Der Geschäftsführer des Fachverbandes Landtechnik im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Tobias Ehrhard, spricht mit dem Pressedienst Agra Europe darüber, wieso er in flüssigen Energieträgern weiterhin die Zukunft der Antriebstechnologie in der Landtechnik sieht und wie es um die Stimmung in der Landtechnikbranche bestellt ist.
Wo sind die Maßnahmen?
AgE: Herr Ehrhard, die Regierungsbildung in Berlin ist in vollem Gange. Union und SPD haben kürzlich ein Sondierungspapier vorgelegt. Entsprechen die darin aufgeführten Maßnahmen den Erwartungen der Landtechnikbranche?
Ehrhard: Sondierungsgespräche nach Wahlen spannen den Bogen naturgemäß über ein weites Themenspektrum. Um alle Details zu beleuchten, fehlt an dieser Stelle leider der Platz. Lassen Sie mich nur so viel sagen: Was auf den ersten Blick auffällt, ist, dass wirkliche Maßnahmen für mehr Wettbewerbsfähigkeit schlichtweg fehlen. Wollen wir ein wirksames „Standort Upgrade“ für das Industrieland Deutschland, immerhin die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, realisieren, muss da noch deutlich mehr kommen.
Was muss die neue Regierungskoalition angehen?
Ehrhard: In der Landtechnik liegen seit vielen Jahren praktikable Zukunftslösungen auf dem Tisch. Das fängt bei klimaneutralen Kraftstoffen und nachhaltigen Produktionsmethoden an und reicht bis hin zu einem funktionsfähigen Digitalisierungspfad für die Landwirtschaft, mit dem Bürokratieabbau effektiv möglich wird. Die Politik muss jetzt zügig in die Umsetzung kommen und dafür den Dialog mit allen Beteiligten suchen. Sicher ist: Für viele der diskutierten Fragen ist die Landtechnik der entscheidende Problemlöser.
Die Agrardieselvergütung wird nicht die Wende bringen
Union und SPD wollen die Agrardieselsteuerrückerstattung wieder einführen. Ist fossiler Diesel der Treibstoff der Zukunft?
Ehrhard: Worum es in diesem Kontext primär geht, ist die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Landwirtschaft. Insofern ist der Schritt grundsätzlich nachvollziehbar. Allerdings wäre es natürlich zu kurz gesprungen, allein auf die Agrardieselrückvergütung zu setzen.
Wenn wir nachhaltig und produktiv zugleich vorankommen wollen, brauchen wir alle Technologien aus unserem Portfolio. Dazu zählen in erster Linie alternative Kraftstoffe, für bestimmte Anwendungen durchaus aber auch batterieelektrische Lösungen. Was wir jetzt benötigen, sind effektive Anreize, damit klimafreundliche Kraftstoffe schnell in die Praxis kommen. Dabei liegt die Zukunft ganz klar bei flüssigen Energieträgern.
Wieso?
Ehrhard: Die landwirtschaftliche Realität sieht faktisch so aus, dass Feldarbeiten in immer kürzerer Zeit erledigt werden müssen. Mähdrescher, die 100 t Weizen in der Stunde ernten, oder Maishäcksler, die 400 t Mais häckseln, sind einsatzbedingt auf flüssige Energieträger mit hoher Energiedichte angewiesen.
Aktuell ist das primär noch der fossile Diesel. Allerdings können moderne Landmaschinen- und Traktorenflotten schon heute problemlos mit alternativen Kraftstoffen, etwa aus hydriertem Pflanzenöl, betankt werden. Darin liegt eine große Chance, schließlich hat HVO nahezu dieselbe Energiedichte wie Diesel. Zugleich lassen sich damit bis zu 90 % der CO2-Emissionen einsparen. Diese Erkenntnis muss auch im politischen Berlin noch stärker durchdringen.
Flüssigkraftstoff bleibt - Elektroantriebe haben aber Potenzial
Das heißt, Sie gehen nicht davon aus, dass sich die Antriebstechnologien in der Landtechnik bedeutend ausdifferenzieren, sondern dass es beim Flüssigkraftstoff bleibt?
Ehrhard: Zumindest mittelfristig sehen wir aus technischer Sicht keine andere tragfähige Option. Sofern man den Energieinhalt eines Mähdreschertanks der Anschaulichkeit halber in Batteriegewicht umrechnet, gelangt man in Dimensionen, die eine Fahrt auf europäischen Straßen schlicht unmöglich machen.
Das bedeutet aber nicht, dass sich die Branche nicht um Alternativen kümmern würde. Ganz im Gegenteil: Denn auch in Sachen Elektrifizierung ist die Landtechnikindustrie ein wichtiger Enabler. Unter Fachleuten ist zudem klar, dass es in der Batterietechnologie auf lange Sicht spürbare Entwicklungssprünge geben dürfte.
Sie beziehen sich vor allem auf schwere Maschinen im Ackerbau: Feldhäcksler, Mähdrescher, Traktoren. Aber wie sieht es bei Pflegetätigkeiten, etwa Pflanzenschutz, Ausbringung von synthetischem Dünger oder dem Anbau von Sonderkulturen wie Wein aus? Sehen Sie dort Potenzial für batterieelektrische Lösungen?
Ehrhard: Der Weinbau ist sicherlich ein gutes Beispiel unter vielen anderen für einen zeitnah realisierbaren Elektrifizierungspfad. Entsprechende Schmalspurtraktoren sind in den Produktkatalogen der Industrie längst verfügbar. Ebenso geeignet für batterieelektrische Lösungen sind Anwendungen auf dem Hof und in Hofnähe. Denken Sie hier beispielsweise auch an Maschinen und Geräte für den Einsatz im Stall.
Kann man nicht auf kleinere Technik setzen, die mit Batterien auskommt?
Ehrhard: Die Produktivitätsfortschritte der vergangenen Jahre wären ohne schlagkräftige große Maschinen kaum denkbar gewesen. Dies auch deshalb, weil die Zahl an Arbeitskräften in der Landwirtschaft seit Langem strukturell rückläufig ist.
Mittel- bis langfristig dürfte sich, zumindest bei bestimmten Prozess-Schritten, ein Trend zu mehr Autonomie abzeichnen. Und das vor allem dort, wo der Faktor Zeit nicht so ausschlaggebend ist – etwa in der mechanischen Unkrautbekämpfung. All jene Prozess-Schritte aber, die in kurzen Zeitfenstern ablaufen, etwa Bodenbearbeitung oder Ernte, brauchen auch künftig leistungsfähige Großtechnik, wie wir sie kennen.
Bei Digitalisierung und KI ist Landtechnik gaz vorne
Sie haben die Automatisierung angesprochen: Welches Wachstumspotenzial haben Digitalisierung und künstliche Intelligenz?
Ehrhard: Die Landtechnikbranche zählt im Maschinen- und Anlagenbau eindeutig zu den Vorreitern, was Digitalisierung und KI angeht. Herstellerübergreifende Konnektivität und Interoperabilität stehen derzeit ganz oben auf unserer Technologie-Agenda. Davon zeugen zahlreiche Projekte. Die praktische Herausforderung besteht zunächst darin, Medienbrüche zu eliminieren, um eine möglichst übergreifende, nahtlose Vernetzung zu gewährleisten.
Das heißt?
Ehrhard: Konkret heißt das: Wir müssen Systemgrenzen überwinden; das gilt beispielsweise, wenn ein Landwirt öffentlich zugängliche Daten bruchlos in sein Farm-Management-System einspeisen möchte. Ein anderes Beispiel sind Dokumentationspflichten, die gegenüber den unterschiedlichsten Behörden erbracht werden müssen. Bis dato ist das mit zeitaufwendiger manueller Dateneingabe verbunden. Gerade hier muss dringend entbürokratisiert werden.
Technik soll alle Betriebe voranbringen
Fortschritte in der Landtechnik haben in der Vergangenheit bedeutend zum Strukturwandel in der Landwirtschaft beigetragen. Werden neue Technologien diese Entwicklung beschleunigen oder bremsen?
Ehrhard: Unser zentrales Anliegen ist es, landwirtschaftlichen Betrieben, unabhängig von Produktionsform und Größe, das bestmögliche Angebot an Maschinen, Geräten und Softwarelösungen zur Verfügung zu stellen. Oberstes Ziel dabei ist eine effiziente, nachhaltige und auskömmliche Produktion von Lebensmitteln. Unsere Mitglieder bieten dazu in jeder Größen- und Leistungsklasse die richtige Technik an.
Andersherum gefragt: Brauchen wir in Deutschland größere Betriebe, damit Zukunftstechnologien, gerade in der Digitalisierung und Autonomisierung, Fuß fassen?
Ehrhard: Im Vordergrund steht nicht die Betriebsgröße, sondern die Prozess-Effizienz, die zunehmend um den Faktor Prozess-Intelligenz erweitert wird. Um moderne Landtechnik effektiv einzusetzen, bedarf es daher keiner größeren Betriebe. Vielmehr benötigen wir verlässliche Rahmenbedingungen, eine funktionsfähige digitale Infrastruktur sowie deutlich weniger Bürokratie. Gelingt uns das, so profitieren auch kleinere Betriebe signifikant.
Vor allem dann, wenn diese Betriebe an eine jüngere Generation übergeben werden, die vielfach einen leichteren Zugang zu digitalen Technologien hat. Zugleich legen wir ein zunehmend größeres Augenmerk auf Schulung und Wissenstransfer, um möglichst viele mitzunehmen.
Welche Auswirkungen hat Trumps neue Weltordnung?
Neben dem Dauerbrenner Bürokratie hat zuletzt vor allem die erratische Handelspolitik Donald Trumps die deutsche Wirtschaft in Atem gehalten. Welche Folgen hätten US-Zölle gegen Kanada, Mexiko oder sogar gegen die EU für die deutschen Landtechnikhersteller?
Ehrhard: Das ist zweifellos ein komplexes Thema, das keine einfachen Antworten kennt. Grundsätzlich ist die Landtechnik aber schon länger so aufgestellt, dass sie den Weltmarkt aus den nationalen Märkten heraus bedienen kann.
Alle namhaften Hersteller haben zwischenzeitlich in den bedeutenden Märkten regionale Fertigungskapazitäten aufgebaut. Dennoch ist die Zollpolitik Trumps natürlich ein immenser Störfaktor für die weltweiten Handelsströme. Schließlich genügt es nicht, nur auf Fertigfabrikate zu blicken. Auch Komponenten spielen im Welthandel eine prominente Rolle. Deshalb gilt es gerade jetzt, laut und deutlich für den Freihandel einzutreten.
Was bietet Indien?
Die EU-Kommission arbeitet entschlossen daran, die europäischen Absatzmärkte zu diversifizieren. Neben dem Mercosur-Abkommen soll in diesem Jahr auch noch ein Abkommen mit Indien zustande kommen. Welche Chancen bietet das für ihre Branche?
Ehrhard: Ordnungspolitisch steht der VDMA, steht unsere Industrie für offene Märkte – weltweit und ohne Abstriche. Nimmt man beispielsweise Südamerika in den Fokus, so kann man dort bisher nur dann wettbewerbsfähig Maschinen anbieten, sofern Produktion vor Ort stattfindet.
Das Mercosur-Abkommen endlich abzuschließen, würde es den in Europa produzierenden Herstellern ermöglichen, ihre Technik auch dort erfolgreich zu vermarkten. Zugleich sind wir uns selbstverständlich darüber bewusst, dass es bei diesem Thema bei unseren europäischen Endkunden Bedenken gibt, die wir sehr ernst nehmen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Importquoten für südamerikanische Produkte im sehr geringen einstelligen Prozentbereich liegen. Außerdem liegt in diesem Abkommen auch eine Chance für die europäische Ernährungswirtschaft, zum Beispiel, indem künftig verarbeitete Lebensmittel in Südamerika vertrieben werden könnten.
Und Indien?
Indien ist traditionell von einer stark kleinflächig strukturierten Landwirtschaft geprägt. Entsprechend angepasste Technik produzieren namhafte Hersteller direkt vor Ort. Daneben gibt es allerdings auch größere landwirtschaftliche Betriebe, die auf europäische Spitzentechnik setzen. Insofern begrüßen wir auch hier ein Mehr an freien Handels- und Geschäftsmöglichkeiten.
In Europa bleibt Landtehcnikkrise auch 2025
Laut ihren Branchenzahlen lief das vergangene Jahr für den Produktionsstandort Deutschland nicht sonderlich gut. Der weltweite Umsatz ist um 28% eingebrochen. Ist eine wirtschaftliche Erholung der Landtechnikbranche absehbar?
Ehrhard: Zunächst ist es wichtig, dieses Ergebnis nicht losgelöst von den Umfeldbedingungen zu analysieren. Fakt ist: Wir kommen von einem sehr hohen Ausgangsniveau. Seit dem Jahr 2021 sind die weltweiten Landtechnikmärkte teilweise im mittleren zweistelligen Prozentbereich gewachsen. Eine konsequente Niedrigzinspolitik sowie staatliche Investitionsprogramme zählten zu den entscheidenden Treibern dieser Entwicklung. Pandemiebedingt haben wir anschließend allerlei Knappheiten und Lieferengpässe erlebt. Infolgedessen sind die Bestellungen des Handels sprunghaft angestiegen.
Und nun?
Ehrhard: Die Konsequenz daraus war so einfach wie klar: Die Händlerlager füllten sich weltweit, während die Investitionsneigung der Landwirte zurückging. Für das laufende Jahr sehen wir allerdings schon wieder erste positive Signale. So leeren sich allmählich, insbesondere in Europa, die Händlerlager und auch die Ertragssituation der Landwirte sieht vielerorts passabel aus.
Nicht zuletzt sehen wir auch beim Auftragseingang eine Trendumkehr. In die gleiche Richtung zeigt unser Geschäftsklimaindex, der die Erwartungen für die kommenden sechs Monate abbildet.
Resümierend lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass sich der europäische Markt eher seitwärts bewegen dürfte. In Südamerika rechnen wir dagegen mit Wachstum. Und was die USA angeht: Da müssen wir erst einmal abwarten, was die politischen Rahmenbedingungen mit sich bringen.
Vielen Dank für das Gespräch.