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Fehlerkultur bei Landwirten: Schuld sind immer die anderen, oder?

Für ihre Doktorarbeit hat Anika Bolten mit hunderten Landwirten, Beratern und Forschern gesprochen. Was der Umgang mit Fehltritten mit Konkurrenzdenken zu tun hat und warum man darüber reden sollte.

Lesezeit: 5 Minuten

Anika Bolten ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel/ Witzenhausen und beschäftigt sich mit psychologischen Fragen in der Landwirtschaft. In Ihrer Doktorarbeit untersucht Sie die Fehlerkultur und den Umgang mit Scheitern und Versagen. Für top agrar fasst sie ihre Erkenntnisse zusammen.

„Jeder macht mal Fehler, denn Fehlentscheidungen sind menschlich und gehören zum Leben. Sie bieten auch die Möglichkeit, aus ihnen zu lernen. Ob das passiert, hängt davon ab, wie wir mit ihnen umgehen. Auch spielt das Ausmaß des Fehlers eine Rolle: Kleine Fehler haben in der Regel wenig Einfluss auf uns und unser Handeln während größere zu weitreichenden Konsequenzen führen können. Innerhalb der deutschsprachigen Forschung ist der Umgang mit Fehlern allerdings noch ein unbeschriebenes Blatt.

Wir schreiben uns erfolgreiche Leistungen häufig selbst zu, während wir bei Misserfolgen die Schuld eher bei den äußeren Umstände und anderen Personen suchen.

Was wir bereits wissen: Wir sprechen ungern über Fehler und suchen die Ursachen lieber bei anderen, als bei uns selbst. Das liegt u. a. am sogenannten „Self-serving bias“ – eine verzerrte Selbstwahrnehmung. Sie besagt, dass wir uns erfolgreiche Leistungen häufig selbst zuschreiben, während wir bei Misserfolgen die Schuld eher bei den äußeren Umstände und anderen Personen suchen.

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Eine Kernerkenntnis aus Anika Boltens Arbeit ist, dass die Forschung bzw. Berater und Landwirte sich uneins sind, was Scheitern in der Landwirtschaft bedeutet. Landwirte sehen ihre eigene Fehlerkultur meist positiv. Das widerspreche den Ansichten der Berater und früheren Studien in deutschsprachigen Unternehmen. Die Sicht auf Fehler und das Scheitern scheint sich also zu ändern, je nachdem ob man von der Fremd- oder der Selbstwahrnehmung ausgeht.

Gründe für das Scheitern liegen häufiger im Außen

Nehmen wir aus aktuellem Anlass ein Beispiel aus dem Sport: Wenn Sie an den Olympischen Spielen teilnehmen und eine Medaille gewinnen, dann werden Sie im Anschluss zu sich selbst und dem Sportmoderator sagen, dass dieser Erfolg das Resultat Ihres vollen Einsatzes und des jahrelangen, harten Trainings ist. Werden Sie hingegen disqualifiziert oder ergattern nur einen Platz auf den hinteren Rängen, werden Sie im Interview erwähnen, dass das heute nicht Ihr bester Tag war.

Diese Verzerrung hat auch einen Vorteil, denn so können wir unser Selbst und Selbstbild aufrechterhalten und gehen an der Niederlage nicht völlig kaputt.

Sie werden weitere Gründe suchen, die zu dieser Niederlage geführt haben: Sei es das Wetter, das zu strenge oder unklare Regelwerk, der unfaire Schiedsrichter. Wir finden immer einen Grund, der uns ins bessere Licht rückt. Diese Verzerrung hat auch einen Vorteil, denn so können wir unser Selbst und Selbstbild aufrechterhalten und gehen an der Niederlage nicht völlig kaputt.

Ein Fehler kommt selten allein

Die Krux an der Sache ist, dass wir nur aus unseren Fehlern lernen können wenn wir den ursprünglichen Fehler finden. Wir haben vielleicht zu wenig trainiert oder uns zu wenig mit dem Regelwerk auseinandergesetzt. Schieben wir das schlechte Wetter als Ursache „vor“, kratzen wir nur an der Oberfläche. Denn ein Fehler kommt selten allein.

Scheitert der Betrieb, scheitere ich als Landwirtin bzw. Landwirt und scheitere ich als Landwirtin oder Landwirt, scheitert höchstwahrscheinlich auch der Betrieb.

Sie können sich das wie eine Reihe aufgestellter Dominosteine vorstellen. Jedes Steinchen steht für einen Fehler. Der erste Fehler passiert und der erste Dominostein fällt. Eine Kettenreaktion wird ausgelöst. Der letzte umgefallene Dominostein würde in dieser Metapher Ihre olympische Niederlage darstellen. Dieser letzte umgefallen Dominostein kann durchaus das schlechte Wetter gewesen sein, die anderen umgefallen Dominosteine haben gleichwohl ihren Beitrag zum Misserfolg geleistet.

Warum fällt das Reden über Fehler so schwer?

Also: Scheitern entsteht aus eigenen Fehlern und äußeren Umständen. Warum aber fällt uns das Reden über Fehler so verdammt schwer? Die Kernursache ist der herrschende Konkurrenzdruck. Das Credo des Wachsen oder Weichens schwebt nach wie vor in vielen Köpfen der Landwirtinnen und Landwirte. Nach den Sternen greifen zu wollen, ist per se nichts Verwerfliches - im Gegenteil, es kann uns antreiben und motivieren.

In der Befragung mit 245 Landwirtinnen, Landwirten und deren Angehörigen stellte Anika Bolten die Frage: „Wie häufig herrscht ein starkes Konkurrenzdenken zwischen den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieben?“ 32% der Befragten gaben daraufhin an, dass häufig ein starkes Konkurrenzdenken zwischen den Betrieben herrsche; 12% stimmten für immer.

Demgegenüber beschreibt das Credo auch die Kehrseite der Medaille, denn das Weichen gleicht dem Verlieren. In der Landwirtschaft sprechen wir nicht nur über das Verlieren eines Wettkampfes, sondern um den Verlust des ganzen Betriebes, der Existenz und auch des Selbst. Denn die Landwirtschaft ist für die Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter und deren Angehörige mit dem Selbst, also der eigenen Identität, immens gekoppelt. Scheitert der Betrieb, scheitere ich als Landwirtin bzw. Landwirt und scheitere ich als Landwirtin oder Landwirt, scheitert höchstwahrscheinlich auch der Betrieb.

Fehler schnell identifizieren und reden, reden, reden

Erfreulicherweise führt aber nicht jeder Fehler gleich zum Scheitern. Da müssen schon viele oder sehr große Dominosteine umgekippt sein. Und: Fehler sind vermeidbar! Als Betriebsleiterin oder Betriebsleiter kann ich in meiner Unternehmenskultur darauf achten, dass es ein gutes Sicherheitsnetz gibt, welches Fehler schnell identifiziert. Und ich kann großen Wert darauf legen, dass bereits über kleine Fehler gesprochen wird. Das wirkt in etwa so, wie eine dicke Barriere in der Kettenreaktion, die den Domino-Effekt zum Stoppen zwingt. Die Literatur zur Fehleranalyse spricht auch von der „Zehnerregel der Fehlerkosten“. Diese besagt, dass sich die Kosten eines Fehlers innerhalb der Prozesskette eines Unternehmens von Prozessabschnitt zu Prozessabschnitt stetig um ein zehnfaches erhöht. Eine frühzeitige Erkennung spart somit Zeit, Nerven und insbesondere Geld.

Und ein weiterer sehr positiver Effekt aus dem Sprechen über Fehlern: Man kann auch aus den Fehlern anderer lernen, denn wir müssen nicht die gleichen Fehler begehen wie unsere Kolleginnen und Kollegen. Der Austausch ermöglicht somit nicht nur eine gesunde Fehlerkultur, die grobe, zeitraubende und ggfs. recht teuer werden Fehler vermeidet, sondern fördert durch den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen den Gemeinschaftssinn.“

Wer sich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen will, findet Anika Boltens Arbeit bald im Verlag der Universität Kassel.

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