„Ich bin in die Landwirtschaft eingestiegen, weil ich es liebe. Aber es ist mittlerweile so schwer geworden, genug Geld zu verdienen, dass ich mir einen zweiten Job suche.“ Das sagte der 37-jährige Rinder- und Schafhalter Chris Callow aus Axbridge in Somerset gegenüber Independent Digital News.
Tiere auf Viehmarkt nicht mehr bezahlbar
Zusammen mit seiner Frau Jaz hat er eigentlich vor, die Farm auszubauen und an seine sechs Kinder weiterzugeben – aber nicht alles läuft nach Plan. The Independent trifft das Paar auf dem Viehmarkt in Frome. Dort wollten sie eigentlich ein paar Rinder kaufen, aber sie sind zu teuer. Kostete ein Kalb früher etwa 50 bis 60 Pfund pro Stück, also 60 bis 70 €, so sind es jetzt zwischen 150 und 160 Pfund (180 bis 190 €).
Dasselbe gelte für Schafe, fügte er hinzu. In der Vergangenheit hat er rund 1.500 Lämmer gekauft, um sie über den Winter auf den fast 200 ha Land, die er pachtet, zu mästen, aber dieses Jahr kann er sich das ebenfalls nicht mehr leisten. Laut Callow sind die Kosten nach dem Brexit in die Höhe geschossen.
Können mit den Großen nicht mehr mithalten
Laut Statistik sind die Preise für Kälber zwischen 2020 und 2022 um 4 % gestiegen, während die Produktion, einschließlich Arbeitskräfte und Futter, um 27 % teurer wurde.
„Es wird so schwierig“, sagt er. „Die Jungs auf den Großfarmen haben die Mittel, riesige Vorräte aufzukaufen, aber wir haben einfach nicht das Geld, um überhaupt richtig anzufangen.“ Er wisse nicht, was er tun soll. Erst einmal mache er so weiter, werde sich aber einen Nebenjob in der Forstbranche suchen. Und Jaz Callow fügt hinzu, dass die Weihnachtsgeschenke für die sechs Kinder dieses Jahr kleiner ausfallen.
Starker Strukturwandel auf der Insel
Die Geschichte des Paares ist laut der Zeitung kein Einzelfall. Statistiken zeigen, dass die Zahl der Agrarbetriebe in England mit einer Fläche von bis zu 50 ha zwischen 2015 und 2023 um 28 % gesunken ist, während die Zahl der Höfe mit mehr als 200 ha im gleichen Zeitraum um 8 % gestiegen ist. Kleinere Familienbetriebe sagen, dass sie Schwierigkeiten haben, mit größeren Unternehmen zu konkurrieren, die Land und Vieh leichter kaufen und in Technologie investieren können.
Viehmarkt bangt um seine Zukunft
Und der Haushaltsplan der Labour Party wird die Herausforderung noch vergrößern, so The Independent weiter. U.a. werden die Erhöhung des Mindestlohns, der Sozialversicherung für Arbeitgeber sowie die Einführung einer Erbschaftsteuer auf Land und KfZ-Steuer auf Traktoren den Strukturwandel weiter anheizen. Der Geschäftsführer des Fromer Viehmarktes, Bradley Towell, befürchtet jedenfalls schon, dass die Zahl der angebotenen Tiere künftig deutlich kleiner wird.
„Es gibt in der Viehzucht keine große Gewinnspanne. Es ist harte Arbeit und lange Arbeitszeiten und ich fürchte, es gibt wenig Anreiz für die jüngere Generation, in diesen Bereich einzusteigen“, so Towell. „Und was auch immer die Leute über die Erbschaftssteuer denken, fest steht, dass der Schutz der Familienfarmen weiter schwindet. Sie machen sich große Sorgen um die Zukunft.“
Erbschaftsteuer auf Land ist aktuell DAS Reizthema
Das Gespräch über die neue Erbschaftsteuer auf Landbesitz bekommt Landwirtin Caroline Cunningham aus Wiltshire mit. Sie meint, dass die Politiker denken, dass Bauern reich sind, was nicht immer der Fall sei. Und Landwirt John Strachan fügt, dass viele Familienbetriebe bereits verkauft wurden. Die neuen Gesetze würden nur dazu führen, dass noch mehr verschwinden, da die jüngere Generation sich die Steuer nicht leisten kann und mehr Land für Dinge wie Solarparks genutzt wird.
Ein anderer Bauer stellt klar: „Nur zum Schein soll es eine Steuer sein, die wohlhabende Landbesitzer einschränkt, aber in Wirklichkeit wird sie am Ende Familienbetriebe treffen.“ Die Politiker hätten ihr Ziel völlig verfehlt. „Vielleicht ist es ihnen egal, sie denken, wir sind alle Tory-Wähler, die sowieso nie für sie stimmen würden.“
Die Aufgabewelle rollt erst an
Gareth Wyn Jones, Landwirt aus Nordwales, sagt, dass er nach den Änderungen im Haushalt nach 375 Jahren die letzte Generation seines Familienbetriebs sein wird.
Die Zahl der Landwirte in England ist zwischen 2020 und 2024 um 5 % gesunken und 38 % sind 65 Jahre und älter, wie aus den neuesten Zahlen des britischen Ministeriums für Landwirtschaftsministerium hervorgeht. Jones sagt: „Wir steuern schlafwandelnd auf eine Nahrungsmittelknappheit zu. Bei einer wachsenden Bevölkerung brauchen wir die Landwirte, die das Land bearbeiten, um für die Ernährung und gute Lebensmittel zu sorgen – wir wollen sie schützen, nicht abschrecken.“
Ähnlich wie der Bauernverband NFU glaubt auch Jones nicht Premierminister Sir Keir Starmer. Der behauptet, dass die „überwältigende Mehrheit“ der Landwirte von den Änderungen der Erbschaftssteuer durch die Reform des Agricultural Property Relief (APR) nicht betroffen sein wird. Und Schatzkanzlerin Rachel Reeves sagte, der Schwellenwert könne in einigen Fällen aufgrund anderer Freibeträge erst bei 3 Mio. Pfund liegen.
Depressionen und Selbstmorde unter Bauern nehmen zu
Der Bauernverband schätzt die Zukunft der Familienbetriebe als „katastrophal“ ein. Sie seien schon durch die knapperen Margen und das extreme Wetter „bereits bis zum Zerreißen belastet“.
Die Selbstmordrate in der Branche soll bereits die höchste aller britischen Wirtschaftssektoren sein. Eine Studie aus dem Jahr 2021 ergab zudem, dass mehr als ein Drittel der Farmer möglicherweise oder wahrscheinlich depressiv ist. Die Bauern fühlen sich ungeliebt, im Stich gelassen, berichtet der 37-jährige Sam Stable. Er hatte vor 14 Jahren versucht, sich das Leben zu nehmen, als der Druck bei der Arbeit und im Privatleben dazu führte, dass „alles außer Kontrolle geriet“, wie er sagt.
Der Vater zweier Kinder gründete eine Wohltätigkeitsorganisation mit einer rund um die Uhr erreichbaren Hotline für Landwirte in seiner Grafschaft. Sie bietet auch Beratung für 60 Menschen in der Landwirtschaftsgemeinschaft. Bis jetzt sei die Lage noch ruhig. Er befürchtet aber, dass die Nachfrage steigt, wenn die Pläne so wie geplant umgesetzt werden.
„Die Landwirte sind im Moment wie betäubt. Sie fragen sich, was können sie uns als Nächstes noch an den Kopf werfen. Es herrscht große Wut über das mangelnde Verständnis der Politiker.“