Unsere Gäste waren:
Norbert Lins MdEP, CDU, stellv. Vorsitzender des Agrarausschusses im Europaparlament
Jan-Christoph Oetjen MdEP, FDP, Agrarpolitischer Sprecher der FDP-Gruppe im Europaparlament
Thomas Waitz MdEP, Die Grünen (Österreich), agrarpol. Sprecher der EU-Grünen und Mitglied im Agrarausschuss im Europaparlament
Christine Singer MdEP, Freie Wähler, Mitglied im Agrarausschuss im Europaparlament
Absagen musste Maria Noichl MdEP, SPD, Mitglied im Agrarausschuss im Europaparlament
Es wäre ein Kurswechsel, den vor wenigen Jahren die meisten Beobachter so nicht von der EU erwartet hätten: Statt wie bislang den Fokus auf Umwelt- und Klimaschutz zu lenken, setzt der neue Agrarkommissar Christophe Hansen auf mehr Wettbewerbsfähigkeit, weniger Bürokratie und eine Abkehr von den bislang zentralen Green-Deal-Vorgaben.
Ein Richtungswechsel, den viele Landwirte sich schon lange herbeisehnen. Denn bislang ist die Beziehung zwischen den umweltpolitischen Zielen der EU und der Realität auf den Höfen von Spannungen geprägt. Das wurde auch gestern Abend bei „Politik trifft Praxis“ in Brüssel deutlich, wo auf Einladung von top agrar die wichtigsten EU-Agrar-Parlamentarier der großen Parteien auf Landwirte trafen. Unterstützt wurde die Veranstaltung von der BASF.
Video Politik trifft Praxis in Brüssel
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In Teil 2 geht es unter anderem um die umstrittenen neuen Züchtungsmethoden wie CRISPR-Cas und die strengen Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel.
Agrar-Geld in Gefahr: Kommt das große Streichen?
Die EU-Kommission will ihren Haushalt neu strukturieren. Aus bislang sieben Ausgabenkategorien sollen drei große Blöcke entstehen: nationale Reform- und Investitionspläne, ein Europäischer Wettbewerbsfonds und eine modernisierte Außenfinanzierung. Ein eigenes Agrarbudget? Bislang Fehlanzeige. Im aktuellen Finanzrahmen (2021–2027) sind es rund 400 Mrd. €.
"Wir erzielen kaum Erlöse"
Junglandwirt Gerrit Reinecke aus der Region Gifhorn (140 ha, u. a. Weizen, Gerste, Sonnenblumen) äußerte seine Sorge, dass die EU die Förderung künftig deutlich kürzen könnte. Die Lage in der Landwirtschaft sei ohnehin schwierig. „Wir erzielen immer weniger Erlöse“, machte er in seinem emotionalen Statement deutlich. „Wir leben von der Förderung“, fügte er hinzu. Seine Frage an die anwesenden Politiker war klar und eindeutig formuliert: „Wie geht es weiter?“ Vor allem die jungen Landwirte bräuchten Planungssicherheit.
Die Antworten blieben vage – auch weil die Haushaltsdetails erst in den kommenden Monaten geklärt werden. Norbert Lins (CDU/EVP) gab sich aber kämpferisch: Das Agrarbudget sei nicht verhandelbar. „Wir geben nichts her“, sagte er. Allerdings gehe das nur, wenn die Mitgliedstaaten das nötige Budget für den neuen Haushalt bereitstellten.
Christine Singer von den Freien Wählern stimmte Lins zu: Nur mit einem stabilen Budget lasse sich die Ernährungssicherheit in Europa gewährleisten. „Deshalb werde ich mich mit Nachdruck für einen stabilen EU-Agrarhaushalt einsetzen“, so Singer, die seit 2024 dem Parlament angehört.
"Der neue Haushalt ist umkämpft"
Skeptischer äußerte sich Jan-Christoph Oetjen, Agrarsprecher der FDP im EU-Parlament. Er verwies auf die angespannte geopolitische Lage in Europa. Der neue Haushalt sei umkämpft – es gebe viele Begehrlichkeiten und machte auch auf die geopolitischen Herausforderungen aufmerksam. Das alles koste Geld. Einsparpotenzial sieht er vor allem bei der zweiten Säule der Agrarpolitik, etwa bei Programmen für den ländlichen Raum. Das Geld aus der ersten komme hingegen direkt beim Landwirt an – und das solle so bleiben und zwar ohne Kürzungen, forderte Oetjen.
Thomas Waitz, Agrarsprecher der Grünen im EU-Parlament, widersprach: Auch von der zweiten Säule profitierten Landwirte – etwa durch Programme für die ländliche Entwicklung und Wertschöpfung.
Waitz sorgte mit einer weiteren Aussage für Diskussionen: Landwirte in der EU seien nicht weltmarktfähig. Es sei ein Fehler gewesen, zu glauben, hiesige Betriebe könnten zu Weltmarktpreisen produzieren. Die EU müsse eigentlich nicht die Höhe der Förderung diskutieren, sondern vielmehr die Frage beantworten: Wie kann man mit seiner Arbeit wieder einen ordentlichen Lohn erzielen? In Österreich mache die Förderung bis zu 80 % des Einkommens aus. Er sprach in diesem Zusammenhang von einem Konstruktionsfehler in der Agrarpolitik.
Hitziges Wortgefecht
Diese Aussage wollte Landwirt Axel Schreiber aus Osthessen (200 ha, u. a. Winterweizen, Wintergerste, Hafer) nicht unkommentiert stehen lassen. „Wir sind weltmarktfähig“, hielt er dagegen. Es entspann sich daraufhin zwischen Schreiber und Waitz ein hitziges Wortgefecht. „Es wird auch ohne Förderung eine funktionierende Landwirtschaft in der EU geben“, so Schreiber. Den Anteil der Förderung an seinem Einkommen schätzt er auf 10 %. Sollte die EU diese Gelder streichen, könnten sogar die Pachten sinken – der Verlust wäre dann womöglich geringer.
Waitz konterte: „Für die meisten Betriebe ist die Förderung existenziell.“ Man müsse sich nur die Betriebsstrukturen in Brasilien anschauen – mit denen könnten die wenigsten EU-Betriebe mithalten. Schreiber blieb bei seiner Position – und brachte ein weiteres Argument ins Spiel: „Wir wollen mit der Förderung nicht nur überleben, sondern auch die Landschaft erhalten.“
Neustart für die GAP?
Die Vielzahl an EU-Vorgaben für Landwirte, insbesondere die GLÖZ-Vorschriften, stoßen immer häufiger auf Widerstand. Viele Betriebe empfinden die Fülle der Auflagen als überfordernd und die ständigen Anpassungen als unnötigen bürokratischen Aufwand.
Was das konkret bedeutet, verdeutlichte Landwirt Tom Lohmann (Pensionspferdehaltung, 40 ha Grünland) an einem Beispiel. Die EU-Vorgaben zum Grünlandumbruch seien selbst für Berater nicht eindeutig. Es bestehe Unsicherheit darüber, wann aus dem Grünland gemäß Gesetz Dauergrünland werde. „Wir brechen unser Grünland daher alle vier Jahre um, damit es nicht zu Dauergrünland wird“, erklärte Lohmann. Dabei ist eigentlich ein Umbruch alle fünf Jahre ausreichend, um nicht in die Dauergrünlandfalle zu laufen.
Johannes Wefers, Nebenerwerbslandwirt (u. a. Saatgutproduktion), beklagte vor allem die Schnelligkeit, mit der sich die Vorschriften auf EU-Ebene änderten – oft innerhalb eines Jahres und meist ohne Übergangsfristen. Das sei auch für seinen Arbeitgeber, einen Saatgutproduzenten, problematisch. Dieser könne sich kaum auf eine Vorgabe einstellen, nur um dann eine neue zu erhalten.
Werden Verbote künftig schwieriger?
EU-Agrarkommissar Christophe Hansen kündigte immerhin ein Vereinfachungspaket an, um Landwirte vor der GAP-Reform 2027 zu entlasten. Bis Mitte 2025 wolle er Vorschläge vorlegen, um Bürokratie und Dokumentationspflichten zu reduzieren.
Christine Singer (Freie Wähler) bezeichnete angesichts der Beispiele, die die jungen Landwirte vorgetragen hatten, den Zustand als einen „Kollaps des Systems“, wenn nicht einmal Berater wüssten, was sie den Landwirten raten sollten. „Wir müssen das System vom Kopf auf die Füße stellen“, pflichtete Jan-Christoph Oetjen (FDP) bei. Manchmal sei aber nicht nur die EU für die strengen und teils verwirrenden Vorschriften verantwortlich. Einiges werde auch auf Länderebene „verschlimmbessert“.
GAP-Vorschriften entschlacken
Der EU-Abgeordnete Norbert Lins von der CDU/EVP-Fraktion zeigte sich optimistisch, dass es gelingen werde, die GAP-Vorschriften kurzfristig zu entschlacken. Die EU habe dies bereits vor der EU-Wahl unter Beweis gestellt, indem sie beispielsweise die Stilllegungspflichten entschärfte. Auch bei den GLÖZ-Vorschriften habe es bereits erste Erleichterungen gegeben, die jedoch von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nicht vollständig umgesetzt worden seien.
Thomas Waitz (Die Grünen) pflichtete seinen Vorrednern bei. „Gut gemeinte Regeln sind nicht immer gut gemacht“, sagte er und kritisierte ebenfalls die Vorschriften zum Grünlandumbruch. Grünland sei eine Kohlendioxidsenke. Wenn dieses alle vier Jahre umgebrochen werde, setze dies unnötig viel klimaschädliches Gas frei.