachten Emissionen ausmachen.

Wo liegt die Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Sektoren?

Tiensin: Der Vergleich mit anderen Sektoren ist schwierig weil die offiziellen Statistiken, wie z.B. die vom Weltklimarat (IPPC), Emissionen in anderen Kategorien zusammenfassen. Die Emissionen aus der Nutztierhaltung beispielsweise sind bei den Berechnungen des IPPC teilweise im Energie- und Transportsektor enthalten.

Warum rechnen Sie mit einem weiteren deutlich Anstieg der Emissionen aus der Nutztierhaltung?

Wisser: Der Anstieg der THG-Emissionen aus der Nutztierhaltung ist zuallererst eine Folge des globalen Bevölkerungswachstums, der zunehmenden Urbanisierung und dem steigenden Einkommen in Schwellenländern wie Indien, China usw.

Bis zum Jahr 2050 werden wir auf der Erde fast 10 Mrd. Menschen ernähren müssen. Wir gehen davon aus, dass der weltweite Gesamtbedarf an tierischem Eiweiß bis zum Jahr 2050 im Vergleich zum heutigen Niveau um mindestens 20 % steigt. In Ländern mit niedrigem und mittleren Einkommen teils um bis zu 100 % - vor allem in Afrika. Dementsprechend wachsen auch die Tierbestände.

In absoluten Zahlen ausgedrückt gehen wir davon aus, dass die Nachfrage von rund 77 Mio. t auf knapp 90 Mio. t steigt, ein Plus von 16 %. Besonders stark wird der Anstieg beim Fleisch sein, wir rechnen mit rund 22 % Zuwachs. Bei Milch gehen wir von plus 14 % aus und bei Eiern von einer Nachfragesteigerung von 15 %.

Welchen Anteil hat die globale Nutztierhaltung an den globalen Treibhausgasemissionen - aufgeschlüsselt nach Rindern, Schweinen und Geflügel?

Wisser: 62 % der Emissionen stammen aus der Lieferkette von Rindern, 14 % von Schweinen, 9 % von Hühnern, 8 % von Büffeln und 3 % bis 4 % von Schafen und Ziegen. Diese Emissionen umfassen alle Produktionsprozesse, die mit dem Lebenszyklus tierischer Produkte zusammenhängen.

Es macht global gesehen wenig Sinn, über die Senkung des Verbrauchs an tierischem Protein zu diskutieren!

Was spricht dafür, trotz steigender Emissionen aus dem Nutztiersektor, auch in Zukunft Tiere zu halten?

Tiensin: Die Nutztierhaltung macht auch in Zukunft Sinn, weil sie viele positive Effekte zu bieten hat. Tiere verwerten für den Menschen nicht essbare Biomasse und liefern organischen Dünger, der energieaufwendig produzierten Mineraldünger ersetzt.

Tierhaltung sichert zudem Millionen Arbeitsplätze, dient der Landschaftspflege und trägt erheblich zur Nahrungsmittelsicherheit bei. Weltweit können wir hunderte Millionen Hektar Grünland nur deshalb nutzen, weil z.B. Rinder die Biomasse für uns Menschen so aufbereiten, dass wir sie verwerten können.

Wie können wir mehr Lebensmittel produzieren und gleichzeitig die negativen Auswirkungen auf das Klima reduzieren?

Tiensin: Entscheidend ist, dass wir effizienter arbeiten und Haltungsverfahren optimal managen. Die Steigerung der Produktivität und die effiziente Nutzung von natürlichen Ressourcen in der gesamten Wertschöpfungskette ist der vielversprechendste Weg zur Reduzierung von Emissionen, zur Förderung der Nachhaltigkeit und zur Eindämmung des Klimawandels.

Natürlich sollten wir versuchen, den Verbrauch von Nahrungsmitteln in den Ländern zu reduzieren, wo es einen Überkonsum gibt. Global betrachtet wenig Sinn macht es aber, einseitig über die Senkung des Verbrauchs an tierischem Protein zu diskutieren. Das wird uns nicht gelingen, weil die Nachfrage steigt. Noch immer hungern hunderte Millionen Menschen auf dem Globus. Die Auswirkungen auf das Klima können wir letztendlich also nur durch ein Bündel von Maßnahmen verringern, die uns entlang der gesamten Wertschöpfungskette Lebensmittel zur Verfügung stehen.

Welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen Sie konkret für Viehhalter in Schwellenländern?

Tiensin: In vielen Schwellenländern fehlt landwirtschaftlichen Betrieben oder Tierhaltern nach wie vor der Zugang zu Technologien und Innovationen, die zur Reduzierung externer Umwelteffekte beitragen können. Es ist wichtig, mehr Wissen zu vermitteln und Kapazitäten auszubauen, mit denen die Futterwirtschaft und das Tierhaltungsmanagement optimiert werden können.

Welche Effekte Verbesserungen bringen, wollen wir mithilfe des sogenannten GLEAM-Modells analysieren. Dabei handelt es sich um ein Modell zur Umweltbewertung von Nutztieren. Das Ziel ist, die Produktion und Nutzung natürlicher Ressourcen im Nutztiersektor zu quantifizieren und die Umweltauswirkungen der Nutztierhaltung genauer zu identifizieren. Daraus sollen dann Anpassungs- und Minderungsstrategien für den Übergang hin zu einer nachhaltigeren Nutztierhaltung entwickelt werden.

Wie können wir Länder mit weniger professioneller Nutztierhaltung konkret unterstützen?

Tiensin: Indem wir ihnen den Zugang zu technischen und innovativen Lösungen ermöglichen, die in Tierhaltungssystemen überall in der Welt eingesetzt werden können. Damit der technische Fortschritt in den Schwellenländern ankommt, braucht es dringend mehr Investitionsanreize. Förderprogramme können helfen, dass die Industrie mehr Geld in die Entwicklung von nachhaltigeren Produktionsverfahren investiert.

In vielen ärmeren Ländern würde die Produktivität im Futteranbau deutlich steigen, wenn die Farmer bzw. Kleinbauern die technischen Möglichkeiten erhalten würden, Futter zu konservieren. Sie könnten so in Zeiten des Überangebots Reserven aufbauen und so eine ganzjährige Tierproduktion sicherstellen. Nichts anderes tun die Landwirte in Europa oder Amerika beim Gras silieren.

Wenn Europa die Tierhaltung zurückfährt, wird die Produktion verlagert und die Emissionen steigen.

Mit welchen klimatischen Folgen müssen wir rechnen, wenn wir hochmoderne Ställe in Europa leer stehen lassen und die Produktion in weniger produktive Länder abwandert?

Tiensin: Wenn Europa die Produktion zurückfährt oder einstellt und die weltweite Nachfrage nach tierischen Produkten global weiter steigt, wird die Produktion an andere Orte verlagert. Das wird die Emissionen in Europa zwar reduzieren, sie an anderen Orten jedoch erhöhen. Ich gehe davon aus, dass die Emissionen unter dem Strich dann noch stärker ansteigen.

Wir sollten vor dem Hintergrund der zahlreichen Diskussionen zuerst eine genaue Betrachtung der Gesamtauswirkungen von Produktionsverlagerungen durchführen. Ich rate dazu, dass wir die Diskussion versachlichen und die Debatte auf wissenschaftlicher Basis führen und uns die vorliegenden Daten genau ansehen.

Auf der letzten UN-Klimakonferenz in Dubai haben Sie die Studie „Wege zu geringeren Emissionen“ veröffentlicht. Wo können wir ansetzen?

Wisser: Wir haben verschiedene Wege identifiziert, die uns bei der Problemlösung helfen können. Das größte Reduktionspotenzial sehe ich im Bereich der Produktivitäts- bzw. Effizienzsteigerung. Laut unseren Berechnungen könnten wir damit fast 1,8 Mio. t CO2-Äquivalent einsparen. Die gezielte Zucht auf z.B. eine bessere Futterverwertung kann weitere 1,4 Mio. t CO2-Äquivalente einsparen.

Potenzial steckt auch in der Förderung der Tiergesundheit. Impfungen oder die Reduzierung von Hitzestress führen zu sinkenden Emissionen. Wir gehen von einem Reduktionspotenzial in Höhe von fast 1 Mio. t CO2-Äquivalente aus.

Wichtige Faktoren sind auch der Ausbau der Kohlenstoffbindung im Boden, der vermehrte Einsatz von erneuerbaren Energien entlang der Produktionskette und die Reduzierung der Lebensmittelverlusten und -abfällen. Weltweit wird geschätzt, dass rund 14 % aller Lebensmittel ungenutzt weggeworfen werden. Die größten Verluste entstehen auf Verbraucherebene. Insbesondere in Ländern mit geringerem Einkommen gibt es allerdings auch große Verluste während der Herstellung. So sind zum Beispiel die Kühlketten teils immer noch lückenhaft.

In Schwellenländern müssen wir die Futterqualität und das Weidemanagement verbessern sowie an der emissionsarmen Güllelagerung-, und-aufbereitung arbeiten. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu erwähnen, dass der Einsatz von organischem Dünger ebenfalls Reduktionspotenzial hat. Die Produktion von organischem anstatt mineralischem Dünger ist weitaus weniger energieintensiv. Großes Potenzial sehe ich letztlich auch in Futtermittelzusatzstoffen. Durch sie können wir Methanemissionen hemmen und die Verdaulichkeit verbessern.

Unter dem Strich sehen wir ein erhebliches technisches Potenzial zur Einsparung von Emissionen.

Welche Potenziale sehen Sie in der regionalen Produktion von Lebensmitteln?

Wisser: In der Nutztierhaltung sind Lieferketten immer internationaler ausgerichtet. Die Futtermittelproduktion zum Beispiel ist mittlerweile weitestgehend von der Tierproduktion entkoppelt. Das kann dazu führen, dass mehr natürliche Ressourcen verbraucht werden. Ein typisches Beispiel ist die Abholzung des Regenwaldes für den Anbau von Sojaschrot zu Futterzwecken.

Wir können negative Auswirkungen verringern, wenn wir hier gezielt gegensteuern. Eine Futterstrategie die mehr auf heimische Produktion abzielt, kann vorteilhaft sein weil regionale Nährstoffkreisläufe die Nachhaltigkeit dank kurzer Transportwege sehr viel mehr stärken als wenn viele Inputmaterialien wie das Futter aus Übersee herangeschifft werden müssen. Auch wenn die Emissionen hauptsächlich bei der Produktion und nicht beim Transport entstehen.

Die Umstellung auf vegane Ernährung hat weniger positiven Einfluss auf das Klima als oft behauptet wird.

Hilft es dem Klima, wenn Verbraucher verstärkt auf pflanzliche Proteine umsteigen?

Tiensin: Ein verringerter Konsum von tierischen Lebensmitteln oder die Umstellung auf eine vegane Ernährung wird einen geringeren Einfluss auf die globalen Gesamtemissionen haben als oft behauptet wird. Denn wenn Verbraucher tierische Produkte meiden, müssen die hochwertigen Proteine in der Ernährung beispielsweise durch Gemüse und Obst ersetzt werden. Um den Bedarf zu decken, müsste die Produktion in Treibhäusern deutlich hochgefahren werden oder sie müssten importiert werden. In beiden Fälle steigt der Energieverbrauch massiv.

Außerdem ist zu bedenken, dass in vielen Regionen der Welt, insbesondere in sehr trockenen und trockenen Gebieten, Proteine aus tierischer Nahrung die einzige verfügbare Quelle für hochwertiges Protein sind.

Letztendlich ist auch der ernährungsphysiologische Aspekt zu bedenken. Tierische Nahrung sind die einzige Quelle für bioverfügbare Proteine sowie Makro- und Mikronährstoffe, die für die kognitive Entwicklung und das Wachstum von Säuglingen und Jugendlichen besonders wichtig sind. Ebenso benötigen schwangere Frauen und ältere Menschen hochverdauliche Proteinquellen, die in pflanzenbasierten Diäten nicht zu finden sind.

Ist In-vitro Fleisch eine Alternative?

Tiensin: Momentan nicht wirklich. Zwar forschen weltweit über 100 Unternehmen an der Entwicklung von sogenanntem Kunstfleisch. Der CO2-Fußabdruck dieser Produkte dürfte aber groß sein, weil bei der Herstellung viel Energie benötigt wird. Genaue Zahlen haben wir noch nicht, weil Zellfleisch bislang nur unter Laborbedingungen hergestellt wird. Spannend wird sein, wie der Klimafußabdruck bei einer Produktion in großem Stil aussehen wird. Allerdings gilt es dabei auch andere Kriterien als nur den CO2-Fußabdruck zu beachten.

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