Das European Chicken Commitment (ECC), auch Europäische Masthuhn-Initiative genannt, schreibt Standards für die Geflügelhaltung vor, die teils deutlich über den EU-Vorschriften liegen. Wie sieht der ZDG das Konzept?
Schleicher: Wir sehen das mit großer Sorge. Unser zentraler Kritikpunkt ist, dass im ECC nur einzelne Haltungsanforderungen in den Vordergrund gerückt werden. Unberücksichtigt bleiben zum Beispiel die Klimabilanz der Erzeugnisse und der erforderliche Ressourceneinsatz.
In der EU wären 1,57 Mio. Hektar zusätzliche Futterfläche nötig, soll im ECC-Standard die gleiche Hähnchenfleischmenge erzeugt werden wie bisher. Soll die Zukunft der EU-Tierhaltung künftig tatsächlich in ineffizienten Produktionsweisen liegen?
Wie würde sich die Produktion in der EU verändern?
Schleicher: Mit einer vollständigen Umstellung auf ECC würden knapp 45 % der Erzeugung in der EU wegbrechen. Ein Strukturbruch wäre die Folge und die EU wäre auf deutlich höhere Importe von Geflügelfleisch angewiesen, um die Nachfrage zu decken. Ich glaube nicht, dass die Hähnchenhaltung beispielsweise in Brasilien, Thailand oder der Ukraine unter besseren Standards durchgeführt wird als in Deutschland.
Mit Blick auf Ernährungssicherung, Klima- und Umweltschutz, Ressourceneffizienz und soziale Standards ist ECC aus unserer Sicht kein geeigneter Weg für die Weiterentwicklung der Tierhaltung.
Bei ECC bräuchten wir 1,57 Mio. Hektar mehr Futterfläche.
Wo üben Sie noch Kritik?
Schleicher: Das ECC ist nicht „das Haltungsprogramm zur guten Hähnchenhaltung“, wie es von den europäischen Tierschutzorganisationen, die es ins Leben gerufen haben, dargestellt wird.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Im von der Wirtschaft entwickelten Konzept der Haltungsformen ist ein Auslauf bzw. Außenklimabereich vorgesehen (HF 3). Beim ECC nicht!
Aldi hat sich früh hinter ECC gestellt. Welche Folgen hat das für die Geflügelbranche, wenn so ein großer Discounter mitmacht?
Schleicher: Höhere Standards führen grundsätzlich zu steigenden Produktionskosten. Der Platzbedarf steigt und die Aufzuchtzeiten werden länger, wenn nur noch langsam wachsende Geflügelrassen eingesetzt werden dürfen. Die Mehrkosten müssen refinanziert werden, also auf die Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt werden.
Über die ITW und die Haltungsformkennzeichnung hat die Wirtschaft ein System geschaffen, dass nicht nur einen Ausgleich der höheren Kosten über die Ladenkasse ermöglicht, sondern bei dem die Mehrkosten auch im Rahmen bleiben.
Kritisch sehe ich Einschränkungen im Angebot. Aldi zum Beispiel kommuniziert das mit seinem Projekt Haltungswechsel. Jede Konsumentin und jeder Konsument sollte auch weiterhin in einem freien Markt aus einem breiten Angebot hervorragender und sicherer Geflügelerzeugnisse auswählen können.
Rund 60 % des Geflügels werden über den Außer-Haus-Verzehr abgesetzt. Inwieweit stellt sich dieser Sektor hinter ECC und welche Folgen hat das?
Schleicher: Laut Website der Masthuhn-Initiative sind bekannte Namen wie Ikea, KFC, Vapiano oder aramark dabei. Am Beispiel einer großen Geflügel-Fast-Food-Kette aus Großbritannien zeigt sich zwar, dass eine Absichtserklärung schnell mit einem Federstrich unterzeichnet ist. Die Umsetzung in der realen Welt unter Ausblendung der Marktkräfte scheitert dann jedoch schnell.
Wer macht künftig das Rennen?
Schleicher: Ich bin mir sicher, dass die Haltungsformstufe 2 auch in Zukunft den größten Anteil am Konsum einnehmen wird. Das gilt sowohl im Außer-Haus-Bereich als auch im Retail. HF 2 ist für mich die nachhaltigste Form der Geflügelfleischerzeugung.
Die deutschen Geflügelfleischerzeuger sind aus meiner Sicht bereits jetzt auf dem richtigen Weg. Denn sie bedienen die Nachfrage und aktuell werden 90 % der Hähnchen in Deutschland nach den Kriterien der HF 2 aufgezogen. Damit wächst der Großteil der Hähnchen weit über internationalem Niveau auf.
Welche wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Folgen hat das ECC nach Einschätzung des ZDG auf die europäischen und die deutschen Geflügelhalter bzw. Geflügelwirtschaft mittelfristig?
Schleicher: In sämtlichen Runden, in denen über eine gute Tierhaltung diskutiert und beraten wird, fehlt mir die Verständigung auf die zentrale Grundannahme: „Mensch vor Tier“!
Ich sage es ganz deutlich: Wir halten landwirtschaftliche Nutztiere zur Erzeugung von Lebensmitteln. Das Wohlergehen unserer Tierhalter darf nicht noch länger den lauten NGO-Minderheiten untergeordnet werden. Deren ständige Forderungen nach immer schärferen Haltungskriterien für lebensmittelliefernde Tiere finden nie ein Ende.
HF 2 wird künftig den größten Anteil am Konsum ausmachen.
Welche Folgen hätte die Produktion unter ECC-Standard für das Preisniveau und den CO2-Fußabdruck bei Geflügelfleisch?
Schleicher: Gemeinsam mit unserem europäischen Dachverband haben wir einen wissenschaftlichen Vergleich der Kosten, der Umweltauswirkungen und der strukturellen Folgen einer vollständigen Umstellung der europäischen Erzeugung auf ECC erstellen lassen.
Einschließlich der Opportunitätskosten verdoppelt sich unter ECC-Bedingungen zum Beispiel der Preis des Hähnchenbrustfilets für den Verbraucher. Ferner verschlechtert sich die Klimabilanz deutlich. Um knapp 25 % steigt beispielsweise der CO2-Fußabdruck je Kilogramm Hähnchenfleisch aufgrund der Vorgabe, nur noch langsam wachsende Rassen einzusetzen.
Würde künftig nur noch nach ECC-Standard produziert, müssten zahl-reiche neue Geflügelställe gebaut werden, um die Produktionsmenge halten zu können. Ist das realistisch?
Schleicher: Stand heute besteht in Deutschland nur punktuell die Möglichkeit, neue Ställe genehmigt zu bekommen. Das liegt einerseits am komplizierten Bau- und Immissionsschutzrecht und andererseits an der NGO-getriebenen Anti-Tierhaltungsstimmung.
Bei einer vollständigen Umstellung auf ECC müssten in der EU rund 9.700 neue Ställe gebaut werden, um die gleiche Menge an Hähnchenfleisch zu erzeugen. Die zusätzliche Flächenversiegelung wäre enorm. Auch daran wird klar, dass ECC kaum etwas mit nachhaltiger Erzeugung zu tun hat.
Welche Forderungen stellt der ZDG an die Abnehmer von Geflügelfleisch im Handel, der Gastronomie etc., damit der deutsche Geflügelfleischsektor wettbewerbsfähig bleibt?
Schleicher: Der einheimischen Erzeugung würde eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung im Außer-Haus-Verzehr helfen. Die Gastrono-mie bzw. der Außer-Haus-Bereich könnten sich darauf verständigen, die Herkunft von Geflügel grundsätzlich zu kennzeichnen. Wir stehen als Partner für eine branchengetragene Lösung bereit.
Was sollte die künftige Bundesregierung ändern?
Schleicher: Sie müsste das Stückwerk-Gesetz über die staatliche Haltungskennzeichnung für Schweinefleisch zurücknehmen. Dieses Label nützt niemandem. Stattdessen sollte das etablierte System der Wirtschaft über die Haltungsformkennzeichnung (einschließlich ITW) für alle Tierarten von staatlicher Seite anerkannt werden.