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Kann eine Sanierung das PRRS-Problem in deutschen Schweinebeständen lösen?

Weil Impfen allein nicht mehr gegen PRRS hilft, setzen immer mehr Länder auf eine Sanierung - also den Aufbau von vollkommen PRRS-freien Herden. Wäre das auch ein Ausweg für Deutschland?

Lesezeit: 8 Minuten

Das Porcine Reproduktive Respiratorische Syndrom (PRRS) bereitet in vielen Schweinebeständen noch immer große Probleme. Kann eine Sanierung in deutschen Schweinebetrieben helfen? Dr. Hendrik Nienhoff vom Schweinegesundheitsdienst Niedersachsen gibt Antworten.

Obwohl intensiv gegen PRRS geimpft wird, verursacht das Virus in deutschen Schweinebeständen noch immer große Schäden. Was macht seine Bekämpfung so schwierig?

Nienhoff: Beim PRRS-Erreger handelt es sich um ein RNA-Virus, das sich extrem schnell verändert. Bei der Zellvermehrung kommt es immer wieder zu Kopierfehlern und Punktmutationen. Inzwischen existieren unzählige genetische Varianten. Nahezu jeder schweinehaltende Betrieb hat eine eigene PRRS-Variante entwickelt.

Hinzu kommt, dass der Erreger extrem gut übertragbar ist – sowohl über die Luft als auch über unzureichend gereinigte Viehtransporter und Verladerampen. Über den Zukauf von Ferkeln und Zuchttieren sowie den Verkauf von Mastschweinen gelangen immer wieder neue Virusvarianten in die Betriebe.

Schnell gelesen

  • Trotz Impfung verursacht das PRRS-­Virus auch 30 Jahre nach seinem ersten Auftreten noch immer große Schäden.

  • Es schwächt das Immunsystem der Tiere und ebnet so den Weg für ­andere bakterielle oder virale Erreger.

  • Zahlreiche Länder arbeiten deshalb an Programmen, mit denen sie ihre Schweinebestände PRRS-sanieren wollen.

  • In Deutschland als Transit- und ­Importland für Schweine sind die Voraussetzungen dafür nicht einfach.

  • Sinnvoll wäre, damit zunächst in ­Regionen mit wenigen und dafür großen Schweinebeständen zu beginnen.

Welche Rolle spielt PRRS als Wegbereiter für andere Infektionen?

Nienhoff: Das PRRS-Virus befällt die Makrophagen (Fresszellen des Immunsystems) der Schweine, insbesondere die Lungenmakrophagen. So schwächt es die unspezifische Immunabwehr der Tiere und schaltet sie teilweise sogar komplett aus. Dadurch öffnet es anderen Viren und Bakterien Tür und Tor. In PRRS-positiven Beständen beobachten wir z. B. häufiger Infektionen mit Streptokokken oder Glaesserella parasuis. Gelingt es, in diesen Beständen das PRRS-Virus auszuschalten, kann sich das Immunsystem der Tiere voll und ganz auf die Abwehr anderer Keime konzentrieren.

Was versteht man unter einer PRRS-Sanierung, und welche Vorteile würde sie bieten?

Nienhoff: Unter Sanierung versteht man den Aufbau von Herden, die vollkommen frei von PRRS-Viren sind. Der Vorteil: Derartige Schweinebestände sind tiergesundheitlich wesentlich stabiler. Das kommt anderen Programmen zugute. Vermutlich lassen sich in PRRS-sanierten Beständen wesentlich mehr Schweine erfolgreich mit intaktem Ringelschwanz mästen.

Auch beim internationalen Handel spielt die Freiheit von bestimmten Erregern eine wichtige Rolle. Zumal PRRS im europäischen Tiergesundheitsrecht (Animal Health Law) inzwischen als Seuche der Kategorie D und E eingestuft wurde. Sie wird also als eine Erkrankung gesehen, der mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

Welche Grundvoraussetzungen müssen für eine PRRS-Sanierung erfüllt sein?

Nienhoff: Zunächst einmal muss man den PRRS-Status aller schweinehaltenden Betriebe in der zu sanierenden Region kennen. Wichtig ist zudem, aus welchen Ländern Schweine importiert werden und welchen Status diese Tiere aufweisen. Letztlich müssen alle Transporte von Schweinen erfasst und die Transportfahrzeuge penibel gereinigt sowie desinfiziert werden. Denn über unsaubere Viehtransporter kann das Virus jederzeit wieder in die Bestände eingetragen werden und den Sanierungserfolg zunichte machen.

Darüber hinaus muss der gesamte pyramidale Aufbau der Schweinezucht in die Sanierung einbezogen werden. Man braucht PRRS-negative Nucleus- und Vermehrungsherden, um PRRS-freie Sauenbestände aufbauen zu können. Und es werden PRRS-negative Besamungsstationen benötigt, damit das Virus nicht über infiziertes Sperma wieder in die Betriebe eingeschleppt wird. Alle drei Voraussetzungen erfüllen wir in Deutschland. Ein Großteil der Zuchtstufe ist bereits PRRS-negativ.

Gibt es Beispiele für eine erfolgreiche PRRS-Sanierung in anderen Ländern?

Nienhoff: Ja, Ungarn führt gerade eine PRRS-Sanierung seiner Schweinebestände durch und hat das Ziel fast erreicht. Es handelt sich dort um ein staatlich gelenktes Programm, bei dem zum Teil die Herden getauscht werden. Infizierte Bestände werden geräumt (Depopulation) und nach sorgfältiger Reinigung und Desinfektion wieder mit neuen, PRRS-freien Schweinen ­bestückt (Repopulation). In einigen Betrieben wird auch eine Verdrängungsimpfung durchgeführt.

Sehr erfolgversprechend ist auch das dänische Sanierungsmodell, das von der Wirtschaft und vom Staat ­gemeinsam vorangetrieben wird. Im ersten Schritt wurde der PRRS-­Status aller schweinehaltenden ­Betriebe in Dänemark erfasst. Das ­Ergebnis wird in einer für jedermann ein­sehbaren geografischen Karte dar­­gestellt. Jeder Landwirt kann sehen, über welchen PRRS-Status sein Nachbar verfügt.

Im nächsten Schritt werden alle schweinehaltenden Betriebe regelmäßig gemonitort, und es wird ein Malus-Programm aufgelegt. Bestände, die weiterhin PRRS-positiv bleiben, bekommen Abzüge, wenn sie ihre Tiere zum Schlachten abliefern. Das erhöht den Druck, sich am Sanierungsprogramm zu beteiligen und Fortschritte zu erzielen, ganz enorm. 

Lässt sich das dänische Modell auf Deutschland übertragen?

Nienhoff: Nein, zumindest nicht eins zu eins. Denn erstens besitzt Dänemark fast einen Inselstatus. Das Land ist an drei Seiten von Wasser umgeben. Lediglich im Süden besteht eine 50  km-lange Grenze zu Deutschland. Zweitens ist Dänemark ein reines Exportland. Es werden fast nur Schweine aus- und kaum Tiere eingeführt. Und drittens lässt sich eine Veröffentlichung des PRRS-Status in Deutschland aufgrund der hier geltenden Datenschutzverordnung kaum realisieren.

Und wie geht man in den Nieder­landen mit PRRS um?

Nienhoff: Auch die Niederlande haben in einigen Regionen mit der PRRS-Sanierung begonnen, stehen aber noch ziemlich am Anfang. Ziel unserer westlichen Nachbarn ist, bis 2050 PRRS-frei zu werden. Dazu beginnt man zunächst in einigen Regionen mit extensiver Schweinehaltung und auf freiwilliger Basis.

„Man könnte inRegionen mit wenigen,dafür aber großen Beständen starten.“
Nienhoff

Gibt es auch Beispiele für weniger ­erfolgreiche Sanierungsbemühungen?

Nienhoff: Ja, zum Beispiel das Stevens County-Projekt im US- Bundesstaat Minnesota. Auch hier wurde zunächst der PRRS-Status der Betriebe erfasst. Anschließend wurden die positiven Bestände saniert. Am Ende war die Region zu fast 100 % PRRS-negativ. Über Transportfahrzeuge, die Schweine zum Schlachten abholten und nicht sorgfältig desinfiziert wurden, kam es dann nach ein paar Jahren zu Reinfektionen. Dieses Projekt muss man daher als gescheitert ansehen.

Welche Chancen hätte eine PRRS-Sanierung in Deutschland?

Nienhoff: Drei Dinge erschweren eine PRRS-Sanierung in Deutschland. Erstens sind wir ein Transitland, durch das sehr viele Schweine transportiert werden. Zweitens importieren wir sehr viele Tiere, deren PRRS-Status wir häufig gar nicht kennen. In Spitzenzeiten kamen z. B. jährlich mehr als 17 Mio. Ferkel aus dem Ausland nach Deutschland, vor allem aus Dänemark und den Niederlanden. Zudem werden aus den Niederlanden, Dänemark, Polen und Österreich Mastschweine nach Deutschland verbracht, um die hiesigen Schlachthaken auszulasten. Und drittens ist Deutschland föderalistisch aufgebaut. Wenn beispielsweise Niedersachsen mit der PRRS-Sanierung beginnt, heißt das noch lange nicht, dass auch Bayern und Baden-Württemberg entsprechend mitziehen.

Hinzu kommt die hohe Bestandsdichte in den Veredlungsregionen. Macht eine PRRS-Sanierung daher hierzulande überhaupt Sinn?

Nienhoff: Es gibt absolute Hotspots der Veredelung, z. B. im Nordwesten Niedersachsens, im Münsterland, aber auch in Schleswig-Holstein und Teilen Bayerns. Mitunter stehen die Schweineställe so dicht beieinander, dass die PRRS-Übertragungsgefahr über die Luft oder lebende Vektoren groß ist. Wenn in diesen Regionen nur ein Schweinehalter nicht mitzieht, sind alle Sanierungsbestrebungen vergebens.

Welche Chancen bieten regionale Sanierungsprogramme?

Nienhoff: Man könnte in Regionen mit geringerer Viehdichte starten, wo die Schweine in wenigen und dafür größeren Einheiten gehalten werden. Die neuen Bundesländer bieten dafür gute Voraussetzungen. Zumal aus diesen Regionen mehr Schweine heraus- als hineintransportiert werden. Und wenn die Sanierung hier gut geklappt hat, könnte man versuchen, sie auf andere Regionen Deutschlands auszuweiten.

Wäre die Teilnahme freiwillig oder ­verpflichtend?

Nienhoff: Zu Beginn würde man sicherlich mit einem freiwilligen Programm starten. Es gibt genug Betriebe, die einsehen, dass eine PRRS-Sanierung sinnvoll ist und daher konsequent mitziehen. Zusätzlich könnte man mit Anreizen arbeiten, z. B. einem Bonusprogramm bei der Vermarktung. Oder man könnte für Betriebe, die an der PRRS-Sanierung teilnehmen, die Beiträge zur Tierseuchenkasse reduzieren. Denn diese Schweinehalter müssen die Biosicherheit ohnehin optimieren.

Und später wäre die Teilnahme dann verpflichtend?

Nienhoff: Mit Geld und guten Worten lassen sich vielleicht 90 % der Schweinehalter vom Sinn einer Sanierung überzeugen. Die letzten 10 % muss man dann zur Teilnahme vergattern. Hier sehe ich den Staat in der Pflicht, das ganze über entsprechende Verordnungen oder Erlasse zu regeln, die bundesweit gelten. Die Aujetzky-Sanierung, die in der 1980er-Jahren in Deutschland gestartet wurde, hat gezeigt, wie es funktionieren kann.

Welche gesetzlichen Änderungen wären dafür erforderlich?

Nienhoff: Der Staat müsste entsprechende Verordnungen oder Erlasse auf den Weg bringen, die zur Teilnahme an der Sanierung verpflichten und bundesweit gelten. Wie gesagt, im EU-Tiergesundheitsrecht wurden dafür bereits die Grundlagen geschaffen. Hier  könnte Deutschland dann mit einer nationalen Verordnung aufsatteln. Dänemark und Ungarn haben es genauso gemacht. Und beim Tierschutz ist die Bundesregierung ja auch dazu bereit.

Die Initiative müsste aber zunächst von der Branche ausgehen. Wie groß ist hier das Interesse?

Nienhoff: Ich habe bereits mit verschiedenen Veterinär-Hochschulen sowie Interessenvertretern der Schweinehalter und der Tierärzteschaft gesprochen. Alle haben großes Interesse und sehen ein, dass wir uns beizeiten mit dem Thema beschäftigen müssen. Denn viele unserer Handelspartner sind bereits auf einem guten Weg. Daher wird es höchste Zeit, dass auch wir ein Konzept erarbeiten, wie wir langfristig PRRS-negativ werden können.

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