Dieser Beitrag erschien zuerst im Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben.
Behutsam legt René Krüger (44) ein neugeborenes Lamm ans Euter des Muttertieres. Es ist früher Nachmittag. Der Schäfer ist in diesen Wochen nachmittags um zwei genauso bei seinen Schafen wie nachts um zwei und morgens um neun Uhr. Noch bis März herrscht Hochbetrieb in der Schäferei in Wersabe bei Bremen am Weserdeich. Erst die Hälfte der rund 850 Tiere, überwiegend Deutsches Schwarzköpfiges Fleischschaf, aber auch Texel und Suffolks, hat gelammt.
Über 30 Schafe gerissen
„Die Lammzeit macht Spaß“, kommentiert Krüger seinen Dauereinsatz grinsend. Dann wird er ernst. Er denkt ans Frühjahr, wenn die Schafe wieder am Deich sind. Und an den Wolf. Vor gut einem Jahr attackierten nachweislich Wölfe zweimal in nur zwei Wochen die Herde und rissen insgesamt 36 Tiere. „Es war grausam, überall tote und verletzte Schafe, die ich teils mit der Flasche aufgezogen hatte“, berichtet der Schäfer.
Da nützte wohl der „Megazaun am Weserdeich“ wenig. Gemeint ist das Pilotprojekt des Landes Niedersachsen. Mit 375.000 € förderte es 2021 den Aufbau mobiler und fester Zäune im Bereich des Deichverbands Osterstader Marsch. Am Innendeich wurden auf einer Länge von mehr als 18 km feste Zäune aufgestellt. Am Außendeich arbeitet Krüger in seinem Abschnitt auf 15 km mit Stecksystemen. Die Zäune sind 1,20 bis 1,60 m hoch. Weil die Wölfe es jedoch gleich zweimal schafften, die Zäune zu überwinden bzw. zu untergraben, sagt Krüger, verlasse er sich nicht mehr nur auf die Zäune, um die Schafe vor dem Wolf zu schützen.
Er geht durch den Stall. Die elf Monate alte Wilma liegt auf dem Futtertisch. Sie liegt so, dass sie alles, was sich der Herde nähern könnte, im Blick hat. Krüger gibt ihr ein kurzes Signal. Die stattliche Hündin mit dem flauschig weißen Fell kommt gehorsam angelaufen und holt sich Streicheleinheiten ab.
Hunde schützen Schafe
Wilma ist einer von zehn Herdenschutzhunden für die rund 850-köpfige Schafherde. „Direkt nach der Wolfsattacke im vergangenen Jahr habe ich die Hunde angeschafft“, berichtet der Schäfer. Er habe sich schon vorher mit seinen Berufskollegen im Verein für arbeitende Herdenschutzhunde über ihre Erfahrungen ausgetauscht. Krüger hält jetzt zwei Mastíns Español und acht Kangals. „Mir gefallen die Kangals, weil es soziale Hunde sind“, erklärt der ehemalige langjährige Ausbilder fürs Diensthundewesen der Bundeswehr, „Kangals sind menschenbezogen, fahr- und leinentauglich, lauffreudig, aufmerksam und unglaublich canidenscharf, also wachsam auf Füchse und Wölfe.“
Rassen für den Herdenschutz
Als weitere Rassen, die auf den Schutz von Schafen geprägt sind, nennt er Maremmano-Abruzzen, Pyrenäenberghunde und Kaukasische Owtscharka. „Als Herdenschutzhunde in der Schäferei werden aber nur Hunde zugelassen, die aus Arbeitslinien stammen und die genetische Veranlagung zum Herdenschutz mitbringen“, betont der Schäfer.
Hohe Kosten und viel Zeit
Dieser Nachweis ist zudem wichtig für die Förderung. Niedersachsen erstattet die Anschaffungskosten der Hunde. Futter, Tierarztkosten, Impfungen, Zubehör und Wurmkuren müssen die Schäfer aus eigener Tasche zahlen. „Da geht schon ein Kleinwagen im Jahr durch“, kommentiert Krüger. Und nicht nur das.
„Der Zeitaufwand für die Hunde ist extrem hoch, aber dafür machen sie einen tollen Job“, sagt der Schäfer und krault Wilma hinterm Ohr. Bisher gab es keine Risse mehr. Ob das so bleibt? Der Schäfer glaubt es nicht: „Große Hunde und Zäune allein werden Weidetiere nicht vor Angriffen schützen, wenn die Wolfspopulation weiter unkontrolliert wächst.“