Dieser Kommentar ist zuerst erschienen im "Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben".
Stellen Sie sich vor, Sie verhandeln monatelang um Inhalte, gehen an die Grenze Ihrer Überzeugung, bekommen am Ende einen Kompromiss hin – und kaum jemanden interessiert es. So müssen sich die Mitglieder der Zukunftskommission Landwirtschaft fühlen. Sie haben gerade ihren zweiten Bericht vorgelegt. Der löste zwar ein Feuerwerk an Pressemitteilungen der beteiligten Organisationen aus. Sonst gab es aber kaum Reaktionen – gar nicht von Publikumsmedien, verhalten von der Politik und spärlich aus der landwirtschaftlichen Praxis. Trotzdem kann das Papier schon bald noch viel wert sein.
Zur Erinnerung: 2019 gab es bundesweite Bauernproteste. Kanzlerin Angela Merkel startete die „Zukunftskommission Landwirtschaft“. Das Gremium aus gut 30 Gruppen sollte eine Richtschnur für die Landwirtschaft erarbeiten. Der erste Abschlussbericht kam im Sommer 2021. Kurz darauf wechselte die Bundesregierung von der Großen Koalition zur Ampel. Im Sommer 2022 bat der neue Bundesagrarminister Cem Özdemir die Kommissionsmitglieder, ihre Arbeit fortzusetzen.
Viele Landwirte konnten dem sperrig geschriebenen Text wenig abgewinnen.
Das löste die Irritationen aus. Denn der 160-seitige Bericht ließ kaum etwas offen. Özdemir lobte ihn auch bei jeder Gelegenheit, setzte davon politisch aber wenig bis nichts um. Daher wirkte der Folgeauftrag wie eine Nebelkerze. Vielen Landwirten war das allerdings recht. Sie konnten dem sperrig geschriebenen Text ohnehin wenig abgewinnen. Und störten sich vor allem an einer aufgeführten Studie, wonach die Landwirtschaft pro Jahr externe Kosten von mindestens 90 Mrd. € verursache. Das überlagerte auch die vielen für Landwirte positiven Aspekte.
Die neue Version bietet für jeden etwas
Das ist im neuen Bericht anders. Die 25 Seiten ergänzen die erste Version, lesen sich aber leichter. Und bieten fast für jeden etwas: Steuerermäßigung für Agrardiesel zum europäischen Durchschnitt, höhere Mehrwertsteuer für Fleisch zur Finanzierung von Tierwohl, mehr Geld für Ökoregelungen, steuerfreie Risikoausgleichrücklage. Streitthemen wie grüne Gentechnik und Pflanzenschutz-Reduktionen umschifft das Papier.
Diesen Kompromiss haben teils sehr konträre Organisationen gefunden. Er ist zerbrechlich. Das zeigen schon Reaktionen von Beteiligten: Raiffeisenpräsident Franz-Josef Holzenkamp schreibt, dass er nicht jede Einzelposition vollumfänglich mittrage. Tina Andres vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft provoziert mit sprachlichen Bildern wie „umweltgefährdende Pestizide“ und „unermessliches Leid der Tiere“.
Die Branche hat im anlaufenden Bundestagswahlkampf aktiv einen Vorschlag für die künftige Landwirtschaft präsentiert.
Allerdings: Es ist ein starkes Signal, dass sich die Kommission trotz verschiedener Sichtweisen verständigt hat. Gerade in einer Zeit, wo in Deutschland, Europa und weltweit Kompromisse immer unmöglicher erscheinen und Maximalforderungen überwiegen. Und es ist ebenfalls positiv, dass die Branche im anlaufenden Bundestagswahlkampf aktiv einen Vorschlag für die künftige Landwirtschaft präsentiert hat.
Nun liegt es an den Parteien, sich damit zu beschäftigen. Sie haben es in der Hand, die Inhalte in die Wahlprogramme aufzunehmen. Und die neue Bundesregierung hat es in der Hand, die Inhalte in den Koalitionsvertrag aufzunehmen und tatsächlich in die Umsetzung zu bringen. Davon hängt ab, ob der Abschlussbericht doch noch Aufmerksamkeit bekommt – oder wieder in der Schublade verschwindet.