Dieses Interview mit Dr. Frank Greshake, Marktreferent bei der Landwirtschaftskammer NRW, ist zuerst erschienen im "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben".
Jede Woche machen die VEZG-Notierungen für Jungbullen momentan Sprünge. In der zweiten und dritten Oktober-Woche sogar um 10 Cent/kg Schlachtgewicht (SG). In der Kalenderwoche 43 immerhin um 5 Cent/kg auf 5,40 €/kg SG für R3-Bullen.
Herr Dr. Greshake, wie erklären Sie das?
Greshake: Der Rindfleischmarkt läuft gut. Bereits im Sommer sind die Preise für Jungbullen gestiegen. Es gibt kein ausgeprägtes Sommerloch mehr. Bis vor einigen Jahren hat der Markt eigentlich erst von September an Fahrt aufgenommen. In den vergangenen zwei Jahren beobachten wir den Preisanstieg immer schon ab Mitte der NRW-Sommerferien. Dafür kamen die Notierungen aber im Herbst noch mal zum Stocken.
Ist das Angebot an Jungbullen am deutschen Markt so knapp?
Greshake: Die Stückzahlen am Schlachthof lagen das ganze Jahr etwa 2 bis 3 % über Vorjahresniveau. Seit etwa vier Wochen gleichen sie den Schlachtzahlen aus dem Jahr 2023. Insgesamt sind Bullen aber knapp. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Die Einstallbereitschaft der Mäster hat nachgelassen. Fresser und Absetzer sind extrem teuer. Teilweise bleiben deshalb Ställe leer. In Bayern gehen die ohnehin knappen Fleckvieh-Kälber teilweise in den Export nach Österreich.
Viele Bullenmäster produzieren für das Jahresende. Die Landwirte stallen so auf, dass die Tiere für das Weihnachtsgeschäft fertig sind. Insgesamt ist aber damit zu rechnen, dass das Lebendangebot an Bullen mittel- und langfristig knapp bleibt.
Das klingt, als könnten sich Landwirte auf weiter steigende Preise freuen.
Greshake: Die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Allerdings beobachten wir bereits jetzt, dass Bullenmäster spekulieren und ihre Tiere stehen lassen, um noch bessere Preise zu bekommen. Das ist nicht gut für den Markt.
Vor zwei Jahren haben wir Preise bis zu 6 €/kg SG erlebt. Im Nachhinein war das für die Vermarktung nicht hilfreich. Könnte der Markt erneut kippen?
Greshake: Die hohen Preise sind ein großes Problem für die Vermarkter. Sie müssen dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) jede Woche mitteilen, dass die Preise für Rindfleisch weiter steigen. Die Herausforderung beim Rind: Alle Preiserhöhungen müssen auf die Edelteile umgewälzt werden. Nebenprodukte und Innereien stehen preislich unter Druck.
Am Ende muss jeder Preisanstieg an der Ladentheke wieder reingeholt werden. 2022 haben Westfleisch und Tönnies Millionen Euro verloren, als der LEH die vorbestellte Ware am Jahresende nicht abgeholt hat. Zum Teil mussten die Schlachter die Ware selbst zurückholen. Ich bin mir sicher, dass machen die Schlachtkonzerne nicht noch mal mit. Bedeutet für die Bauern: Sie müssen Tiere verkaufen, wenn sie fertig gemästet sind. Wer spekuliert, muss mit den Konsequenzen leben.
Sie blicken also mit Sorgen auf ein weiter steigendes Preisniveau. Dabei bekennt sich der LEH immer wieder medienwirksam zu deutscher Ware. Ist das doch nicht mehr als ein Lippenbekenntnis?
Greshake: Das ist die Frage. Fakt ist, dass der LEH jetzt Preise für Weihnachten haben will. Es liegen Schreiben des LEHs vor, dass sie auf das Rindfleisch lieber verzichten, wenn es weiter teurer wird. Außerdem droht der LEH, keine Aktionen mehr mit Rindfleisch zu fahren. Der Einfluss der Werbung ist allerdings groß. Branchenkenner rechnen damit, dass dann zwei Drittel der Menge verloren gehen könnte. Macht der LEH das wahr, könnte er sich in nächster Zeit entweder Richtung Schwein fokussieren (Geflügel ist ebenfalls knapp) oder Rindfleisch aus dem Ausland kaufen.
Bedeutet: Am Ende entscheidet sich der LEH für den besseren Preis statt für deutsche Ware?
Greshake: Schauen wir zu Rewe Süd mit dem französischen Rindfleisch. Trotzdem ist das Bekenntnis zur deutschen Ware ernst zu nehmen und enorm wichtig für uns. Allerdings hat auch dieses seine finanzielle Grenze.
Es spielt noch etwas anderes eine Rolle: Die großen LEH-Ketten stehen permanent unter dem Druck der NGOs. Diese diktieren, was der LEH den Landwirten beim Einkauf noch alles aufzwingen soll. Die NGOs unterhalten sich mit den Abteilungen Qualitätssicherung und Nachhaltigkeit. Auf der anderen Seite steht aber der Vertrieb, der mit preissensiblen Konsumenten zu kämpfen hat. Ab einem Preisniveau von 5,40 €/kg SG plus Haltungsformzuschlag ist die Kaufzurückhaltung groß.
Trotzdem fordert der LEH immer mehr Fleisch aus den Haltungsformen 3 und 4. Die Notierungen liegen aber im Schnitt noch mal 25 Cent/kg SG höher. Wie ist das dann am Markt umzusetzen?
Greshake: Dass Fleisch bei der zunehmenden Umstellung auf die Haltungsformen (HF) 3 und 4 knapp und teuer wird, hätte dem LEH jeder Postbote aus dem Oldenburger Münsterland erklären können.
Die großen Vermarkter berichten, dass der Fleischabsatz für HF 3 bei ständig steigenden Preisen schwerer durchzusetzen ist.
Schauen wir auf den EU-Markt. Ist deutsches Rindfleisch im Vergleich so viel teurer?
Greshake: Bis vor drei, vier Wochen lagen die hiesigen Notierungen für Jungbullen unter dem EU-Schnitt. Aber seit den Preissprüngen der vergangenen beiden Wochen liegen wir darüber. Da gehen die anderen Länder nicht so schnell mit. Laut AMI lag der EU-Schnitt für Rindfleisch am 13. Oktober bei 5,31 €/kg SG, in Deutschland bei 5,43 €/kg SG.