Der ehemalige Schweinemaststall ist gut gesichert. Umgeben von einem hohen Zaun, verschlossen von einer Sicherheitstür und gefilmt von einer 24/7-Kameraüberwachung soll sein Standort in diesem Artikel ungenannt bleiben. Die Ampelregierung hatte Cannabis im vergangenen Jahr teillegalisiert und strenge Sicherheitsvorschriften für den vereinsmäßigen Anbau festgelegt, damit vor allem Jugendliche die Droge nicht in die Finger kriegen können.
Also bleibt auch Landwirt Christoph Korte, der eigentlich anders heißt, in diesem Artikel anonym. Er ist mithilfe des Start-ups aarnt bioworks aus Münster in den neuen Markt eingestiegen, von dem es von Anfang an hieß, dass er neue Chancen für die Landwirtschaft bieten könnte. Nun steht fest: Wer einsteigen will, darf das nicht als gewerbsmäßiger Erzeuger tun, sondern kann den Weg über die Verpachtung von Liegenschaften gehen. In Form eines Mieterstrommodells kann er außerdem selbst erzeugte erneuerbare Energien direkt vor Ort verkaufen.
Dementsprechend hat Landwirt Korte mit der Pflege und Ernte der Pflanzen nichts zu tun. Er darf die Indoor-Farm nicht einmal betreten. Betreiber ist ein Anbauverein aus Münster in Nordrhein-Westfalen, ein sogenannter Cannabis Social Club (CSC), der in dem alten Stall Cannabis für den Eigenverbrauch seiner Mitglieder anbaut (Gesetzliche Regelung siehe unten im Kasten).
Schnell gelesen
Das Start-up aarnt bioworks pachtet leerstehende Ställe, baut eine Indoorfarm für den Cannabisanbau hinein und verpachtet sie weiter an sog. Anbauvereine.
Zwischen 2 und 4 € /m² Pacht zahlt das Start-up interessierten Landwirten.
Landwirte können zusätzlich selbst erzeugte erneuerbare Energie an den Anbauverein verkaufen. Zu erzielende Preise: Produktionskosten plus 2 Cent Marge.
Die Indoorfarm verbraucht Energie im niedrigen bis mittleren sechsstelligen Bereich (KWh) pro Jahr, so Schätzungen.
Mit dem Anbau der Pflanzen hat ein verpachtender Landwirt nichts zu tun.
Cannabisfarm: Welche Ställe sich eignen
„Als die Ampel-Regierung das Thema auf den Tisch brachte, haben auch wir uns damit auseinandergesetzt“, sagt Landwirt Korte. „Cannabis-Anbau braucht viel Strom, Platz und ein bisschen Wärme. All das haben wir hier im Angebot. Die Chance wollte ich nutzen.“
Korte wurde über eine Anzeige auf aarnt bioworks aufmerksam. Die Gründer Johannes Weimer, Philipp Spital, Søren von Horsten und Benedikt Behr pachten geeignete leere Ställe, bauen auf eigene Kosten eine Indoor-Cannabisfarm hinein und verpachten sie dann fertig ausgerüstet an einen Anbauverein weiter. Was dieser dem Start-up dafür zahlt, wollten die Gründer auf Nachfrage nicht verraten. Die Landwirte schließen eigene Energielieferverträge mit dem Verein.
Der Stall von Christoph Korte brachte eine gute Lage im Speckgürtel von Münster mit. Auch baulich war er durch einen bereits entfernten Güllekeller und eine Deckenhöhe von 4 m ein aus Start-up-Sicht geeigneter Standort für die Pilotanlage. Vielleicht am wichtigsten: Energetisch hatte Korte bereits in eine gute Isolierung, einen Erdwärmetauscher und eine passende Infrastruktur mit passendem Trafo und starker Anschlussleistung von ca. 130 kWh investiert.
2 bis 4 € Pacht pro m² + Energie
Bislang wurde vorerst eine Hälfte des 700 m² großen Stalls zur Cannabis-Indoorfarm umgerüstet. Der Einzug eines zweiten Anbauvereins ist beantragt.
Generell eignen sich landwirtschaftliche Betriebe gut für eine Zusammenarbeit mit aarnt bioworks, die neben Energie aus Wind oder PV eine Biogasanlage am Hof haben, um die ununterbrochene Energieversorgung sicherzustellen, auch wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht.
Nachdem das Start-up Anzeigen geschaltet hatte, meldeten sich viele interessierte Landwirte mit leeren Ställen, vor allem ehemalige Schweinehalter, berichten Johannes Weimer und Philipp Spital. Dies habe das Team wenig überrascht. Ein passives Einkommen, das der Landwirt ohne eigenes Zutun für die Nutzung von bestehenden Liegenschaften erzielen könne, sei eben attraktiv. Und was zahlt das Start-up den Landwirten?
Ein junger Markt bietet immer Chancen und Risiken – ich versuche die Chancen zu sehen.“
„Wir können keine Festpreise nennen, weil die bei der Pacht z.B. vom energetischen Zustand und der Lage des Gebäudes abhängen“, so Spital. „Aber die Pacht dürfte irgendwo zwischen zwei und vier Euro pro m² liegen.“ Dabei bieten die Gründer Verträge, und damit Planungssicherheit, von bis zu sieben Jahren.
„Bei den Energiepreisen sagen wir zu, dass die Landwirte ihre Produktionskosten plus 2 Cent Marge berechnen können“, so Weimer und Spital. „Da sind wir bei den kalkulierten Verbräuchen schnell bei 150.000 € im Jahr. Die Wirtschaftlichkeit ist für Landwirte gegeben. Es handelt sich um ein margenstarkes Produkt.“
Stromverbrauch im niedrigen bis mittleren sechsstelligen Bereich
Wie viel Strom und Wärme in der Indoor-Anlage genau verbraucht werden wird, dazu sammeln Landwirt und Start-up derzeit noch Daten und können lediglich Prognosen abgeben. Ihre Schätzung zum Stromverbrauch in KWh liegt im niedrigen bis mittleren sechsstelligen Bereich pro Anbauverein und Jahr. „Landwirte sollten bedenken, dass sie bei einer Zusammenarbeit die Anschlussleistung auch vorhalten müssen“, ergänzt Landwirt Korte. „Für andere Vertragslieferungen oder Partnerschaften müsste ggf. neu in die Infrastruktur investiert werden.“
Insgesamt ist der Landwirt so überzeugt vom Konzept des Start-ups, dass er sich als Investor selbst Geschäftsanteile gesichert hat. „Ein junger Markt bietet immer Chancen und Risiken – ich versuche die Chancen zu sehen“, sagt der ehemalige Schweinebauer und heutige Energiewirt. „Ich halte das Modell für ein gutes Geschäft mit guten Margen. Daher sind wir eingestiegen.“ Dass sich das Start-up als Dienstleister sieht und den Anbauvereinen den fertigen Quadratmeter Stall verpachtet, habe Korte unternehmerisch gefallen und schließlich überzeugt.
Indoor-Anbau von Cannabis
Vom Cannabisanbau selbst muss der Landwirt nichts verstehen. Das technische und pflanzenbauliche Konzept hat aarnt bioworks entwickelt: Nach einem Raum-in-Raum-Prinzip werden innerhalb des Stalls auf rund 240 m² verschiedene geschlossene Räume mithilfe von Sandwich-Paneelen gebaut. Neben Räumen für Technik, Trocknung und Verarbeitung gibt es die Blüteräume.
Sie sind das Herz der Farm. Denn da Cannabis eine sogenannte photoperiodische Pflanze ist, deren Wachstums- und Blütephase sich nach dem Verhältnis von Tag und Nacht richtet, kommt es in diesen Räumen auf die jeweils passende Lichtsteuerung an. „Der Ertrag der Pflanzen korreliert nicht mit den Pflanzen pro Quadratmeter, sondern mit der Lichtintensität“, sagt Johannes Weimer. Während der Wachstumsphase benötigt eine Cannabispflanze 16 bis 18 Stunden Licht. In der Blütephase hingegen nur 12 Stunden. Die Lichtintensität wird je nach Phase und Raum passend eingestellt. Das viele künstliche Licht ist der Grund, wieso Landwirt Korte nur relativ wenig Wärme vermarkten kann – die Lampen strahlen schon viel Wärme aus.
Neben der automatisierten Lichtsteuerung sind die Räume mit einer Klimasteuerung sowie mit Be- und Entfeuchtern ausgestattet. Ein Dünge- und Wassercomputer überwacht die Versorgung der Pflanzen. Diese Technik lässt sich über das Smartphone steuern. Dennoch kommt einmal täglich ein Verantwortlicher des CSC für einen Kontrollrundgang auf den Betrieb. Er überprüft das Wachstum und entfernt ggf. gelbe Blätter. Andere Pflegemaßnahmen sind in der kontrollierten Umgebung selten nötig, da z.B. potenzielle Schädlinge wie Thripsen oder Spinnmilben größtenteils draußen gehalten werden können.
Unter idealen Wachstums- und Lichtbedingungen planen die Gründer derzeit mit Erträgen zwischen 0,5 und 0,9 kg pro m². Dabei handelt es sich um das fertig geerntete Rohprodukt, also die getrocknete und getrimmte Cannabisblüte. „Die Zahlen sind bitte mit Vorsicht zu genießen“, bremst Philipp Spital. „Wir sind gerade im ersten Anbauzyklus und sammeln noch Praxiserfahrungen und Daten.“ Generell darf der CSC nur so viel Gras anbauen, wie er vorher bei der Genehmigungsbehörde angemeldet hat.
Die Pflanzen werden als feminisierte Samen ausgesät, denn nur die weiblichen Cannabisblüten tragen genug Wirkstoffe in sich, um einen Rausch zu erzeugen. Nach acht bis zwölf Wochen kann der Anbauverein ernten. Bis zu fünf Ernten pro Jahr sind im Indoor-Anbau möglich. Dabei erntet man den gesamten Stängel, trocknet die Pflanze und trimmt die Blüten. Der CSC darf das abgepackte Marihuana nicht am Hof an seine Mitglieder weitergeben. „Aus dem Anbauverein wissen nur die verantwortlichen Mitglieder, wo das Cannabis überhaupt wächst“, sagt Landwirt Korte, der daher keinen unerwünschten Besuch erwartet.
Offenbar verändert sich der Markt
Der CSC aus Münster baut im Stall von Landwirt Korte vier verschiedene Sorten an. Sie tragen Namen wie „Banana Purple Punch“, „Northern Light“ oder „Wedding Cheesecake“. Die Sortenbeschreibungen lesen sich ähnlich wie die Geschmacksbeschreibungen von Weinen. Und genau den Vergleich ziehen die Gründer auch. Sie glauben, dass sich der deutsche Cannabismarkt mit der Hoffnung auf die Eindämmung des Schwarzmarktes bereits ähnlich wie in den USA professionalisiert. „Nicht nur bei der Beschreibung von Geschmacksprofilen gibt es Ähnlichkeiten“, sagt Johannes Weimer. „Auch bei der Preisgestaltung oder den unterschiedlichen Qualitäten. In Amerika entstehen gerade Premiumsegmente mit Cannabis-Sommeliers.“ In Übersee, wo Aktiengesellschaften Cannabis anbauen, sei der Markt viel weiter entwickelt.
Hierzulande habe die jahrzehntelange Prohibition dafür gesorgt, dass die Konsumenten und Händler im Grunde nichts über die Eigenschaften der Ware wüssten. „Beim Dealer auf dem Schwarzmarkt heißt es ‚friss oder stirb‘“, sagt Johannes Weimer. „Dann kauft man etwas oder man lässt es bleiben. Aber man unterhält sich nicht über die Eigenschaften oder Stärken der Sorten.“ Auch in Sachen Forschung sei durch die lange Illegalität des Cannabiskonsums nicht viel passiert, so die Gründer.
Gesetz rückgängig machen?
Landwirt Korte hat keine Bedenken beim neuen Geschäftsmodell. Auch keine bzgl. der Sicherheit am Hof. „Wir haben einen vernünftigen gesetzlichen Rahmen, der den Anbau erlaubt und schützt“, sagt er. „Innerhalb der Familie gab es anfangs etwas Skepsis, aber die wird sich jetzt sicher rauswachsen.“
Und was würde passieren, wenn eine neue Regierung die Teillegalisierung von Cannabis rückgängig macht? Sowohl Landwirt Korte als auch aarnt bioworks sehen dem gelassen entgegen. Korte sagt: „Etwas derartiges zu erlauben, ist schwer. Aber das wieder zu verbieten, ist noch viel schwieriger.“
*Name von der Redaktion geändert
Konsumcannabisgesetz: Wie Anbauvereinigungen geregelt sind
Am 1. April 2024 trat das Konsumcannabisgesetz (KCanG) in Kraft. Seitdem sind Besitz und Konsum von Cannabis teillegalisiert. Am 1. Juli 2024 traten die Regelungen zum gemeinschaftlichen Eigenanbau in Anbauvereinigungen in Kraft. Ein Einblick ins Gesetz, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Anbauvereinigungen, die nicht-gewerblich Cannabis anbauen und zum Zwecke des Eigenkonsums an Mitglieder weitergeben, brauchen eine Genehmigung.
Die Genehmigung für Anbauvereinigungen gilt für sieben Jahre.
Anbauvereinigungen dürfen max. 500 Mitglieder haben, die mind. 18 Jahre alt sind. (Anm. d. Red.: aarnt bioworks arbeitet nur mit CSCs zusammen, deren Mitglieder mind. 21 Jahre alt sind.)
Anbauvereinigungen müssen einen Mindestabstand von 200m zu Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Spielplätzen einhalten.
Es dürfen an jedes Mitglied höchstens 25g Cannabis pro Tag und höchstens 50g Cannabis pro Monat zum Eigenkonsum weitergegeben werden. aarnt bioworks geht von einem Durchschnittsverbrauch eines CSC-Mitglieds von rund 14g/Monat aus.
An Mitglieder unter 21 Jahren darf monatlich max. 30g Cannabis weitergegeben werden. Es darf einen THC-Gehalt von 10% nicht überschreiten.
Proben jeder Ernte müssen an ein Labor zur Prüfung geschickt werden. Erst danach folgt die Abgabe.
Die Weitergabe des Cannabis ist nur in Reinform erlaubt (Marihuana, die Blüte) oder Haschisch (abgesondertes Harz der Pflanze). Eine Weiterverarbeitung zu z.B. Haschkeksen ist verboten.
Mitglieder dürfen von der Anbauvereinigung erhaltenes Cannabis nicht an andere Personen weitergeben.
Im Straßenverkehrsgesetz sind seit 22. August 2024 ein THC-Grenzwert von 3,5 ng/ml im Blutserum festgelegt worden, sowie ein Cannabisverbot für Fahranfänger und ein Verbot des Mischkonsums von Cannabis und Alkohol.