Dreißig Grad, 65 % Feuchtigkeit und überall die passende Luftrate – die Fliegenzucht von Carsten Lind Pedersen ist anspruchsvoll. Doch schwierige Geschäftsfelder liegen dem Gründer der Enorm Biofactory. Neben Schweinen und Premixen hat er schon mit Algen und gerösteten Insekten für den menschlichen Verzehr gehandelt. „Der Absatz kam aber schnell ins Stocken. Meine Landsleute waren noch nicht bereit dafür“, schmunzelt Pedersen.
Insekten als Futtermittel
Seine Vision hat er nicht aufgegeben. Zusammen mit seiner Tochter Jane Lind Sam und Arne Holst Lauridsen stieg er schließlich in die Produktion der Schwarzen Soldatenfliege ein. Die Zielgruppe jetzt: Hersteller von Fischfutter und Heimtiernahrung.
Vom Hühner- zum Fliegenstall
Dafür kauften sie 2017 einen landwirtschaftlichen Betrieb in Flemming und richteten im alten Geflügelstall eine Pilotfabrik ein. Das Problem: Insekten gelten laut EU-Recht als landwirtschaftliche Nutztiere, deren Verarbeitung aber als Industrie. Die ist im Außenbereich untersagt. Fast drei Jahre ließ die Sondergenehmigung der Behörden auf sich warten. 2022 begann der Bau der neuen Fabrik, die im Dezember 2023 eröffnete.
Bildergalerie: So produziert die Enorm Biofactory ihre Larven
Aus den Larven sollen jährlich 10.800 t Proteinmehl und 2.500 t Insektenöl entstehen. Außerdem fallen rund 15.000 t Fraß an. Das sind Futterreste mit Ausscheidungen und Häutungsresten – ein beliebtes Substrat für Biogasanlagen.
Und was fressen die Insekten? Gülle und faules Obst sind laut EU-Recht tabu. Für Pedersen ist das kein Drama, denn eine gute Futterrezeptur beeinflusst das Wachstum erheblich. Aktuell benötigt er für 1 kg Larven etwa 1,2 – 1,5 kg Futter – beides bezogen auf 100 % Trockenmasse.
Nebenprodukte verwerten
Das eigentliche Substrat darf maximal 30 % Trockensubstanz enthalten, damit die Larven die Nährstoffe aufnehmen können. Es besteht aus Getreide und Raps, vor allem aber aus Nebenprodukten. Zu 80 % stammen die Rohwaren aus Brauereien, Molkereien und der Pommesherstellung, denn immer mehr Unternehmen wollen ihre Reststoffe sinnvoll verwerten. Größter Lieferant ist Arla.
Die Produktion im Griff
Von den derzeit 60 Mitarbeitern beschäftigen sich sechs nur mit der Prozessoptimierung. Alles soll planbar und steuerbar sein – am besten voll automatisiert per Roboter. Clevere Ideen sind aber auch bei den Substratmischungen für die Larven und zusätzlichen Vitamincocktails für die Zuchtfliegen gefragt.
Bildergalerie: Teure Technik
Lüftung war zu klein
Lüftung und Logistik sind für Pedersen die größten Herausforderungen, denn auf 1 m² Fläche produzieren die Larven rund 250 Watt an Wärme. Pro Stunde muss 1 Mio. m³ Luft ausgetauscht werden. „Das haben wir anfangs unterschätzt“, verrät der Geschäftsführer. In der Aufzucht stockt er gerade die Kühlkapazitäten auf.
Ein spezielles Zuchtprogramm für die Elterntiere hat Pedersen noch nicht entwickelt. Bisher nimmt er einfach 0,75 % der täglichen Eierproduktion heraus. Die Larven werden gefüttert, bis sie sich verpuppen, schlüpfen und sich paaren. So kommen jeden Tag 800 Mio. Eier zusammen.
Wer bezahlt das alles?
Anfangs floss viel Geld der Familie in das Projekt. Später folgte die Finanzierung über eine klassische Bank, den dänischen Export and Investment Fund of Denmark (EIFO) und Förderprogramme. Über die Jahre kamen Investoren hinzu. Seit 2022 sind zum Beispiel Big Dutchman und die Landwirtschaftliche Genossenschaft aus Dänemark (DLG) dabei. Bis zum ersten Produktverkauf schätzt Pedersen die Investitionen auf 100 Mio. €.
Eine stolze Summe – trotzdem ist Pedersen sich sicher: „Die Insektenproduktion hat eine strahlende Zukunft.“ Neben hochwertigem Protein biete sie die Möglichkeit zur vertikalen Produktion bei geringen Treibhausgasemissionen. Zudem seien die Larven deutlich krankheitsresistenter als andere Nutztiere.
Keine Alternative zu Soja
Pedersen sieht die Insektenproduktion als landwirtschaftlichen Betriebszweig, aber nicht als Alternative zu Soja: „Man muss das Protein dort einsetzen, wo es am meisten Sinn ergibt.“
Mehl Vielleicht für Ferkel
Untersuchungen der dänischen DLG haben ergeben, dass Insektenfett in Kombination mit Sojaöl Palmfett und zum Teil Lecithin ersetzen könnte. Beim Proteinmehl lohne sich der Einsatz am ehesten bei Ferkeln, anstelle von Fischmehl oder Blutplasma. Letzteres wird in Dänemark öfter eingesetzt als in Deutschland. Pedersen geht aber auch hier von maximal 1 bis 5 % der Ration aus. Rechnet man mit rund 32 Mio. abgesetzten Ferkeln pro Jahr, bräuchte Dänemark rund 2.400 t Insektenprotein. Das entspräche etwa 22 % der Produktion von Pedersen.
Ration zu teuer
Versuche der Hochschule Osnabrück und der Landwirtschaftskammer Niedersachsen kommen jedoch zu dem Schluss, dass Rationen sowohl für Ferkel als auch für Mastschweine schon durch geringe Mengen an Insektenprotein zu teuer werden.
Unterschiedliche Kosten
Zudem schwanken die Rohwarenpreise sehr stark. Zwischen 300 und 500 €/dt wird das Proteinmehl angeboten. Heimtier- und Fischfutterhersteller zahlen das bereitwillig. Auch als Treibstoff für Flugzeuge könnten sich die Insektenprodukte eignen. Dazu arbeitet die Enorm Biofactory an einem europaweiten Projekt mit.
Angebot und Nachfrage ausweiten
Laut Pedersen ist der Mangel an Ware das derzeit größte Problem der Branche. Deshalb würden potenzielle Kunden lieber auf andere, sichere Rohstoffquellen setzen. Bis 2030 rechnet er jedoch mit einem enormen Anstieg von Angebot und Nachfrage. Mit dem technologischen Fortschritt und wachsenden Produktionseinheiten könnten die Kosten sinken – allerdings nur bedingt. Der größte Faktor bleibt das Futter.
Noch keine Ware verfügbar
„Viele deutsche Startups werden es nicht schaffen, wenn es schon für die großen Unternehmen schwierig ist“, prognostiziert Dr. Arndt Schäfer, Produktmanager Schwein bei der Deutschen Vilomix Tierernährung. Über die dänische Muttergesellschaft DLG ist das Futtermittelunternehmen in die dortige Insektenproduktion involviert und soll künftig den Vertrieb nach Deutschland koordinieren. Bisher ist dafür allerdings keine Ware verfügbar. Und wenn es so weit ist, wird sie wohl auch hierzulande vorerst an Hunde oder Fische verfüttert.
Ernüchterndes Fazit
„Die Enorm Biofactory ist mit viel Risiko gestartet“, findet auch Dr. Manfred Weber, Dezernatsleiter Schweinehaltung bei der Landesanstalt für Landwirtschaft und Gartenbau Sachsen-Anhalt. Er beschäftigt sich intensiv mit alternativen Eiweißquellen und stellt dem Insektenprotein ein für Schweinehalter ernüchterndes Fazit aus: „Mit etwa 54 % Rohprotein, 3,47 % Lysin und 12 % Fett ist es sehr hochwertig, aber einfach noch viel zu teuer – auch für Ferkel.“