Video: Politik trifft Praxis
„Ich befürchte, dass spätestens ab 2030 ein erheblicher Teil der Ackerfläche nicht mehr genutzt werden kann, sollte der Verlust von Wirkstoffen und die Zunahme von Regelungen zunehmen“, sagte Ole Wittenbrink auf der top agrar-Diskussionsveranstaltung "Politik trifft Praxis" am Montagabend in Berlin, die BASF unterstützt.
Wittenbrink war einer von drei Junglandwirten aus Nordrhein-Westfalen, die es sich nicht nehmen ließen, Ihre Sorgen und Forderungen den in der saarländischen Landesvertretung anwesenden Politikern zu präsentieren. Der Junglandwirt wollte von den Politikern wissen, welche konkreten Maßnahmen sie planen, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirte zu stärken und um den bürokratischen Aufwand abzubauen.
Agrarstudent Thilo Kamphues berichtete, dass er im Studium viele innovative Ansätze wie Direktsaat oder Strip-Till kennenlernen würde, die sich aber nur mit Pflanzenschutzmitteln umsetzen ließen. Er wollte wissen, wie die Politik erreichen möchte, dass Betriebe solche Ansätze nutzen, wenn immer mehr Mittel wegfallen.
Zu den Gästen zählten:
Dr. Franziska Kersten, SPD, ordentliches Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Carina Konrad, FDP, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Deutschen Bundestag
Albert Stegemann, Agrarsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR)
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Kurzfristig absagen musste Karl Bär (Bündnis 90/Die Grünen), ordentliches Mitglied des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft
Zurück auf den Weg der Rationalität
Für Albert Stegemann waren die Sorgen der jungen Landwirte nicht überraschend, und der CDU-Politiker gestand ein, dass die Politik an einigen Stellen gescheitert ist, weil man den Weg der Rationalität und auch den Weg der Ordnungspolitik zu weit verlassen habe.
Laut Stegemann gehe es in einer Phase erheblichen Wohlstandsverlusts in Deutschland auch darum, die Volkswirtschaft zu erhalten. „Dafür müssen wir auf die Landwirtschaft zugehen“, so Stegemann, der darauf verwies, dass die Hälfte der Geschäftstätigkeit im ländlichen Raum auf die Landwirtschaft zurückzuführen ist. „Damit auch künftig junge Leue in die Landwirtschaft einstgeigen, brauchen wir endlich eine rationale Betrachtung der Risiken, die von Pflanzenschutzmittel ausgehen.“
Hart ins Gericht ging Stegemann mit dem Umweltministerium und dem Umweltbundesamt. „Ich bin davon überzeugt, dass in der Vergangenheit gerade das BMU und das UBA nicht rational entschieden, sondern Pflanzenschutzmittel generell diskriminiert haben.“
Carina Konrad von der FDP pflichtete Stegemann hier bei und sagte: „Das Umweltministerium ist das zentrale Verhinderungsministerium des Landes geworden.“
Es braucht mehr Wirkstoffe, nicht weniger
Carina Konrad verdeutlichte die Problematik mit Blick auf die aktuelle Zulassungssituation bei den Pflanzenschutzmitteln. „Wir können es uns nicht erlauben, Jahr für Jahr Wirkstoffe ersatzlos zu streichen, wo wir eigentlich mehr brauchen.“ Sie verwies damit auf das Problem der zunehmenden Resistenzentwicklung, z. B. beim Ackerfuchsschwanz. Die FDP-Vertreterin ordnete aber auch ein, dass chemische Mittel nicht die alleinige Lösung seine, sondern erfolgreiche Strategien auch Aspekte wie Fruchtfolgegestaltung, Sortenwahl und den Einsatz moderner Technik umfassen. Und diese würden die Landwirte nutzen, so Konrad.
Hinsichtlich der Bereitstellung von sicheren Pflanzenschutzmitteln sehe sie die Politik in der Pflicht. Konrad kritisierte in diesem Zusammenhang auch das Vorgehen auf europäischer Ebene, auf der die Zulassung von Pflanzenschutzmittel erfolgt, sowie EU-Vorgaben, die die Praktiker direkt betreffen. „Es ist gut, dass die SUR gecancelt wurde, Programme wie der Green Deal oder die Farm to Fork-Strategie mit pauschalen Reduktionszeilen sind für junge Landwirte aber nicht attraktiv.“
Das Zulassungsverfahren muss effektiver werden
Die Forschung fördern und das Zulassungsverfahren effizienter gestalten, sind aus Sicht von Dr. Franziska Kersten (SPD) wichtige Hebel, um auch künftig Pflanzenschutzmittel im Rahmen des Integrierten Pflanzenschutzes einsetzen zu können. Getreu dem Motto: So wenig wie möglich und so viel wie nötig.
Anhand des aktuellen Falls von Flufenacet zeigte die SPD-Politikerin auf, dass immer mal Mittel wegfallen können, weil Schwächen aufgedeckt wurden. Dann sei es aber wichtig, neue Mittel zu entwickeln und zuzulassen. Eine pauschale Reduktion von Pflanzenschutzmitteln ist für Frau Kersten der falsche Weg.
Wie wichtig die Forschung für die Landwirtschaft ist, wurde auch bei der Diskussion über die SBR-Krankheit in Rüben und Kartoffeln deutlich. Aufhänger war eine Zusendung von Gummiknollen einer Zuschauerin. Dass es sich dabei um ein großes Problem handelt, vor allem im Südwesten Deutschlands, weiß auch Frau Konrad. Sie sagte aber auch, dass es aktuell und kurzfristig keine Lösung gebe. „Es ist aber ein weiteres Beispiel, aufgrunddessen wir unsere forschende Industrie nicht aus dem Land jagen dürfen, sondern Anreize und Geschäftsperspektiven bieten sollten. Denn die Probleme werden nicht weniger, sondern mehr“, so Konrad.
Extensivierung ist nicht der Schlüssel
Mit Programmen wie dem Green Deal, der eine Hommage an die Extensivierung ist, komme die europäische Landwirtschaft laut Albert Stegemann und Franziska Kersten nicht weiter. Vielmehr benötige es eine nachhaltige Intensivierung, sind sich die Politiker einig.
Kersten wies darauf hin, dass das Ziel der Lebensmittelsicherheit nicht in den Hintergrund geraten dürfe, forderte dennoch klar Grenzen ein. Man dürfe das Wasser, den Boden und die Biodiversität nicht schädigen, und es bedürfe klarer Leitlinien für die Bewertung des Risikos der Mittel auf die genannten Bereiche. Eine Nützlingsverordnung beispielsweise, die klar die Auswirkungen von Pflanzenschutzmittel auf Insekten benennt, wäre hilfreich.
„Wenn wir verpassen, neue Wirkstoffe zu entwickeln, dann wird es dazu kommen, dass es toxischere Mittel länger geben wird. Wir müssen unter Berücksichtigung der genannten Aspekt neue Produkte entwickeln“, brachte Frau Kersten ihre Meinung auf den Punkt.
„Wir müssen über Sicherheitsanforderungen reden“
Ein Experte in Sachen Risikobewertung ist Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Andreas Hensel vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Hensel weiß, dass das Pflanzenschutzmittelrecht in größten Teilen europäisiert wurde und sehr aufwendig und kleinteilig ist. „In Deutschland arbeiten in den vier involvierten Behörden über 1.000 Leute an den Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln“, verdeutlichte der Wissenschaftler.
Prof. Hensel und seine Kollegen bewerten das Risiko von Pflanzenschutzmittel kulturbezogen und auch verzehrsbezogen. Das heißt, sie ermitteln, wie viel man von einem Nahrungsmittel aufnehmen muss, damit es für den Menschen gefährlich ist.
Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist für ihn, dass Pflanzenschutzmittel keine Kontaminanten wie Blei oder Kadmiumsind. Das bedeute, dass ihr Auftreten bei sachgerechtem Einsatz erwartbar ist.
„Wir finden sowohl in ökologischen als auch in konventionellen Produkten Rückstände eingesetzter Stoffe. Wenn Sie die Verbraucher fragen, ob diese enthalten sein dürfen, beantworten Ihnen 2/3 der Deutschen dies mit "Nein" und meinen, das sei illegal. Aber das ist nicht richtig. Laut der europäischen und nationalen Parlamente dürfen Rückstände in Lebensmittel enthalten sein“, so Hensel.
Laut dem Wissenschaftler kommt es bei der Lebensmittelüberwachung nur höchst selten zu Grenzwertüberschreitungen. Wenn es aber so ist, schlachten die Medien und NGOs unverhältnismäßig stark aus. So würde der Bevölkerung suggeriert, dass sie schleichend vergiftet wird.
Herr Hensel fordert daher, dass wir uns zu Ängsten, Risiken und Sicherheitsanforderungen mehr besprechen müssen.
Das sagt Hensel zum Flufenacet
Axel Schreiber, der im Ost-Hessischen einen Saatgutvermehrungsbetrieb betreibt und dort große Probleme mit Weidelgräsern hat, nutzte die Gelegenheit, bei Politik trifft Praxis Prof. Hensel zu fragen, wie er Flufenacet einordnet.
Der Wissenschaftler erklärte, dass der Wirkstoff, der jetzt in einer routinemäßigen Untersuchung neu bewertet wurde, nicht mehr zu halten sei. „Es gibt Anzeichen dafür, dass es gesundheitsbeeinflussende Effekte gibt, die man früher übersehen hat und die trotz sachgerechter Anwendung auftreten können.“