Das gab es noch nie! Deutschlands größter Discounter, Lidl, lädt Bauern in sein Regionallager in Cloppenburg ein, um mit ihnen über Tierwohl zu diskutieren. Die Veranstaltung „Lidl lädt ein: Bauern treffen Einkauf“ wurde durch top agrar moderiert und brachte alle Problemfelder beim Umbau der Tierhaltung zur Sprache.
Lidl ließ aber keine Zweifel daran, das eigene Sortiment in Richtung höhere Haltungsformstufen auszubauen. „Das Ziel steht“, machte Chef-Einkäufer Christoph Graf mehrfach deutlich: 100 % Haltungsform (HF) 3 und 4 im Frischfleischsortiment bis 2030.
„Kein Tierwohl-Dumping!“
Das Ziel, „Mehr Tierwohl“, ist auch nach Ansicht von Prof. Dr. Achim Spiller von der Universität Göttingen unstrittig, wie er in seinem Impulsvortrag klarstellte: „Wir verlieren ansonsten die gesellschaftliche Akzeptanz und Ersatzprodukte gewinnen schneller an Bedeutung.“ Dabei sei entscheidend, dass der Umbau gemeinsam mit der deutschen Landwirtschaft erfolge, „sonst droht Tierwohl-Dumping“ durch Importe.
Spiller, der als Sprecher der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) auch die Bundesregierung berät, machte deutlich, dass nur mithilfe des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) der Umbau der Tierhaltung gelingen kann. Denn der Markt funktioniert hier nicht, weil der Verbraucher Lebensmittel häufig anders einkauft, als er oft beteuert. Und der Politik fehle schlicht die Kraft und wohl auch das Geld.
Laut Spiller ist der LEH so zentral, weil er sein Marktverhalten in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert hat. Vom reinen Warenverteiler ist er übergegangen zum „Gatekeeper“, der bestimmte Produkte ausgelistet hat, z. B. Käfigeier. Heute ist er Promotor für eigene Marken und Programme, um Fleisch und Milchprodukte in höhere Haltungsstufen zu tragen.
Doch damit nicht genug. Lidl, Rewe und Co. stehen bereits an der nächsten Schwelle und nehmen mehr und mehr die Rolle des Transformators ein. „Sie treiben wissenschaftsbasiert Nachhaltigkeits- und Ernährungsstrategien voran“, erklärte er. Kurzum: Sie geben über die Auswahl im Supermarktregal vor, wie sich die Verbraucher zu ernähren und zu verhalten haben.
Spiller stellte selbst die Frage, ob diese Machtfülle sein darf? „Man kann es gar nicht aufhalten“, antwortete er. Daher sei es so wichtig, die Spielregeln für eine verantwortungsvolle Nachhaltigkeitssteuerung einzuhalten.
Neben einem klaren Ziel müsse der LEH auch verlässlich sein, wenn Landwirte langfristig investieren sollen. Dabei müssen die Partner in der Kette auf Augenhöhe verhandeln und die Risiken fair verteilen. Zudem sollte der LEH darauf achten, möglichst alle Absatzkanäle einzubeziehen. Ganz entscheidend ist laut Spiller dann noch die Abstimmung mit der Politik: „Was bringen konkrete Ziele, wenn die Politik beim Baurecht blockiert?“, brachte er es auf den Punkt.
Deutsche Herkunft im Fokus
„Bereits 2025 werden wir fast 50 % unseres gesamten Frischfleischs in Haltungsform 3, 4 und 5, also Bio, vermarkten“, erklärte Christoph Graf, verantwortlich für das Food-Sortiment bei Lidl, in der anschließenden Podiumsdiskussion. Bis 2030 verfolge Lidl nun das ambitionierte Ziel, sein komplettes Fleischsortiment inklusive Verarbeitungsware auf Haltungsform 3 und höher umzustellen – vorausgesetzt, es ist genug Ware verfügbar. Bei Milch und Rindfleisch stammt das Sortiment bereits jetzt mindestens aus HF 3.
„Beim Schweinefleisch sind Haltungsform 3 und 4 immer noch ein Nischenprodukt. Ich bin skeptisch, ob Lidl seinen Zeitplan wirklich einhalten kann“, erklärte Jochen Grae-Budde, Schweinemäster mit Ställen in HF 2 und 3 aus Nordrhein-Westfalen. Wird Lidl die fehlende Tierwohl-Ware also künftig im Ausland einkaufen? „Haltung und Herkunft gehören für uns zusammen. Wir setzen auf deutsches Fleisch“, versprach Graf. Dabei spiele auch 5 x D (Geburt, Aufzucht, Mast, Schlachtung und Verarbeitung in Deutschland) für Lidl eine große Rolle.
Wenn die HF3-Ware da ist, werden wir sie auch vermarkten.“
Den ersten Schritt macht nun die Initiative Tierwohl (ITW), die Schweinemäster ab 2025 im Sinne der Nämlichkeit für Ferkel aus deutscher Herkunft belohnt. Davon sollen auch die deutschen Sauenhalter profitieren, bei denen in den nächsten Jahren hohe Investitionen anstehen. Das gesamte Schweine- und Geflügelfrischfleisch bei Lidl unterliegt bereits heute mindestens den ITW-Standards und werde auch abverkauft. „Daher haben wir auch für die noch höheren Haltungsstufen gute Hoffnungen“, erklärte Graf.
Erlös muss stimmen
Aber was brauchen Landwirte, damit sie ihre Tierhaltung auf höhere Haltungsstufen umstellen? Das wollte Moderator Guido Höner vom Publikum wissen. Eine Investition in Tierwohl muss sich betriebswirtschaftlich lohnen. Es sollte also ein höherer Erlös dabei herumkommen als in Haltungsform 1 oder 2, waren sich die anwesenden Landwirte einig.
Bei der Frage, ob feste Preise dafür die beste Lösung seien, gingen die Meinungen jedoch auseinander. „Für Milch gibt es gerade einen guten freien Markt. Feste Verträge können die Preise auch drosseln“, lautete der Einwand von Lotta Kaper, Milchviehhalterin aus Niedersachsen.
„Ob sich die Investition in mehr Tierwohl lohnt, hängt am Ende nicht nur vom Bonus ab“, warf Mäster Grae-Budde ein. In seinem Strohstall fällt z. B. Mist an, den er glücklicherweise in einer Biogasanlage verwerten kann. „Hätte ich ein teures Mistlager bauen müssen, hätte ich weder eine Genehmigung noch einen Dreh an meine Rechnung bekommen“, gab er zu bedenken. Dem stimmte Henrik Wiedenroth zu, gelernter Landwirt und Nachhaltigkeits-Manager bei Lidl: „Die Betriebe sind extrem unterschiedlich und müssen Investitionen in mehr Tierwohl individuell beurteilen.“
Viele umbauwillige Landwirte haben zudem Angst, dass sich die Haltungsvorgaben für Tierwohlställe nach kurzer Zeit wieder ändern. Bestes Beispiel dafür sahen die Teilnehmer in der Anpassung der Kriterien für Weidemilch: Neuerdings steht die Kennzeichnung „Auslauf/Weide“ für HF 4 und der LEH fordert darin zusätzlich zu Weidegang an 120 Tagen auch einen ganzjährig nutzbaren Laufhof. So soll der Außenklimakontakt für die Kühe auch außerhalb der Weidesaison sichergestellt werden.
„Obwohl viele Kühe weiterhin auf der Weide stehen, darf die Milch künftig nicht mehr Weidemilch heißen. Das täuscht nicht nur den Verbraucher und hemmt den Absatz der Milch, den Bauern geht auch der Weidebonus verloren“, ärgerte sich Lotta Kaper.
Der Kritik stimmte auch Prof. Spiller zu, denn Tierwohl ist nur wirtschaftlich tragbar, wenn der Verbraucher die Ware auch nachfragt. Unter Bezeichnungen wie „Weidemilch“ oder „Strohschwein“ könnten sich die Konsumenten etwas vorstellen. Beim Haltungslabel wüssten viele hingegen nicht, welche Kriterien sich hinter den verschiedenen Stufen verbergen. „Beim Einkauf im Supermarkt schauen wir im Schnitt nur 0,3 Sekunden auf ein Produkt. In dieser Zeit müssen wir alle wichtigen Informationen bekommen“, erklärte Spiller. Das gelte vor allem für den schnellen Einkauf im Discounter.
Tierwohl vs. Klima
Auch der Zielkonflikt zwischen Tierwohl und Klimaschutz bewegt die Branche. „Die Futterverwertung meiner HF3-Schweine ist deutlich schlechter. Das treibt den Verbrauch und die Kosten in die Höhe“, bestätigte Schweinemäster Grae-Budde. Auch der Emissionsschutz ist in Offenställen schwieriger umzusetzen. Prof. Spiller appellierte, die beiden Aspekte nicht gegeneinander auszuspielen: „Wir brauchen Lösungen für beides.“
Einig waren sich alle Teilnehmer, dass gegenseitiger Austausch der richtige Weg für die Zukunft ist. „Vor vier Jahren habe ich hier vor den Toren des Lidl-Regionallagers noch demonstriert. Seitdem sind wir Bauern und der Handel ein gutes Stück aufeinander zugegangen“, erzählte Lotta Kaper. Am Ende haben alle Beteiligten das gleiche Ziel: eine zukunftsfähige Tierhaltung in Deutschland. „Wir haben schon viel erreicht und hoffen, dass wir auch die kommenden Herausforderungen gemeinsam meistern können“, fasste Christoph Graf zusammen.