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Agrarpolitik bei der Landtagswahl Maisernte Baywa in Insolvenzgefahr

topplus Streitgespräch Bodenmarkt

„Die Preisentwicklung ist für die aktiven Landwirte ein massives Problem“

Seit Jahren kennen die Bodenpreise nur eine Richtung: nach oben. Ein Streitgespräch über fehlende Transparenz am Bodenmarkt und Instrumente gegen den Ausverkauf an Investoren.

Lesezeit: 13 Minuten

Unsere Diskutanten

Jobst Jungehülsing beschäftigt sich seit 2010 mit dem Bodenmarkt. Der Diplom-Agraringenieur war viele Jahre Leiter des Referats Bodenmarkt im Bundeslandwirtschaftsministerium. Denny Tumlirsch ist Jurist und Geschäftsführer des Landesbauernverbandes Brandenburg. In dieser Funktion ist auch er regelmäßig mit Fragen des Bodenmarktes konfrontiert. Beide kennen und schätzen sich seit vielen Jahren, beispielsweise aus  Diskussionen zu Gesetzesinitiativen wie dem Brandenburger Agrarstrukturverbesserungsgesetz.

Schaut man in die Statistik, ist das Bild deutlich: Die Boden- und Pachtpreise kennen seit Jahren nur eine Richtung: nach oben. Wie nehmen Sie die Entwicklung in der Praxis wahr – insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern?

Tumlirsch: Grundsätzlich steigen die Preise, wir hatten aber in den letzten Jahren ein kleines Plateau. Dennoch sehe ich in Brandenburg eine konstante, aber aktuell gemächliche Entwicklung. Es gibt natürlich je nach Region erhebliche Unterschiede: An berlinnahen Standorten herrschen andere Preise als in entfernteren Regionen. Das müssen wir klar differenzieren.

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Jungehülsing: Ja, das ist richtig. Aber der große Trend ist, dass wir seit 2006 mindestens 280 % Preisanstieg haben, in Mecklenburg-Vorpommern sogar 470 %. Das hat mit der Ertragsentwicklung in der Landwirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun. Aus meiner Sicht ist das Ganze seit der Finanzkrise ein Paradebeispiel für Herdenverhalten. Es sind in der Finanzkrise einige Investoren in diesen engen Markt eingestiegen, es folgten Nachahmer und so entfernen sich die Kauf- und Pachtpreise immer mehr von dem, was die Landwirte finanzieren können. Das ist eine ganz schlechte Entwicklung für die Agrarstruktur.

Würden Sie das auch so sehen, Herr Tumlirsch?

Tumlirsch: Das grundlegende Muster ist auf jeden Fall da, das sehen wir an Gutachten und Statistiken. Aber man muss differenzieren, wo es nur Sprünge und wo es tatsächliche Entwicklungen gibt. Die Richtung geht nach oben, wie Herr Jungehülsing richtig beschrieben hat. Das Herdenverhalten ist ein ganz großes Problem. Das sehen wir gerade bei den Preisen der BVVG-Flächen, die nur ihre eigenen Statistiken heranzieht und nicht das gesamte Marktbild betrachtet, und sich daran dann andere Verpächter orientieren.

Wie problematisch ist die Preisentwicklung?

Jungehülsing: Die Preisentwicklung ist für die aktiven Landwirte, die ihren Betrieb weiterentwickeln wollen und für die junge Generation ein massives Problem. Landwirte müssen mit der Ertragsentwicklung rechnen. Wenn aber insbesondere in den intensiven Regionen Pachten mit 800 bis 1.000 € deutlich über der Grundrente von 500 € je ha gezahlt werden müssen, geht Einkommen von den Bewirtschaftern über zu den Bodeneigentümern. Die Frage heute ist, kann ich Flächenkäufe innerhalb einer Generation noch realisieren? Früher waren kreditfinanzierte Flächenkäufe innerhalb von 25 Jahren getilgt, heute bieten die Agrarkreditfinanzierer solche Kredite über 50 Jahre an, weil es anders nicht mehr möglich ist. Betriebswirtschaftlich ist der Kauf heutzutage in den allermeisten Fällen sinnlos.

Tumlirsch: Da will ich Herrn Jungehülsing gar nicht widersprechen. Aber jede Medaille hat zwei Seiten: Der aktive Betrieb ist durch die Wertsteigerung seiner Flächen ein noch lieber gesehener Kunde bei der Bank, wenn er z. B. einen Stallbau oder andere Investitionen absichern möchte. Andersrum möchte natürlich jeder so günstig wie möglich kaufen, und so hochpreisig wie möglich wieder verkaufen. Hier stellt sich die Frage, ob der landwirtschaftliche Verkehrswert oder - wie Herr Jungehülsing es ansprach – der landwirtschaftliche Ertragswert zählen soll. Was tut im Zweifel mehr weh bzw. was hat mehr Vorteile? In dieser Diskussion konnten wir in Brandenburg leider noch keine Lösung erarbeiten, haben uns aber offen gezeigt.

Welchen Einfluss haben Faktoren wie der Flächenverbrauch und der Einstieg außerlandwirtschaftlicher Investoren?

Tumlirsch: Der Flächenverbrauch durch nicht-landwirtschaftliche Interessen ist enorm und ein Riesenproblem. Flächen für Bebauung fallen im doppelten Sinne weg, einmal durch die Bebauung selbst und einmal durch die darauffolgenden Ausgleichs- bzw. Ersatzmaßnahmen. Hier muss man viel mehr unternehmen. Wenn im Berliner Speckgürtel ein einzelner Hektar für einen sechsstelligen Betrag verkauft wird, sind wir uns alle einig, dass das unsere Preise völlig kaputt macht.

Jungehülsing: Wenn ich einen begrenzten Faktor jedes Jahr verkleinere, brauche ich mich nicht zu wundern, wenn ich damit spekulative Interessen von Investoren wecke und diese sich durchsetzen. Wir haben seit 1992 in ganz Deutschland 1,4 Mio. ha an Agrarfläche verloren, davon könnten wir über 5 Mio. Menschen ernähren. Das entspricht der gesamten Agrarfläche von Rheinland-Pfalz plus der Fläche von 14 Landkreisen in Hessen. Die Kommunen sind für die allermeisten Entscheidungen verantwortlich. Sie können laut einer Studie durch ihre Steuereinnahmen im Durchschnitt 140 % mehr bezahlen als der regionale Landwirt. Da hat der Landwirt verloren, das ist ein großes Problem.

Tumlirsch: Wenn ich ergänzen darf: In ganz Deutschland sind uns ca. 1,4 Mio. ha Agrarfläche und damit einmal die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche Brandenburgs verloren gegangen. Auch durch Natur- und Klimaschutz-Maßnahmen wie Moorflächen wird landwirtschaftliche Fläche aus der Produktion genommen. Aber die Folgenabschätzung für die Agrarstruktur fehlt bei diesen Maßnahmen.

Es braucht gesetzliche Regelungen, dass Agrarflächen wie im Bundeswaldgesetz bei Verlust an anderer Stelle wiederhergestellt werden müssen.“
Jobst Jungehülsing

Gerade die junge Generation der Landwirtinnen und Landwirte kann sich keinen Boden mehr leisten. Was sollte die Politik dagegen unternehmen?

Jungehülsing: Die Politik muss die beiden angesprochenen Kernprobleme, also den Flächenverbrauch und die Spekulation durch Investoren, effektiv angehen. Das tut sie aber nicht. Für die Flächenverluste ist das Bundesumweltministerium zuständig. Dessen Aufgabe wäre es, das EU-Ziel bis 2050 mit den Flächenverlusten auf null zu kommen, durchzusetzen. Momentan entwickeln die einzelnen Bundesressorts Ideen, wofür sie noch mehr Agrarflächen brauchen: für erneuerbare Energien, Wohnungsbau, Moorwiedervernässung usw., aber kein Ressort macht sich über die Folgen Gedanken. Eine Studie des Thünen-Instituts besagt, dass die Flächenverluste 2030 bei 278 ha pro Tag liegen werden, rechnet man Ausgleichsmaßnahmen hinzu. Ich selbst gehe von 330 ha pro Tag aus. Mögliche Instrumente, die wir hätten, werden nicht genutzt, weil es immer noch günstiger ist, einen Hektar Acker zu kaufen, anstatt einen Hektar Industriebrache zu dekontaminieren. Es braucht gesetzliche Regelungen, dass Agrarflächen wie im Bundeswaldgesetz bei Verlust an anderer Stelle wiederhergestellt werden müssen.

Und was braucht es gegen die Spekulationen?

Jungehülsing: Um die Investorennachfrage zu bremsen, brauchen wir moderne Agrarstrukturgesetze die drei zentrale Funktionen ausüben müssen:

1. Die Transparenz auf dem Bodenmarkt verbessern,

2. Anteilskäufe kontrollieren und

 3. spekulative Tendenzen beenden. 

Tumlirsch: Den ersten Teil zu den Flächenverlusten sehe ich wie Herr Jungehülsing. Wir müssen unbedingt ein Erhaltungsgebot für landwirtschaftliche Nutzfläche erreichen, welches Flächenverluste vermeidet. Wir müssen den Blick darauf richten, welche Preise sinnvoll und welche tatsächlich überzogen sind. Und wir müssen das Alterssicherungssystem für Landwirte verbessern und sie nicht nur auf ihr Eigentum verweisen. Landwirte sind gezwungen, über den Altenteil oder über den Verkauf ihr Dasein im Alter abzusichern. Das gibt es so in keiner anderen Branche.

Aber um auf Ihre Frage zur jungen Generation zurückzukommen: Wann war es für Landwirte denn überhaupt einfach, Fläche zu erwerben? Landwirtschaft ist ein sehr kapitalintensiver Bereich. Es war auch früher nicht so, dass jeder Ortsansässige einen eigenen Betrieb erwerben konnte.

Ob nur ein Agrarstrukturverbesserungsgesetz hilft, bezweifle ich. Wir müssen die Rahmenbedingungen der Betriebe insgesamt verbessern, damit sie aus sich heraus Kapital aufbauen können. Wir müssen einkommenswirksame Komponenten stärken und Ärgernisse wie die doppelte Zahlung der Grunderwerbsteuer im Falle eines Vorkaufs durch eine Landgesellschaft endlich abschaffen. Wenn ich es mir nicht leisten kann, wird kein Gesetz der Welt dazu führen, dass Betriebe mehr Fläche ihr Eigen nennen. Wir müssen erst an diesen Stellschrauben drehen, bevor wir ordnungsrechtlich eingreifen. Deshalb glaube ich nicht, dass ein Agrarstrukturgesetz das Allheilmittel sein kann, dafür ist der Bodenmarkt viel zu komplex.

Jeder wartet auf den anderen und es tut sich nichts. Das führt zu einem massiven Reformstau für die Agrarstruktur."
Jobst Jungehülsing

Jungehülsing: Dass Agrarstrukturverbesserungsgesetze es alleine nicht bringen, sehe ich auch so. Wir müssen auch an die Direktzahlungen ran, die inzwischen fast zu 100 % über die Pacht an die Bodeneigentümer weitergereicht werden. Wir müssen die Ideen der Zukunftskommission Landwirtschaft umsetzen und wir müssen an die doppelte Grunderwerbsteuer ran. Das müssen Bund und Länder parallel angehen. Aber jeder wartet auf den anderen und es tut sich nichts. Das führt zu einem massiven Reformstau für die Agrarstruktur. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Bundesländer nicht anfangen, die Spekulation einzugrenzen und die Anteilskäufe zu regulieren. Agrarstrukturgesetze auf Landesebene  sind dafür das zentrale Instrument.

Tumlirsch: Das halte ich aufgrund von vertragsrechtlichen und hoheitlichen Eingriffsrechten für schwierig. Ich halte einzelne Vorschläge in den Agrarstrukturgesetzentwürfen nach meiner juristischen Fachkenntnis für verfassungsrechtlich bedenklich.

Jungehülsing: Aber wir sind uns doch einig: die doppelte Grunderwerbsteuer beim Vorkaufsrecht für Landwirte muss weg. Wenn ein Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern eine Lösung entwickelt hat, die vom BMEL und vom Bundesfinanzministerium in Rückkopplung mit den Finanz- und Agrarverwaltungen aller 16 Bundesländer als juristisch sinnvoll und zweckmäßig eingestuft wurde, warum lässt der Bauernverband eine solche Regelung nicht gesetzlich in Kraft treten, statt noch ein weiteres „Haar in der Suppe“ zu suchen?

Tumlirsch: Das ist nicht unser Verständnis von sauberer Gesetzesarbeit. Das Bundesverfassungsgericht ist häufig anderer Meinung als die Verwaltung. Ich halte es für sehr schwierig, wenn ein erwerbsbereiter Dritter direkt in einen Kaufvertrag eingreifen kann, ohne direkte Beteiligung eines Hoheitsträgers. Da haben wir in unserem Haus große Bedenken, was aber nicht heißt, dass wir die Idee ablehnen. Ein Gesetz, was mit Eigentum in Verbindung steht, muss so abgesichert sein, dass wir nicht in ein paar Jahren darüber diskutieren müssen, ob es verfassungswidrig ist.

Seit mindestens 15 Jahren liegen die Probleme des Bodenmarktes und Lösungsansätze wie der Verzicht der doppelten Grunderwerbsteuer und der Anteilskäufe auf dem Tisch. Wie kommen wir endlich ins Handeln?

Jungehülsing: Ich sage es nochmal: Moderne Agrarstrukturverbesserungsgesetze können die doppelte Grunderwerbsteuer für Landwirte abschaffen, den Vorrang von Landwirten durchsetzen und die Spekulation begrenzen. Diese Gesetzesentwürfe gibt es wie gesagt schon. Warum seit Langem nichts passiert ist, liegt zum einen an der miserablen Transparenz auf dem Bodenmarkt. Es wird nicht erfasst, wie viele Anteilskäufe bzw. Share Deals es gibt. Es werden weder die Preise dieser Anteilskäufe erfasst noch wie viel Grunderwerbsteuer durch die Anteilskäufe umgangen wird.

Woran liegt das?

Jungehülsing: Politiker können die Situation wegen der Intransparenz nicht richtig einschätzen. Probleme werden elegant verschleiert. Denn einige Akteure verdienen mit dem jetzigen Zustand Millionenbeträge und haben keinerlei Interesse an der Herstellung von Transparenz oder staatlichen Eingriffen. Diese Akteure sind gut organisiert und die entsprechenden Verbände, in denen diese organisiert sind, kritisieren jeden Gesetzesentwurf mit dem berüchtigten Dreiklang:

1. Die Länder seien nicht zuständig,

 2. das würde mit dem EU-Recht nicht gehen und

 3. verfassungsrechtliche Fragen seien nicht geklärt. 

Tumlirsch: Das Thema ist zu komplex. Ich glaube, den Entwurf des Agrarstrukturgesetzes in Brandenburg haben die wenigsten im Detail gelesen und ihn verstanden. Hier fängt das Problem schon an.

Jungehülsing: So komplex ist es jetzt auch wieder nicht. Eine Passage zur Preiskontrolle bräuchte man nur aus dem Gesetz in Baden-Württemberg abschreiben und bei Anteilskäufen kann man sich an den Franzosen orientieren.

Wir stehen für unsere Mitglieder ein, das sind bei uns in Brandenburg Betriebe jeder Größe von 15 bis hin zu 6.000 ha.“
Denny Tumlirsch

Welche Rollen spielen eigentlich die Landesbauernverbände? Welche Verantwortung haben sie, sich für die Interessen der Landwirte auf dem Bodenmarkt einzusetzen?

Tumlirsch: Landesbauernverbände sind ihren Mitgliedern verpflichtet. In den einzelnen Gremien wird zu bestimmten Themen demokratisch abgestimmt. Wir stehen für unsere Mitglieder ein, das sind bei uns in Brandenburg Betriebe jeder Größe von 15 bis hin zu 6.000 ha. Da machen wir uns als Verband viele Gedanken, um einen vernünftigen Interessensausgleich zu schaffen.

Wie ist denn das Verhältnis in Ihrer Mitgliederstruktur zwischen Agrarholdings und einzelnen Landwirtinnen und Landwirten?

Tumlirsch: Die Mehrzahl unserer Mitglieder sind natürliche Personen. Aber der Begriff Agrarholding ist ein definierungswürdiger Begriff. Viele Agrargenossenschaften haben in den 90er Jahren aus Fördergründen eine Mutterkuh-GmbH gegründet. Im juristischen Sinne wäre das eine Holding, und davon haben wir in Brandenburg eine ganze Menge. Aber das ist sicher nicht das, was Sie mit einer Agrarholding meinen. Die Aufgabe der ostdeutschen Bauernverbände ist es seit über 30 Jahren, die Interessen der kleinen und großen Betriebe größenunabhängig zu bündeln.

Schauen wir zum Schluss nochmal nach vorne: Wie schätzen Sie die Preisentwicklung auf dem Bodenmarkt in Zukunft ein?

Tumlirsch: Weiter als vier oder fünf Jahre nach vorne zu schauen, wäre unseriös. Ob wir wirklich die Verluste von 330 ha pro Tag laut Herrn Jungehülsing sehen werden, ist noch sehr weit hin. In den nächsten vier, fünf Jahren glaube ich nicht, dass wir riesige Preissprünge sehen, aber ich sehe auch kein Absinken der Preise.

Jungehülsing: Aufgrund der hohen außerlandwirtschaftlichen Nachfrage und der fehlenden Preiskontrolle durch die Länder gehe ich davon aus, dass wir in zehn Jahren im Vergleich zu heute dreimal so hohe Kaufwerte haben.

Wie verändern sich die Eigentümerstrukturen, wenn politisch nichts passiert?

Jungehülsing: Aus meiner Sicht wird der Pachtflächenanteil weiter steigen. Heute beträgt er bundesweit in den Haupterwerbsbetrieben 70 %. Ich gehe davon aus, dass die juristischen Personen weiter zunehmen werden, vielleicht ist das für einige Betriebe sogar die bessere Organisationsform. Aber bei der Preisentwicklung gehe ich davon aus, dass Flächenkäufe für normale Landwirte fast unmöglich werden.

Tumlirsch: Einer Studie zufolge soll in Brandenburg eine Verengung der Fläche auf wenige Berechtigte zu beobachten sein. Ob das so weitergeht, da wäre ich aktuell vorsichtig, weil wir auch sehen, dass der Bodenmarkt sich regelmäßig ändern kann. Ich weiß nicht, ob man das so absolut darstellen kann, wie Herr Jungehülsing es sagt. Es wird immer Veränderungen in den Eigentümerstrukturen geben, gerade jetzt, wo die Generation nach der Wende demnächst zu Erblassern wird.

Was macht das mit den Regionen, wenn die Landwirtschaft weniger regional verankert ist?

Jungehülsing: Es gibt harte und weiche Faktoren. Weiche Faktoren bestehen aus der Verbindung zum Boden bzw. Eigentum: Will ich das in die nächste Generation weitergeben? Kümmere ich mich darum? Achte ich auf die Umwelt, damit alles im Gleichgewicht bleibt? Wenn die Eigentümer in der Region wohnen, funktioniert das. Landwirte nehmen am sozialen Leben im Dorf teil, sind im Gemeinderat, setzen sich für die Interessen vor Ort ein.

Wenn ein Betrieb bspw. von Hamburg aus geleitet wird, wo regelmäßig der Geschäftsführer wechselt, gibt es wenig Bezug zu den Dörfern. Zu den harten Faktoren zählen Unternehmensverbünde, die Gewinne und Steuern dorthin schieben können, wo es ihnen am wenigsten weh tut. Das ist zwar legitim, hat aber agrarstrukturell oder regional nachteilige Effekte. Steuereinnahmen der Kommunen gehen zurück, die Grunderwerbsteuer wird umgangen.

Tumlirsch: Das stimmt, muss aber keine Frage der Rechtsform sein: In einem 5.000 ha-Betrieb mit bspw. 68 Genossenschaftsmitgliedern, die im Wesentlichen in der Genossenschaft mitarbeiten, werden die Flächen von deren Standorten aus bewirtschaftet. Die Strukturen bei uns sind gewachsen und häufig gibt es mehr als einen Stützpunkt. Wenn ich aber einen Betrieb habe, der keinen Bezug mehr zur Region hat – und da bin ich bei Herrn Jungehülsing – verliert alles seinen Charakter. Dies muss und soll man verhindern. Wir wollen natürlich eine regional verankerte Landwirtschaft. Aber Gründe, warum dies teilweise nicht mehr der Fall ist, liegen auch in demographischen und gesellschaftspolitischen Ursachen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Zum Hintergrund

Die Umgehung der Grunderwerbsteuer über Share Deals

Die große Koalition hat in der letzten Legislatur die Hürden für Share Deals, bei denen grunderwerbsteuerfrei Betriebsanteile veräußert werden, erhöht. Allerdings konnten sich CDU/CSU und SPD nur darauf einigen, die Auslöseschwelle für die Zahlung von Grunderwerbsteuer von zuvor 95 % auf einen Anteilskauf von 90 % abzusenken. Alle Anteilskäufe, die darunterliegen, bleiben weiterhin grunderwerbsteuerfrei.

Das Problem mit der doppelten Grunderwerbsteuer

Landgesellschaften gibt es in den meisten Bundesländern. Sie können durch die Ausübung des Vorkaufsrechts nach dem Grundstücksverkehrsgesetz die Position aktiver Landwirtinnen und Landwirte auf dem Bodenmarkt stärken. In Bundesländern ohne Landgesellschaft (BB, NRW, RP) nehmen andere Behörden oder andere Landgesellschaften die Aufgabe wahr. Sie können über den Zwischenerwerb oder durch den Aufbau eines Flächenpools und das Angebot von Tauschflächen landwirtschaftsverträgliche Entwicklungsschritte von Städten und Gemeinden erleichtern. Allerdings fällt beim Flächenkauf durch Landgesellschaften dann die Grunderwerbsteuer doppelt an: Einmal beim Kauf durch die Landgesellschaft und einmal beim Weiterverkauf an einen landwirtschaftlichen Betrieb. Über Agrarstrukturgesetze haben einige Länder versucht, die Landwirtschaft von der Zahlung der doppelten Grunderwerbsteuer beim Flächentausch über eine gemeinnützige Landgesellschaft zu befreien.

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