Frau Dr. Bergmann, mit Ihrem Unternehmen „Food Relations“ fördern Sie den Dialog über Lebensmittel, Verbraucherverhalten und Esskultur. Wie erklären Sie sich die derzeit wachsende Beliebtheit pflanzlicher Milchalternativen?
Dr. Karin Bergmann: Viele Menschen machen sich Sorgen, wie wir mit den begrenzten ökologischen Ressourcen der Erde umgehen. Sie suchen nach einfachen Lösungen und Pflanzendrinks erscheinen ihnen als genau das. Deshalb ist hier eine ganz neue, sehr innovative Warengruppe entstanden. Aber: Produktinnovationen, die mit einer Null beim Absatz starten haben eben einfach relativ hohe Zuwächse – und bleiben absolut gesehen im Vergleich zur Kuhmilch auf eher geringem Niveau.
Warum ist Milch bei uns dennoch die Proteinquelle Nummer eins?
Bergmann: Kuhmilch lässt sich mit pflanzlichen Imitaten kaum vergleichen. Ihre hohe Nährstoffdichte ist durch kaum ein anderes Lebensmittel zu ersetzen. Die Nährstoffe müssten in Pflanzendrinks ergänzt werden. Sicher werden für die Produktion pflanzlicher Drinks keine Tiere gefüttert, die CO2 ausstoßen. Kühe sind aber in der Lage, nicht essbare Biomasse in ein Lebensmittel umzuwandeln. Diese einzigartige Leistung ist für die Ernährung von künftig 10 Mrd. Menschen absolut wichtig.
Wie schätzen Sie den zukünftigen Milchkonsum der Verbraucher ein?
Bergmann: Der Markt für Pflanzendrinks wächst stetig weiter, wird aber absolut gesehen auf eher geringem Niveau im Vergleich zu Kuhmilch bleiben. Ein Großteil der Deutschen konsumiert mehrmals pro Woche Milch oder Milchprodukte.
Ich meine, dass Verbraucher künftig beides parallel verwenden werden.
Viele Menschen benutzen im Augenblick gar keine Pflanzendrinks; und der eine oder andere wird künftig umschwenken. Ich meine, dass Verbraucher künftig beides parallel verwenden werden. Das liegt z.B. an den unterschiedlichen Verwendungszwecken von Milch und pflanzlichen Drinks. Aber auch an den geschmacklichen Präferenzen der Verbraucher. Für mich sind Pflanzendrinks kein Ersatz, sondern eher eine Ergänzung an Vielfalt.
Wie nachhaltig ist Kuhmilch im Vergleich zu Pflanzendrinks?
Bergmann: Milch liefert von Natur aus 23 von 29 unentbehrlichen Nährstoffen für die Gesundheit. Bei pflanzlichen Lebensmitteln ist das nicht so. Die Klimawirksamkeit von Milch oder Pflanzendrinks muss sich an den gelieferten Nährstoffen messen lassen. Der CO2-Fußabdruck der Milch im Verhältnis zu ihrem Nährstoffgehalt ist vergleichbar oder sogar besser als bei den pflanzlichen Imitaten.
Wir brauchen also die Wiederkäuer: Sie wandeln nicht essbares Pflanzliches in essbares Tierisches um.
Kühe können Flächen nutzen, die der Lebensmittelproduktion sonst nicht zur Verfügung stehen, z.B. Grasland, Hoch- oder Schräglagen. Sie fressen Biomasse, die der Mensch nicht verwerten kann. Die Produktion von Soja-, Hafer-, oder Reisdrinks hat eine hohe Rate an unverwertbaren Nebenprodukten, z.B. Halme, Schalen, Spelzen, Spreu. Wir können es uns ökologisch nicht leisten, diese Reste zu verwerfen. Wir brauchen also die Wiederkäuer: Sie wandeln nicht essbares Pflanzliches in essbares Tierisches um. Diese einzigartige Leistung ist für die nachhaltigere Ernährung von künftig 10 Mrd. Menschen absolut wichtig. Wenn die menschliche Proteinversorgung über Pflanzendrinks erfolgen sollte, bräuchte man deutlich mehr Ackerfläche.
Mehr Nachhaltigkeit bedeutet mehr enge Verzahnung von tierischer und pflanzlicher Produktion. Ich sehe deshalb Milch nicht als Gegensatz zu Pflanzendrinks. Ich sehe mehr Nachhaltigkeit, wenn man beides miteinander kombiniert - in Produktion UND Konsum. Deshalb sehe ich in Milch und Pflanzendrinks keine Konkurrenz.