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Windkraftboom in NRW: Geht das so weiter?

Bei der Windenergie wird in Nordrhein-Westfalen genehmigt und gebaut wie lange nicht – trotz neuer Herausforderungen. Heinz Thier und Michael Schlüß, BBWind werfen einen Blick zurück und voraus.

Lesezeit: 9 Minuten

Die Projektberatungsgesellschaft BBWind aus Münster steht für "Bäuerlicher Bürgerwind" und unterstützt Landwirte und Anwohner bei Planung, Realisierung und Betrieb (ohne eigenen finanziell Beteiligung) von Bürgerwindparks. Viel Wert legt das Unternehmen auf die Einbindung und Beteiligung von Anwohnern und Grundstücksnachbarn.

Ende des Jahres ist der langjährige Geschäftsführer Heinz Thier in den Ruhestand gegangen. Nach 47 Jahren in der WLV-Familie hat er die Geschäftsführung der BBWind Projektberatungsgesellschaft mbH an Michael Schlüß übergeben. Von 1978 bis 2012 war Thier Unternehmensberater bei der BSB-GmbH – landwirtschaftliche Buchstelle bevor er im Mai 2012 zusammen mit einer Mitarbeiterin und einem Mitarbeiter die BBWind an den Start brachte. 

Michael Schlüß ist fast von Anfang an dabei. Im Jahr 2013 wechselte der gelernte Bankkaufmann und Absolvent des Studiengangs Bachelor of Science Finance zur BBWind. Seit 2019 war er Prokurist bevor er im Sommer 2024 zum zweiten Geschäftsführer ernannt wurde.

Heute hat die BBWind 66 Mitarbeiter. Allein im Jahr 2024 haben diese die Genehmigung für 100 Windenergieanlagen erreicht. Insgesamt gingen in den vergangenen Jahren  mit ihrer Hilfe über 150 Windenergieanlagen mit einer Leistung von mehr als 600 MW ans Netz.

Im Bundesländer-Ranking schiebt sich mit 152 neuen Windturbinen und 733 MW Leistung das Bundesland Nordrhein-Westfalen auf Rang 1 vor, dahinter folgen Niedersachsen (126 Anlagen, 652 MW), Schleswig-Holstein (115 Anlagen, 579 MW), Brandenburg (69 Anlagen, 360 MW) und Sachsen-Anhalt (46 Anlagen, 250 MW). Wir sprachen mit dem ehemaligen und dem neuen Geschäftsführer der BBWind über die aktuellen Herausforderungen des Bundeslandes im Bereich Windenergie.

Gute Rahmenbedingungen

Das Jahr 2024 war das bisher genehmigungsstärkste Jahr. Bundesweit, aber besonders auch in NRW. Hier wurden allein in den ersten zehn Monaten des Jahres fast 560 neue Windenergieanlagen (WEA) genehmigt. Zum Vergleich: 2023 waren es 333 und 2022 im ganzen Jahr 186 Genehmigungen. Woran liegt das?

Thier: Die politischen Rahmenbedingungen haben sich auf Bundes-, aber auch auf Landesebene deutlich verbessert. Der Ausbau ist gewollt. Während die Genehmigungsverfahren zwischen 2018 und 2022 im Schnitt immer länger und länger gedauert haben, geht es jetzt wieder schneller. Und auch in der Bevölkerung ist die Akzeptanz für Windenergie gestiegen.  Gerade in der Energiekrise nach Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine haben viele gesehen, wie wichtig eine heimische Energieversorgung und damit auch die Windenergie ist.

Dennoch gibt es immer wieder Widerstand.

Schlüß: Natürlich. 100 % Akzeptanz ist schwer zu erreichen. An der niederländischen Grenze zum Beispiel stößt eines unserer Projekte auf Kritik, weil die Kommunen Auswirkungen auf den Tourismus befürchten. In den allermeisten Fällen erleben wir aber, dass Gespräche und eine offene Kommunikation helfen, Vorbehalte auszuräumen. Es ist wichtig, die Menschen vor Ort mitzunehmen und ihnen die Möglichkeit zu geben sich an den Projekten zu beteiligen – sowohl inhaltlich als auch finanziell.

Anlagen werden größer

Die Anlagen werden zunehmend ­größer. Schreckt nicht auch das ab?

Thier: Ja, sie werden größer. Als wir vor fast 13 Jahren angefangen haben, hatten Windenergieanlagen eine Gesamthöhe von etwa 150 m. Die Nennleistung lag bei 2 MW, die Stromproduktion bei rund 6 bis 7 Mio. kWh pro Jahr. Heute sind die Anlagen 100 m höher, haben Generatoren mit 6 bis 7 MW und produzieren 15 bis 17 Mio. kWh pro Jahr. 250 m Gesamthöhe: Das ist natürlich was. Der Abstand zur Wohnbebauung im Außenbereich muss mindestens das doppelte der Anlagenhöhe betragen, also rund 500 m. Bei unseren Projekten haben die Anwohner immer die Möglichkeit, sich zu beteiligen. Trotzdem hätten manche Anwohner lieber kein Windrad vor der Tür und würden lieber weiter den freien Blick genießen. Das ist verständlich. Allerdings ist baurechtlich im Außenbereich nicht das Wohnen privilegiert, sondern Nutzungen wie Landwirtschaft oder eben auch Windenergie.

Wird die Entwicklung so weiter gehen? Immer größer und leistungsstärker?

Schlüß: Die Hersteller kommen mit der Größenentwicklung an physikalische Grenzen. Die neuen, ganz großen Anlagen mit einem Rotordurchmesser größer 170 m und einer Nennleistung von 6 bzw. 7 MW stecken noch in den Kinderschuhen. Neben der Größe stehen aber weitere technische Herausforderungen an. Im Moment steht deshalb „noch größer“ weniger auf dem Plan: Die Hersteller arbeiten zurzeit an der Serienreife dieser Anlagen. Allerdings setzen viele neue Projekte auf diese Anlagengrößen, da sie auch wichtig sind, um eine grundsätzliche Wirtschaftlichkeit in den Projekten zu realisieren.

Obwohl sie noch nicht serienreif sind?

Schlüß: Die allermeisten zukünftigen Betreiber wollen möglichst moderne, möglichst leistungsfähige Anlagen bauen. Wenn sie sich im Laufe des Genehmigungsprozesses für eine Anlage entscheiden müssen, dauert es ja noch bis zum tatsächlichen Bau. Bis dahin sind die Anlagen dann in der Regel serienreif. In der Vergangenheit haben wir mit diesem Vorgehen gute Erfahrungen gemacht, wenn auch die ersten Monate nach der Inbetriebnahme etwas holprig verlaufen sind. 

Komplexe Technik, steigende Kosten

Sie sprachen von weiteren steigenden technischen Anforderungen.

Schlüß: Die gesamte Anlagentechnik ist sehr komplex. In Deutschland ergeben sich zudem insbesondere aus den Anforderungen zum Schallschutz Herausforderungen, die für manchen Hersteller nicht leicht einzuhalten sind. Es ist tatsächlich so: Aktuell sind die technischen Herausforderungen so hoch wie nie.

Und wie sieht es mit der Wirtschaftlichkeit aus? Die Anlagen werden doch immer teurer und zudem ist ungewiss, wie es in den nächsten Jahren mit der Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) weiter geht.

Schlüß: Es stimmt. Allein in den vergangenen zwei Jahren sind die Baukosten um 30 bis 40 % gestiegen. Die Zinsen sind weniger stark gefallen, als erwartet. Gleichzeitig wird es in den Ausschreibungen enger. In den vergangenen zwei Jahren bekamen Gebote auf Niveau des Höchstgebotswertes Zuschläge. Das wird sich ändern. Hinzu kommen steigende Kosten für den Netzanschluss. Natürlich leidet die Wirtschaftlichkeit unter dieser Entwicklung. Insgesamt steigt auch unser Beratungsaufwand. Aber wir sind sicher, dass gerade Bürgerwindprojekte weiter wirtschaftlich bleiben werden.

Warum meinen Sie das?

Thier: Auch wenn die Kosten allgemein steigen, bleiben Bürgerwindprojekte kostengünstiger als andere. Das fängt schon bei der Flächenpacht an. Andere Projektierer überbieten sich gerade. Bei Bürgerwindprojekten investieren die Landeigentümer in der Regel mit, haben also auch ein Interesse am wirtschaftlichen Erfolg der Anlagen. Unter gewissen Umständen erhalten Bürgerwindprojekte zudem in der Ausschreibung gesichert einen Zuschlag in Höhe von derzeit 7,35 ct/kWh.

Probleme im Stromnetz

Zu den Heraus­forderungen gehören der Netzanschluss, aber auch negative Strompreise, oder?.

Schlüß: Die Netzanbindung und die Kosten für den Netzanschluss sind tatsächlich ein Riesenthema. Heute erfolgt der Anschluss schon beim Bau von zwei oder drei Anlagen am Hochspannungsnetz. Dafür ist die Errichtung eines Umspannwerkes erforderlich. Häufig ist es auch sinnvoll mit dem benachbarten Projekt, egal ob Photovoltaik oder Windenergie, zusammenzuarbeiten und ein gemeinsames Umspannwerk zu errichten. Da kommen trotzdem noch allein für den Netzanschluss schnell siebenstellige Summen zusammen.

Die Entwicklung bei den negativen Strompreisen berücksichtigen wir natürlich bei jeder Planung. Sie werden am Gewinn knabbern, unserer Meinung nach in den nächsten 30 Jahren die Wirtschaftlichkeit aber nicht gefährden. Die finanzierenden Banken sehen das Thema bisher ebenfalls nicht als projektgefährdend an. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Zeiten, in denen Anlagen aufgrund negativer Strompreise nicht einspeisen, ja nicht weg sind, sondern nach Ende der 20jährigen EEG-Laufzeit angehängt werden. 

Und was ist mit dem Bau von Batteriespeichern?

Schlüß: Speicher und auch die Sektorenkopplung, also die Verwendung von Überschussstrom für die Mobilität oder die Wärmeversorgung müssen wir auf jeden Fall im Kopf haben. Auch die Windbranche muss systemdienlich denken. Sicher werden Projekte kommen, bei denen parallel zur Windenergieanlage Speicher gebaut werden. Die Investition in Großspeicher sehen wir jedoch nicht als ein Projekt an, in das Bürger investieren sollten.

Warum nicht? Das Geschäft scheint doch sehr lukrativ. Zumindest sind mehr und mehr Firmen auf dem Markt, die in große Batteriespeicher investieren wollen und geeignete Flächen für den Bau suchen. Zum Teil sind enorme Pachtzahlungen im Gespräch.

Thier: Das mag sein. Aber diese Speicher kosten richtig viel Geld – je MWh je nach Projektgröße um die 600.000 bis 750.000 €. Bei einem Speicher mit 100 MWh sind das mindestens 60 Mio. €. Sehr viel für ein Bürgerprojekt. Dazu kommt, dass die Banken sich mit der Finanzierung eher schwer tun. Der Investition steht ja kein sicherer Ertrag, keine EEG-Vergütung gegenüber, sondern allein eine Markterwartung, die davon ausgeht, dass die Spanne zwischen niedrigstem und höchstem Börsenstrompreis in einem kurzen Zeitraum möglichst hoch ist. Die einzelnen Speicherprojekte kannibalisieren sich damit gegenseitig: Je mehr Speicher, desto glatter passen Stromangebot und – nachfrage zusammen und desto geringer werden die Gewinnaussichten. Und was, wenn wieder eine Energiekrise kommt? Auch dann sind die Preisspitzen weg. Von diesen aber leben die Energiespeicher.

Schlüß: Speicher sind wichtig für das Gesamtsystem. Landwirte sind Unternehmer. Wenn sie es für richtig halten, werden sie in die Technik investieren Als BBWind werden wir uns allerdings zunächst nicht ins Speichergeschäft begeben, sondern uns bei Anfragen auf Koordinationsaufgaben beschränken. 

Die künftige Finanzierung

Sie haben gesagt, dass Sie davon ausgehen, dass Windprojekte auch in Zukunft wirtschaftlich bleiben. Aber auf welcher Basis kalkulieren Sie neue Projekte? Die EEG-Festvergütung soll doch spätestens 2027 ein Ende haben.

Schlüß: Tatsächlich geht man in Deutschland davon aus, dass ab dem 1. Januar 2027 ein neues EEG mit einem neuen Vergütungsmodell gelten wird, da wir einen gewissen Systemwechsel auch von der EU aufgetragen bekommen haben. Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach das Ende der Festvergütung sein, wie wir sie seit über 20 Jahren kennen. Was die neue Bundesregierung beschließen wird, ist aktuell genauso offen wie der Zeitpunkt, ab der die Änderungen gelten werden. Vielleicht ändert die Politik das EEG ja auch schon früher. Wer weiß? Es besteht also ein politisches Risiko bei der Anlagenplanung. Das war aber auch in der Vergangenheit so. Von der Idee bis zur Inbetriebnahme vergehen mindestens vier Jahre, meist mehr. In diesem Zeitraum hat sich das EEG bisher immer verändert. Deshalb und wegen Unsicherheiten im Genehmigungsverfahren startet ein Windprojekt immer mit Risikokapital. Jeder Schritt weiter im Planungs- und Genehmigungsprozess senkt dann das Risiko. Bei Projektstart aber war auch in den vergangenen 15 oder 20 Jahren immer unsicher, was später gilt.

Experten gehen davon aus, dass die Banken mit Ende der Festvergütung höhere Eigenkapitalquoten fordern werden. Was sagen Sie dazu? Könnte das ein Investitionshemmnis werden?

Schlüß: Natürlich gibt es heute schon Projektierer, die mit einer Eigenkapitalquote von 5 % oder weniger an den Start gehen. Für die könnte es mit einem neuen Förderregime eng werden. Bürgerenergieprojekte sind aber schon heute mit 15 bis 25 % Eigenkapital ausgestattet. Auch wenn es im Vorfeld schon mal Befürchtungen gibt: Ich kenne kein Projekt, dass das benötigte Eigenkapital nicht zusammenbekommen hat. Bei Bürgerwindprojekten sehe ich selbst geforderte Eigenkapitalquoten von 30 % nicht als ein Problem an.

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