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Agrarpolitik bei der Landtagswahl Maisernte Baywa in Insolvenzgefahr

topplus Vor den Landtagswahlen

Agrarministerin Karawanskij: „Der Frust der Landwirte ist angekommen“

Thüringens Agrarministerin Karawanskij will den Bürokratieabbau als Vorsitzende der Agrarministerkonferenz anschieben. Wie blickt sie auf die Landtagswahl und das Erstarken von AfD und BSW?

Lesezeit: 9 Minuten

Am 1. September wählen Thüringen und Sachsen einen neuen Landtag. Im Interview spricht die Agrarministerin von Thüringen, Susanna Karawanskij von den Linken, über die Stimmung in der Landwirtschaft in ihrem Bundesland, ihre Erfahrungen aus dem Wahlkampf und die Erwartungen an die künftige Agrarpolitik.

top agrar: Welche Rolle spielte das Thema Landwirtschaft im Wahlkampf in Thüringen?

Karawanskij: Im Wahlkampf, muss ich ehrlicherweise sagen, spielt die Landwirtschaft eine untergeordnete Rolle. Die großen Themen sind Bildung, Infrastruktur gerade in den ländlichen Räumen und die Frage von Demokratie und Frieden. In meinem Wahlkreis Sonneberg spielt auch das Thema Wald, Erneuerbare Energie und Nachhaltigkeit eine Rolle.

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Die Bauernproteste haben zu Beginn des Jahres ordentlich Aufmerksamkeit für das Thema Landwirtschaft gebracht. Wie nehmen Sie die Stimmung jetzt wahr?

Karawanskij: Wir hatten zu Beginn des Jahres mit den Bauernprotesten eine große Aufmerksamkeit für die Landwirtschaft. Diese Sorgen und Nöte sind auch nicht weg. Der Fokus in den letzten Wochen liegt gerade bei den Obst- und Weinbauern auf den Frostschäden, Ernteverlusten und den Umsatzeinbußen, die diese in diesem Jahr zu verkraften haben. Wir haben gerade erst eine Richtlinie aufgestellt, mit der wie sie unterstützen.

In direkten Gesprächen erfahre ich, dass viele Landwirtinnen und Landwirte das Thema Hofnachfolge und der Generationswechsel umtreibt. Wir sind mit einer Junglandwirteförderung an den Start gegangen, wo wir bei Betriebsübernahmen 70.000 € Startkapital zahlen. Das ist zumindest eine gute Anfangsunterstützung, für die eine hohe Nachfrage besteht.

Das dritte Thema sind die einbrechenden Absatzzahlen in der Direktvermarktung und der Bürokratieabbau. Das Thema wird uns auch nicht so schnell verlassen und da gibt es ganz konkrete Vorschläge, was man besser machen kann.

Jetzt zu meinen, diese massiven Proteste hätten nichts gebracht, wäre danebengegriffen.

Als Folge der Bauernproteste haben die Länder in der Agrarministerkonferenz eine Liste mit 200 Vorschlägen zum Bürokratieabbau eingereicht. Welchen Fortschritt sehen Sie dabei? Kommt das bei den Landwirtinnen und Landwirten an?

Karawanskij: Der Frust der Landwirte ist in der Politik angekommen. Jetzt zu meinen, es wäre nichts passiert, diese massiven Proteste hätten nichts gebracht, das wäre danebengegriffen. Wir haben zum Bürokratieabbau nicht nur Arbeitsgruppen gebildet, sondern sind auch schon ein paar Schritte weiter als die 200 Vorschläge. Wir haben erste Erfolge erzielt.

Welche Erfolge haben Sie beim Bürokratieabbau erzielt?

Karawanskij: Ein wichtiger Punkt ist, dass kleine Betriebe von einer Größe bis maximal 10 ha entlastet werden von Kontrollen und Sanktionen. Dann haben wir das Kontroll- und Verwaltungssystem ein Stück weit entschlackt. Als Beispiel nenne ich hier die Ohrmarkenfrage. Auch der Betriebsinhabernachweis erfolgt nicht mehr jährlich und nicht mehr in der engen Zeitfolge.

Zudem wurden die GAP-Regeln vereinfacht, zum Beispiel was die Form und auch die Größenvorgaben bei den Blühstreifen anbelangt. Auch bei der Extensivierung von Dauergrünland gibt es Erleichterungen. Und wir haben mehr Flexibilität bei den Brachen erreicht. Wie wir noch weiter Bürokratieabbau betreiben können, da sind wir mit den Verbänden im Gespräch. Bei den digitalen Agraranträgen haben wir großen Unmut, weil sich Dokumentationen wegen technischer Probleme in der Datenerfassung verdoppelt haben. Da arbeiten wir dran, dass das besser wird.

Warum kommen die vielen Änderungen zum Beispiel bei den GAP-Agrarzahlungen und die von Ihnen genannten Fortschritte beim Bürokratieabbau bei den Landwirten nicht so recht als Entlastung an?

Karawanskij: Es gibt tatsächlich nicht den großen Jubelschrei oder eine Anerkennung. Wenn einmal Vertrauen im Keller ist, bekommt man das nicht so schnell wieder aufgebaut. Da brauchen wir noch mehr Geduld. Wir müssen den Bürokratieabbau jetzt auch über Jahre fortführen.

Ich denke aber auch, dass zum Teil die Verbände, wenn Dinge erreicht wurden, nicht positiv darüber kommunizieren, sondern eher darauf starren, was alles noch nicht umgesetzt ist. Und es gibt ja auch noch offene Punkte. Ich würde mir wünschen, dass die Verbände das mit ihren Mitgliedern fairer kommunizieren. Bei der Komplexität der Abstimmungen zwischen EU, Bund und Ländern brauchen wir für manche Veränderungen einen langen Atem.

Wir brauchen nicht noch eine zusätzliche Stoffstrombilanz.

Was ist denn noch an Bürokratieabbau zu erwarten?

Karawanskij: Die Stoffstrombilanz ist für die Betriebe ein Bürokratiemonster. Sie schafft keinen Mehrwert an Erkenntnis auf der konkreten Fläche. Wir halten sie für unnötig. Am Ende müssen sie die Länder vollziehen. Ich frage mit welchem Personal, mit welchem Einsatz und mit was für einer Sanktionsstruktur? Wir haben ein Düngerecht, wir brauchen nicht noch eine zusätzliche Stoffstrombilanz. Deswegen haben wir uns im Bundesrat gegen die geplante Novelle des Düngegesetzes gestellt. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung hier Kompromisse vorlegt.

Wollen Sie auch noch weitere Änderungen in der GAP forcieren?

Karawanskij: Bei der GAP ist zum Beispiel noch offen, ob weitere zusätzliche Öko-Regelungen aufgenommen werden sollen in der laufenden Periode. Da streiten wir uns auf Länderebene. Wir hatten einen großen Systemwechsel mit der aktuellen GAP. Ich persönlich halte damit eine weitere zusätzliche Öko-Regelung für nicht zielführend, weil sie überfordert. Sie überfordert sowohl die Verwaltung als auch die Landwirte. Die haben zusätzlich eine neue Form von Digitalisierung bei den Anträgen und Kontrollmechanismen zu bewältigen. Immer noch was zusätzlich dazu zu packen, das ist das, was die Landwirte so anpickst.

Das heißt die neue Öko-Regelung fürs Grünland, die ab 2026 geplant ist, unterstützen Sie nicht?

Karawanskij: Jedenfalls nicht so, wie es mal gedacht war. Sie darf nicht zu Lasten der ersten Säule und der Direktzahlungen gehen. Das Problem ist, dass der Etat nicht größer wird, also für alles Neue das Geld woanders hergeholt werden muss. Die vielen Änderungen bei der GAP führen zu einer großen Unsicherheit bei den Betrieben. Immer wieder gibt es Neues, aber es bleibt keine Zeit, sich darauf einzustellen. Das kritisieren die Landwirte und das macht sie so müde und zum Teil auch wütend. Als wir die neue GAP vereinbart haben, hatten wir uns eigentlich auf eine Lernphase von zwei bis drei Jahren geeinigt, bevor nachjustiert wird.

Bei der Landtagswahl in Thüringen von 2019 stimmten 31 % der Landwirte für die Linke. Aktuell sehen die Umfragen ganz anders aus. Welchen Zuspruch erwarten Sie jetzt mit dem Erstarken des Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) noch für sich als Partei unter den Landwirten?

Karawanskij: Das ist sehr gemischt. Sicherlich gibt es eine grundsätzliche Skepsis und Enttäuschung gegenüber der Politik. Bei BSW ist es auch eine Überraschungskiste, da weiß man nicht, was man bekommt. Viele Themen adressiert das BSW nicht. Das ist bei der Linken anders, da kann jeder alles nachlesen. Wir haben als Minderheitenregierung bewiesen, an der ein oder anderen Stelle sehr pragmatisch Politik umzusetzen, auch im Sinne der Bäuerinnen und Bauern.

Ich habe die AfD, was Agrar- und Landwirtschaftspolitik betrifft, nicht als Antwortgeberin empfunden.

In Thüringen führt die AfD mit ihrem Spitzenkandidaten Björn Höcke in den Umfragen. In ihrem Wahlprogramm wirbt die rechtspopulistische Partei um die Landwirte, indem sie dort viele Sorgen der Bauern anspricht, aber wenige Antworten gibt. Welche Folgen hat das für die Agrarpolitik?

Karawanskij: Ich habe die AfD, was Agrar- und Landwirtschaftspolitik betrifft, nicht als die großen Antwortgeberin empfunden in der Arbeit im Thüringer Landtag in den letzten Jahren. Fakt ist zum Beispiel, dass wir in Thüringen explodierende Bodenpreise haben. Boden ist eine Kapitalanlage. Bisher hat noch niemand einen Vorschlag unterbreitet, der etwas Besseres leistet als der Entwurf des Agrarstrukturgesetzes, den wir eingebracht haben. Auch nicht von der AfD.

Beim Klimawandel kann man sagen, so wie die Bundesregierung damit umgeht, das finden wir nicht gut. Aber man muss auch sagen, wie man es stattdessen machen will. Dafür brauchen wir konkrete Antworten. Wir sehen die Klimaveränderungen. In diesem Jahr trifft es besonders die Obst- und Weinbauern. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass wir entweder Wassermangel haben oder es zu viel Nässe gibt. Fakt ist, dass die Landwirtinnen und Landwirte sich Gedanken machen, wie sie auf den Klimawandel reagieren, den sie auf ihren Flächen sehen und spüren. Da habe ich ziemlich wenig Antworten von der AfD erhalten.

Auch wenn das gescheiterte Agrarstrukturgesetz ein Rückschlag war, das Problem bleibt bestehen.

Den schnell steigenden Bodenpreisen versucht die Politik seit Jahren ohne Erfolg etwas entgegenzusetzen. Welche Lehren ziehen Sie aus dem gescheiterten Agrarstrukturgesetz in Thüringen? Wie kann der Bodenmarkt mehrheitsfähig geregelt werden?

Karawanskij: Wir hatten in den vergangenen Jahren eben keine politische Mehrheit im Thüringer Landtag. Das ist für Gesetzesvorhaben mit einer so großen Tragweite schlecht. Ein zweiter Punkt ist, dass viele Vertreter aus der Landwirtschaft das Gesamtinteresse an den Bodenpreisen zurückgestellt haben hinter ihre eigene individuelle Perspektive. Das wurde in der Anhörung im Landtag deutlich, obwohl die Wissenschaft sehr deutlich gemacht hat, wie wichtig es wäre, ein Agrarstruktur- und Forstflächengesetz auf den Weg zu bringen. Auch wenn der gescheiterte Gesetzentwurf ein Rückschlag war, das Problem bleibt bestehen, es geht ja nicht weg. Ich denke, dass die Bodenpreisentwicklung weiterhin auf unsere Agrarstruktur wirkt.

Für große Verunsicherung und Verärgerung unter Tierhaltern und Landnutzern sorgt der Wolf. Was wollen Sie auf Landesebene tun, damit Weidetier und Wolf koexistieren können? Erwarten Sie aus Brüssel von der EU-Kommission Veränderungen beim Schutzstatus?

Karawanskij: Dafür braucht es Änderungen im Bundesrecht. Sachsen hat den Wolf im Jagdrecht, aber das ist nur eine Überschrift. Wir brauchen eine bundesgesetzliche Regelung. Wir haben es mit einem unglaublichen Aufwand zu tun, wenn Risse passieren, gerade bei den schafhaltenden Betrieben. Man kann nicht alles umzäunen. Ich würde mir wünschen, dass wir die Wolfsdebatte pragmatisch und sachbezogen führen. Der Wolf wird immer zu Wahlkampfzwecken rausgeholt und benutzt von Rechten. Er wird von der AfD in Thüringen instrumentalisiert. Es gibt in verschiedenen EU-Ländern ein Wolfsmanagement und Abschussquoten, die mit dem Schutzstatus funktionieren. Das kann man sich doch anschauen und ordentlich mit den Bundesländern diskutieren.

Sie sind als Agrarministerin in Thüringen für Infrastruktur und Landwirtschaft zuständig, eine einmalige Kombination in Deutschland. Hat sich die Aufteilung bei Ihnen bewährt?

Karawanskij: Ja, das hat sich durchaus bewährt. Wir haben zuzüglich zu Landwirtschaft noch den Forst, den Verkehr und den Bau mit im Haus. Wir haben damit zwischen Stadt und Land eine gute Brücke gespannt. Wir müssen immer den Kompromiss bei der Flächenversiegelung und dem Schutz der landwirtschaftlichen Fläche aushandeln. Auch bei Wegebau, Forst und Infrastruktur passt es gut zusammen. Weil die Vernetzung in einem Ministerium da ist, können wir hier schnelle Entscheidungen treffen.

Susanna Karawanskij (Linke) ist seit 2021 Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft in Thüringen. 2024 hat sie außerdem den Vorsitz der Agrarministerkonferenz der Länder inne. Dort ist sie die einzige Vertreterin der Partei Die Linke. Karawanskij ist Politik- und Kulturwissenschaftlerin und war vor der Berufung zur Agrarministerin ein Jahr Staatssekretärin im gleichen Haus. Von 2018 bis 2019 war sie Arbeits- und Sozialministerin in Brandenburg.

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