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topplus Zwei Töchter übernehmen

Hof fair weitergeben: Wie dieser Landwirt die Hofübergabe geregelt hat

Georg Bertram wollte die Übergabe seines Betriebs besser und fairer handhaben, als er sie selbst erlebt hatte. Mit seinen vier Töchtern wählte er einen eigenen Weg. Fast ohne Blick in die Höfeordnung.

Lesezeit: 9 Minuten

„Ich habe mit 60 Jahren gesagt, dass ich mit 65 alles geklärt haben will“, sagt der heute 71-jährige Georg Bertram aus Lippetal bei Soest (NRW). Ob sein Gemischtbetrieb mit 33 ha verpachteter Ackerfläche dabei verkauft oder in der Familie bleiben würde, war offen. Denn unter seinen vier Töchtern gab es keine, die als Nachfolgerin feststand. Keine hat eine landwirtschaftliche Ausbildung absolviert. Fast alle lebten zu der Zeit in deutschen Großstädten.

Also wählte der gelernte Landwirt und Bauzeichner einen eigenen Weg. Er sagte seinen Töchtern: „Ihr überlegt euch selbst, wie es laufen soll. Wir können die ganze Kiste sonst auch einfach verkaufen.“ Der folgende Text bietet ein Beispiel, wie eine komplexe Hofübergabe ohne Blick in die Höfeordnung fair ablaufen kann und was etwas Geduld, gute Kommunikation und viel Wohlwollen damit zu tun haben.

Schnell gelesen

  • Die Hofübergabe lief bei Familie Bertram anders als gewöhnlich ab. Der Betriebsleiter überließ die Verteilung des Eigentums den vier Töchtern.

  • Statt sich z.B. Nießbrauch zu sichern, gab der Altenteiler auch außerbetriebliches Eigentum auf einen Schlag ab.

  • Eine festgeschriebene Reallast sichert den Betriebsleiter ab. Die Töchter zahlen sie anteilig, je nach erhaltenem Erbteil.

  • Konflikte wurden u.a. mit Hilfe außerlandwirtschaftlicher Beratung geklärt.

  • Anhaltender Familienfrieden wurde höher bewertet, als der Wille, den Betrieb um jeden Preis zu erhalten.

Kein Nießbrauch: Alles muss raus

Am Standort in Lippetal stehen ein herrschaftliches Wohnhaus mit 500 m²  Wohnfläche aus dem Jahr 1899 sowie mehrere große und kleinere, sanierte und in die Jahre gekommene Produktions- und Lagerhallen. Dazu kommen leere Stallungen, bereits zu Bürogebäuden umgenutzte Liegenschaften, Wohnungen sowie 33 ha verpachteter Acker. Das Erbe umfasst weiterhin einen verpachteten Betrieb in Ostdeutschland und zwei Wohnimmobilien.

All das wollte Georg Bertram zur geplanten Rente mit 65 Jahren auf einen Schlag abgeben und sich nicht etwa den beliebten Nießbrauch sichern. „Nießbrauch ist für mich ein Schimpfwort“, sagt Bertram. „Wieso geben so viele Altenteiler ihren Besitz nicht sofort ab?“

Er erzählt, dass es die schlechten Erfahrungen seiner eigenen Hofübernahme waren, die ihn dazu brachten, es selbst besser machen zu wollen. Er sagt: „Wichtig war mir und meiner Frau immer, dass wir im Zusammenleben gut miteinander klar kommen.“

Dass das nicht nur so dahingesagt ist, bestätigt Tochter Maximiliane, die alle nur Maxi nennen: „Papa hat Entscheidungen immer sehr rational getroffen.“ Und mit Blick auf ihren Vater: „Das kommt daher, weil du das alte Gehabe um Blut und Boden, die Verbindung zwischen Betrieb und Pflichtgefühl, von Ehre und Erstgeborenen nicht ausstehen kannst. Das hat in den vorangegangenen Generationen der Familien schon zu genug Streitigkeiten geführt.“ Franziska, Rufname Sissi, ergänzt: „Wir wollten in erster Linie, dass die Familie sich weiterhin gut versteht!“ Also gehörte zu den Optionen der Töchter ausdrücklich auch, Nein zum Betrieb sagen zu dürfen.

„Wenn keine den Hof gewollt hätte, hätten wir ihn verhökert“, sagt Georg Bertram. Der Wille war also da, sich über die Verteilung des Erbes nicht zu zerstreiten. Aber reicht das, wenn am Ende der Rubel rollt?

Töchter sollten selbst bewerten und verteilen

„Es war immer ein Prozess mit offenem Ende. Papa hat sich rausgehalten und nur etwas gesagt, wenn wir Fragen hatten“, sagt Maxi. Aber was toll klingt, offenbarte sich für die Töchter zunächst als theoretisch unerschöpflicher Pool von Lebensentwürfen und Geschäftsideen. „Zuerst mussten wir uns klar werden, ob wir überhaupt auf dem Land leben wollen“, sagt die 42-jährige Maxi, die bis dahin in Berlin lebte und als Eventmanagerin ihr Geld verdiente. Produktdesignerin Sissi (39 Jahre) lebte mit ihrer Familie in der Nähe von Stuttgart. Architektin Lucia (43 Jahre) hatte ihren Lebensmittelpunkt in Duisburg. Lediglich die jüngste Tochter Antonia (36 Jahre) lebte noch am Hof, pendelte aber für eine Anstellung im Hotelmanagement nach Münster. Wer also konnte sich vorstellen, dauerhaft in den Außenbereich einer westfälischen Kleinstadt zu ziehen?

Betriebsspiegel Betrieb Bertram, Lippetal bei Soest (NRW)

Noch sind nicht alle Pläne der Hofnachfolgerinnen umgesetzt, sondern werden hier noch als Potenziale geführt.

  • Betriebskonzept: Vollvermietung

  • Co-Farming: 33 ha Acker, 4 ha Grünland, 2,5 ha für bestehende und potenzielle Projekte (SoLaWi, Ponypension, etc.)

  • Co-Living: Potenziell sieben Wohnparteien möglich auf einer potenziellen Gesamtwohnfläche von ca. 1.000 m²

  • Co-Crafting / Co-Working: 5.000 m² überdachte Gewerbefläche (plus mind. genauso viel Freifläche) plus potenziell 180 m² Büroetage

  • Anzahl Gewerbemieter: Aktuell knapp 30 gewerbliche Mietparteien, ca. 20 % Steigerung möglich

  • Sonstiges: Vier PV-Anlagen (170 kWp)

Außerdem war allen klar: Das Areal in Lippetal zu erhalten oder gar zu beleben, wäre ein Vollzeitjob. „Wer das von außen sieht, hält es für einen Schatz“, sagt Georg Bertram. „Aber jeder Landwirt, der im Außenbereich wirtschaftet, wird verstehen, dass die Belebung und Erhaltung eines solchen Geländes eine Mammutaufgabe ist.“

Also mussten neben den persönlichen Lebensentwürfen die beruflichen Vorstellungen passen. Wollten die Töchter selbstständig sein? Was passiert mit dem Areal? Jede der Töchter hatte andere Vorstellungen dafür – und lange nicht alle waren wirtschaftlich tragbar. Das Wohnhaus könnte Landhotel, Anwaltskanzlei oder Seniorenheim werden. Stallungen und Flächen könnten als Pferdepension genutzt werden. Aber wie schafft man es, die alten Hallen zu erhalten? Vielleicht wäre ein Abriss  sinnvoller? Oder sollten sie doch lieber alles verkaufen?

Bei so einer Übergabe braucht man gar nicht glauben, dass man ohne Beratung klarkommt.“
Maximiliane Bertram

Mehrere Jahre zogen sich die Überlegungen. Zeitweise war die eine Schwester als Nachfolgerin höher im Kurs, dann eine andere. „Das hat ewig gedauert“, erinnert sich Maxi. „Allein schon, weil wir uns durch die Wohnorte nur selten sehen konnten.“ Um voranzukommen, verabredeten sich die Schwestern sogar auf Familienfesten für Gespräche unter acht Augen und führten Protokoll darüber.

Dann endlich kristallisierte sich eine Lösung heraus. Maxi und Sissi wollten den Hof zusammen übernehmen und sich aus dem alten Zuhause ein neues schaffen (siehe Reportage hier). Lucia erhielt den Ostbetrieb, Antonia die Wohnimmobilien.

Externe Beratung bei Hofübergabe wichtig

Doch die Zeit bis zum Übergabevertrag Mitte 2021 hatte es noch einmal in sich. Denn bis dahin ging es nur darum, wer die Aufgaben in Lippetal übernehmen würde. Und nicht, was welcher Erbteil finanziell bedeutet. Als alle Schwestern ein Gefühl dafür bekamen, was die andere verdienen würde, entwickelte sich doch noch eine andere Gangart. „Das waren intensive Gespräche“, sagt Sissi. Maxi ergänzt: „Bei so einer Übergabe braucht man gar nicht glauben, dass man ohne Beratung klarkommt. Sich Hilfe zu holen, ist keine Schande!“ Natürlich stritten die Schwestern in der Zeit auch. Eine Restunsicherheit und das Gefühl der Ungleichheit sorgten für schlechte Stimmung. „Aber uns wurde klar, dass wir erst recht an einen Tisch und das klären müssen, wenn wir gerade so gar keinen Bock aufeinander haben.“ Gespräche mit der Familienberatung der Landvolkshochschule Hardehausen und vor allem mit einer außerlandwirtschaftlichen Coachin halfen den Familienmitgliedern sehr

Erben zahlen Reallast zu unterschiedlichen Anteilen

Da Georg Bertram all seinen Besitz abgab, sollten seine Töchter für seine Rente aufkommen. Hier lag die Chance, finanzielle Gerechtigkeit zwischen den Geschwistern herzustellen. Denn den jeweils zu zahlenden Anteil an der Reallast des Vaters berechneten die Töchter gemessen am tatsächlichen Wert ihres geerbten Betriebszweigs zum Zeitpunkt der Übergabe.

Ich bin jetzt einverstanden. Man muss als alter Mensch dazulernen und umdenken lernen.“
Georg Bertram

Zur Ermittlung dieses Wertes fanden die Schwestern kein etabliertes Bewertungsverfahren. Daher stellten sie eine eigene Kalkulation auf. Vereinfacht ausgedrückt, bezogen sie dafür alle Einnahmen, Ausgaben und die Liquidität eines Betriebszweigs der letzten fünf Jahre mit ein.

Den Marktwert, potenzielle Entwicklungsoptionen, aber auch die Risiken, sowie einen gegebenenfalls vorliegenden Investitionsstau klammerten die Töchter bewusst aus ihrer Rechnung aus. Am Ende war die Kalkulation nicht perfekt. Aber alle Vier akzeptieren sie um festzuschreiben, wie hoch der Anteil jeder Tochter an der geforderten Reallast des Vaters sein müsste.

Übergabe natürlich nicht ohne Konflikte

Im Nachhinein klingt der Prozess nahezu konfliktfrei. Wer sich fragt, wie das sein kann, darf bedenken, dass er hier offenbar eine Familie vor sich hat, die eine handfeste Diskussion mit unbequemen, aber fairen Argumenten nicht direkt als Streit auffasst. 

Dennoch war es für Georg Bertram nicht leicht. Er sagt: „Ich habe 40 Jahre im Betrieb alleine entschieden. Dann trafen Maxi und Sissi plötzlich die Entscheidungen. Das ist mir schwer gefallen.“ Sissi ergänzt: „Du wolltest den Betrieb bewusst abgeben. Aber das heißt ja nicht, dass man das sofort kann und sofort Abstand nehmen kann.“

Georg durfte also nur noch zusehen. Und das, obwohl er mit vielen Dingen anfangs nicht einverstanden war. Denn Maxi und Sissi ließen nicht viele Steine auf den anderen. Sie wechselten den Steuerberater und stellten sogar die bestehenden Pachtverträge infrage.

Alles in allem sagt Georg Bertram heute mit Blick auf die anstrengende Zeit damals: „Ich bin jetzt einverstanden. Man muss als alter Mensch dazulernen und umdenken lernen.“

Rat des Altenteilers noch immer gefragt

Und wie ist der Stand heute? Georg Bertram, dessen Frau Anne im Laufe des Hofübergabe-Prozesses nach schwerer Krankheit verstarb, sitzt zum Interview im Haus seiner Tochter Sissi mit drei Generationen am Tisch. Auf die Frage nach seinen Aufgaben sagt er: „Ich komme nach der Morgenrunde mit dem Hund zu Sissi, bevor ich nach Hause gehe. Dort kommt Maxi auf einen Kaffee vorbei.“ Wenn Maxi oder Sissi seine Hilfe brauchen, tragen sie einen Termin ein. Seit 2022 sind diese seltener geworden. Die Hofnachfolgerinnen haben sich eingearbeitet.

Ansonsten mäht der Altenteiler Rasen, kocht zweimal die Woche für alle und ist weiterhin gedanklich involviert. Vor allem bei den Umbauten. „Das ist schließlich im Moment unser Hauptbusiness“, sagt Maxi. „Bauen und sanieren und vermieten und verpachten.“

Georg Bertram sagt: „Am Ende ist es eine Gnade, dass Maxi und Sissi zurückgekommen sind. Sie hätten mir ja auch den Stinkefinger zeigen und einfach das Geld nehmen können, wenn ich alles verhökert hätte.“

Tipps für eine erfolgreiche Hofübergabe

  • Übergabe als ergebnisoffenen Prozess betrachten, Wahlmöglichkeit lassen

  • Viel und ehrlich kommunizieren, erst recht, wenn der Prozess stockt 

  • Genug Zeit einplanen

  • Rational bleiben und nicht jede Uneinigkeit gleich zum Streit hochstilisieren

  • Sich externe Beratung holen

  • Methoden von außerhalb der Landwirtschaft zulassen, z. B. aus Transformationsprozessen in Unternehmen

  • HofnachfolgerInnen vertrauen und ihnen ein eigenes Konzept zugestehen

  • Anderen Beteiligten grundsätzlich wohlwollend gegenüberstehen und ihnen etwas gönnen

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