Die am 28. Januar von der EU-Kommission vorgeschlagenen Zölle auf Agrarwaren aus Russland und Belarus zielen in erster Linie auf stickstoffhaltige Düngemittel. Hauptziel sei es, die Abhängigkeit der EU von den beiden Drittstaaten deutlich zu reduzieren, unterstreichen Kommissionskreise gegenüber dem Pressedienst Agra Europe.
Dafür könnten die Zollsätze nach einer Übergangsphase von drei Jahren um bis zu 430 € je t ansteigen. Geplant ist, bereits am 1. Juli des laufenden Jahres mit der schrittweisen Anhebung zu beginnen. Rat und Europaparlament müssen den Kommissionsvorschlägen allerdings noch zustimmen.
Harnstoff- und Ammoniumnitratpräparate betroffen
Die geplanten Abgaben zielen vor allem auf stickstoffhaltige Düngemittel mit den Zollnummern KN-Code 3102 sowie KN-Code 3105. In der Gruppe mit dem KN-Code 3102 sind vor allem verschiedene Harnstoff- und Ammoniumnitratpräparate sowie Mischungen aus beiden zusammengefasst.
Düngemittel mit dem KN-Code 3105 enthalten neben Stickstoff vor allem Kali und Phosphor. Für beide Produktgruppen soll der Wertzollsatz von bisher 6,5% für Lieferungen aus Russland und Weißrussland beibehalten werden. Als Berechnungsbasis wird also der jeweilige Marktwert herangezogen.
Jetzt ist Zeit, Alternativen zu suchen
Darauf aufbauend sollen spezifische Zölle eingeführt und deren Sätze schrittweise angehoben werden. Damit soll laut den Kommissionsbeamten den Landwirten in der EU hinreichend Zeit eingeräumt werden, um ihren Düngerbedarf aus anderen Quellen zu decken.
Vom 1. Juli 2025 bis zum 30. Juni 2026 sollen bei Produkten mit dem KN-code 3102 zusätzlich 40 € je Tonne erhoben werden. Für Düngemittel mit dem KN-code 3105 sind 45 € je Tonne vorgesehen. Diese Zölle sollen dann in „vergleichsweise moderaten“ Schritten bis zum 30. Juni 2028 ansteigen.
Drastische Erhöhung ab 2028
Ab dem 1. Juli 2028 sollen die Zollsätze drastisch erhöht werden. Dann sollen 315 € je Tonne auf Düngemittel mit dem KN-code 3102 und 430 € je Tonne für Waren in der Kategorie 3105 gelten. Diese Sätze sollen den Kommissionsbeamten zufolge in etwa einem Ad-valorem-Zollsatz von rund 100% entsprechen.
Das Ziel ist, die Einfuhren aus Russland und Belarus damit endgültig zu stoppen. Reine Kalidünger sollten derweil vorerst nicht auf die Sanktionsliste kommen, heißt es aus der Brüsseler Behörde. Hier liefert allein Weißrussland bekanntlich mehr als 15% des weltweiten Bedarfs.
EU will Preisentwicklung im Auge behalten
Derweil heißt es aus der Generaldirektion für Landwirtschaft (DG AGRI) der EU-Kommission, dass man die Preisentwicklungen für Stickstoffdünger genau im Auge behalten werde.
Sollte es zu einem deutlichen Anstieg über das Niveau von 2024 kommen, würden mögliche Gegenmaßnahmen geprüft. Hierzu könne eine vorübergehende Aussetzung der Zölle auf die betroffenen Düngemittel infrage kommen. Allerdings nur für Produkte, die nicht aus Russland und Weißrussland eingeführt würden. Als Partnerländer, die die Lücke füllen könnten, weisen Kommissionskreise unter anderem auf den Oman, Algerien und die USA hin.
Ab Sommer Zölle auf russische Getreide- und Ölsaateneinfuhren
Bereits seit dem 1. Juli 2024 erhebt die Europäische Union Zölle auf russische Getreide- und Ölsaateneinfuhren. Mit dem jetzt präsentierten Vorschlag sollen auch andere Agrarerzeugnisse aus Russland und Belarus ins Visier genommen werden.
Verschiedenen Kommissionsbeamten zufolge zählen hierzu vor allem Honig, verschiedene Nebenprodukte der Zuckerherstellung, Nüsse sowie diverse Tierfette.
Zusätzlich zu den bereits bestehenden Zöllen sollen auf die beschriebenen Produktgruppen Zölle von 50% des Warenwertes entfallen. Anders als bei den beschriebenen Stickstoffdüngern werden die Auswirkungen der Zölle auf die beschriebenen Erzeugnisse für den EU-Binnenmarkt vonseiten der Kommission als vernachlässigbar eingestuft.
IVA wünscht Zölle auf Kalidünger
Der Industrieverband Agrar (IVA) begrüßte den Vorstoß der EU-Kommission. Er fordert allerdings auch, dass neben Stickstoffdüngern auch Kalidüngemittel umfassender miteinbezogen werden sollten.
Nach Angaben des Industrieverbandes hat Deutschland im Wirtschaftsjahr 2023/24 insgesamt gut 924.000 t an stickstoffhaltigen Düngern eingeführt. Das seien zwar 10,2% weniger als im vorherigen Wirtschaftsjahr gewesen; allerdings immer noch 17,6% mehr als in der Saison 2021/22.
Aus Russland kamen demnach zuletzt nachweislich gut 140.000 t, nach mehr als 185.000 t im Vorjahr und nur knapp 57.000 t in der Kampagne 2021/22. Allerdings gibt der IVA zu bedenken, dass Sekundärimporte, die Deutschland über die Niederlande oder Belgien erreichen, durch die amtlichen Zahlen nicht nachvollziehbar seien, weshalb die tatsächlichen Zahlen noch höher ausfallen könnten.
Erwartbare Kritik aus dem Berufsstand
Als „katastrophal“ bezeichnen derweil die EU-Ausschüsse der Bauernverbände (Copa) und ländlichen Genossenschaften (COGECA) den Kommissionsvorschlag. Neben zu erwartender Kritik an den Zollplänen auf Stickstoffdünger aus Russland und Belarus beklagen die Dachverbände fehlende Maßnahmen zur Diversifizierung der Bezugsquellen. Sie drängen weiterhin auf die unmittelbare Abschaffung der Antidumpingzölle auf Einfuhren von Harnstoff, Ammoniumnitrat und HAN-Gemischen aus den USA sowie Trinidad und Tobago.
Zudem werden Ausnahmen von der EU-Nitratrichtlinie gefordert. So pochen Copa-Cogeca immer noch darauf, den derzeitige Grenzwert von 170 kg N pro Hektar für organischen Dung zu lockern. EU-Agrarkommissar Christophe Hansen wird aufgefordert, in diesen Fragen rasch konkrete Lösungen zu finden. Andernfalls könne sich eine neue Agrarkrise entwickeln.