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Biorinder müssen Weidezugang haben. Für 2025 gilt noch eine Übergangsregelung, ab nächstem Jahr nicht mehr.
Betroffen sind vor allem Biobetriebe in Süddeutschland, die bisher mit Auslauf und Grünfütterung die Weidepflicht erfüllen konnten.
Jungviehweiden einzurichten verursacht großen Aufwand und ist in vielen Betrieben nur sehr schwer umsetzbar.
Die Mitteilung zur Jahreswende schlug bei den Biobetrieben ein wie eine Bombe: Ab 2025 ist die in der EG-Öko-Verordnung festgeschriebene Weidepflicht in Deutschland ohne Ausnahmen umzusetzen.
Danach müssen Biorinder von Anfang April bis Ende Oktober Zugang zu einer Weide haben. Der Zugang darf nur eingeschränkt werden, wenn die Witterung oder der Zustand des Boden es nicht zulassen oder der Aufwuchs so gering ist, dass er für die Tiere nicht reicht. Ausgenommen von der Verpflichtung sind nur Kälber bis vier Wochen nach dem Absetzen und männliche Tiere, die älter sind als ein Jahr.
Für 2025 gilt noch eine Übergangsfrist. Wer nicht sofort alle Tiere weiden lassen kann, muss den Weidezugang für mindestens 50 % der Rinder gewährleisten. Zudem muss bereits dieses Jahr ein Weidekonzept vorliegen, das zeigt, ab wann welche Tiergruppen auf welchen Flächen weiden.
Bisher Ausnahmen im Süden
Die Weidepflicht ist zwar bereits seit 2007 Teil der EG-Öko-Verordnung. Aber Bayern und Baden-Württemberg haben die Verpflichtung so ausgelegt, dass Biobetriebe ohne direkten Weidezugang diese mit Auslauf und Grünfütterung erfüllen. Unabhängig davon wurde die Weidepflicht für Jungrinder bisher bundesweit allgemein weniger streng gehandhabt.
Die verschärfte Auslegung betrifft die Biorinderhalter unterschiedlich. Während die meisten Mutterkuhhalter bereits Weiden haben, müssen viele Milchviehhalter diese noch einrichten.
Potenzielle Flächen für das Jungvieh sind meist weiter weg vom Stall. Weil immer wieder Tiere ausbrechen, ist dabei die Hütesicherheit ein großes Thema. Zudem kann es vorkommen, dass die Rinderhalter, etwa bei Trockenheit, auf der Weide zufüttern müssen oder die Tiere in den Stall holen müssen. Das verursacht einen großen Mehraufwand.
Kommentar: Verbände zu naiv?
Die Verschärfung der Weidepflicht kam für die meisten Biorinderhalter sehr überraschend. Dabei hatte sich eine strengere Auslegung der Öko-Verordnung frühzeitig angedeutet. Als die EU-Kommission 2021 das Pilotver-fahren zur Weidepflicht gegen Deutschland startete, hatte sie das kurz zuvor gegen Österreich abgeschlossen, ohne dass Brüssel zu Zugeständnissen bereit war. In der Folge mussten viele Bio-rinderhalter in unserem Nachbarland rückumstellen, weil sie die strengeren Vorgaben nicht erfüllen konnten.
Als die Kommission im November 2024 das Verfahren gegen Deutschland einstellte, war deshalb erwartbar, dass es auch bei uns keine Ausnahmen mehr gibt. Eine frühzeitigere Information durch die Bioverbände hätte vielleicht manchem Betrieb geholfen, die Weichen für die Weide noch rechtzeitig zu stellen.
Gleichwohl sollte der EU-Agrarkommissar Christophe Hansen seinem Versprechen nach Vereinfachungen Taten folgen lassen und Lösungen für Härtefallbetriebe mit beschränkten Weidemöglichkeiten ermöglichen.
Kälberweide kontraproduktiv
Auf Unverständnis stößt bei Praktikern und Beratern, dass auch Kälber spätestens vier Wochen nach dem Abtränken auf die Weide müssen. „Jeder Betrieb muss selbstständig entscheiden können, wann ein Jungtier bereit für die Weide ist“, fordert Franz Wieser, Naturland-Berater im Landkreis Erding.
Betriebe, die schon einmal Kälber geweidet haben, berichten, dass sich das nicht bewährt habe. „Das kann gut funktionieren, wenn die Tiere vom Stall aus Zugang zur Weide haben“, so Wieser. „Aber diese Möglichkeit hat nicht jeder.“ Aus Sicht des Tierschutzes sei diese strenge Vorgabe jedenfalls kontraproduktiv, kritisiert der Berater.
Viel schwieriger ist die Situation für Betriebe, die bisher die Ausnahmeregelung genutzt haben, weil sie für die Kühe keine weidefähigen Flächen am Stall haben. „Im Bayerischen Wald gibt es einige Betriebe, die wegen der Lage im Dorf keine Chance haben, eine Weide einzurichten“, berichtet Naturland-Berater Hubert Weigand.
In Franken und Nord-Württemberg tritt dieses Problem noch häufiger auf. Biomilcherzeuger Martin Gleichmann rechnet damit, dass in Franken 30 % der Biomilchviehhalter rückumstellen oder die Tierhaltung aufgeben werden. Besonders hart ist das für Landwirte, die bereits seit Jahrzehnten ihre Höfe biologisch bewirtschaften.
Wie viele Rückumsteller?
Wie viele Betriebe letztlich die Weidepflicht nicht umsetzen können oder wollen, lasse sich nicht seriös abschätzen, sagt Christoph Zimmer, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau Baden-Württemberg (AÖL). Auch Maria Lena Hohenester, Geschäftsführerin der Landesvereinigung für ökologischen Landbau in Bayern (LVÖ), betont, dass es dazu keine wirklich verlässliche Zahl gibt.
Bei der LVÖ orientiert man sich an der Rückumstellerquote in Österreich von 5 bis 7 %, nachdem dort die Weidepflicht verschärft wurde. Umgerechnet auf die 7.800 Biorinderhalter in Bayern und Baden-Württemberg wären das 400 bis 500 Betriebe im Süden, die die Biohaltung aufgeben müssen.
Die beiden Biodachverbände fordern, dass es eine Härtefallregelung für die Betriebe geben muss, die wegen struktureller Gründe den Weidezugang z. B. durch einen Stallbau schaffen wollen, dies aber bis 2026 noch nicht vollumfänglich umsetzen können.
Unterstützt werden sie dabei von Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Beide haben bei EU-Agrarkommissar Christophe Hansen für eine solche Regelung geworben. Hansen scheint dafür offen zu sein. Allerdings muss dazu die EG-Öko-Verordnung geändert werden, was die Zustimmung der EU-Kommission, des -Rates und -Parlamentes voraussetzt.
Leserstimmen
"Mit mobiler Melkstand hat man vielen Möglichkeiten: Bei ungünstiger Arrondierung der Weideflächen ist weiden möglich, zusätzliche Weide-Möglichkeiten auf Zwischenfrüchten *zusätzliche Weide-Möglichkeiten auf Artenreiche Grünfutterpflanzen im Ackerbau. Das letzte sorgt auch für mehr Rezilienz imAckerbau. Und wenn man es gut managt, mehr Betriebs-Gewinn!" (Maarten Sillekens)
"Klasse, Jungtiere auf der Weide und Wölfe. Das wird für die Besitzer bestimmt kein Spaß. Von schlechtem Wetter und anderen Problemenmal ganz zu schweigen. Unterstände darf man ja auch nicht so einfach bauen. Wetterumschwünge machen gerade den Jungtieren sehr zu schaffen." (Holger Pramschüfer)
"1. Unterstände sind Pflicht, nach der Tierschutznutztierverordnung. 2. Die Berufsverbände lagen ja im Dornröschenschlaf. 4. Eine Rückumstellung von 400 bis 500 Betrieben oder eine Betriebsaufgabe ist verkraftbar, ohne Einschränkung der Versorgungssicherheit. 5. Der Wolf kommt nur regional vor und stellt bei funktionierenden Herdenschutzmaßnahmen keine wesentliche Gefahr dar." (Günter Schanné)
"Wenn ich Weidemilch produziere, mich aber nur an das übliche Mindestmaß halte (120 Tage mit jeweils mind. sechs Stunden Weidezeit), erfülle ich dann schon die Weidepflicht im Sinne der Öko-Verordnung oder steht eine Weidezeit von nur sechs Stunden täglich im Widerspruch zur Weidemaximierung? Dass Wiederkäuer grundsätzlich (ein paar Stunden täglich) Zugang zu Weideland haben, ist im Sinne des Tierwohls und wird von den Biokunden auch zurecht erwartet. Ein Maximieren des Weideanteils und der Weidezeit widerspricht aus meiner Sicht jedoch dem Kreislaufgedanken. Wenn wir Nebenprodukte aus dem Ackerbau oder der Lebensmittelverarbeitung sinnvollerweise an z.B. Milchkühe verfüttern, dann senkt dies logischerweise den Anteil der Weide in der Futterration. Und wenn das Zufüttern dieser Nebenprodukte nicht im Stall, sondern auf der Weide erfolgt, dann haben wir auf den Weideflächen einen Nährstoffüberschuss, der unter Gesichtspunkten des Umweltschutzes inakzeptabel ist." (Philipp Dümig)
"Es ist schon mehr als bedauerlich, dass die Bioverbände geschlafen haben, als Österreich offensichtlich bereits 2021 die strenge Weideplicht umsetzen musste. Es hiess immer: 2030 sei der Endpunkt, danach Weidepflicht. Man hätte die Betriebe schon viel früher warnen und animieren müssen!" (Erwin Schmidbauer)