Ein internationales Team von Forschenden hat die Auswirkungen der Windenergie auf Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Recht untersucht. Wie die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) berichtet, befasst sich die Studie mit den Auswirkungen der Windenergie auf die Systeme, in die sie eingebettet ist, seien es Umwelt- und Klimasysteme, sozioökonomische, technoökonomische oder politisch-rechtliche Systeme.
Die 24 Co-Autoren aus verschiedenen Institutionen sind fast alle an einem dreijährigen Projekt namens WIMBY beteiligt, das von der Europäischen Kommission finanziert wird. WIMBY steht für „Wind In My Backyard“.
Im Rahmen dieses Projekts wollten die Autoren eine ganzheitliche Analyse der Windenergie durchführen und eine Bestandsaufnahme der unterschiedlichen Auswirkungen der Windenergie auf verschiedene Systeme erstellen. Dabei haben sie über 400 Studien ausgewertet und konnten so den aktuellen Stand der Forschung und die prioritären Forschungsthemen herausfiltern.
14 Auswirkungen
Die Wissenschaftler haben insgesamt 14 Auswirkungen definiert, um aufzuzeigen, wo die Forschungsprioritäten liegen sollten, um einige dieser Herausforderungen zu überwinden. Im Bereich Umwelt und Klima geht es beispielsweise um die Auswirkungen von Windparks auf das lokale Klima oder um das End-of-Life-Szenario von Rotorblättern, die nicht recycelt werden können.
Bei den sozioökonomischen Systemen haben die Wissenschaftler unter anderem lokale Kosten und Nutzen von Windkraftanlagen identifiziert. Beim politisch-rechtlichen System geht es beispielsweise um die Frage, was passiert, wenn die Lieferkette aus geopolitischen Gründen unterbrochen wird.
„Es gab einige Ergebnisse, bei denen wir festgestellt haben, dass sie nicht dem allgemeinen Wissen entsprechen. Ein Beispiel ist der Infraschall, der tieffrequente Lärm, der oft als Problem für die Bevölkerung genannt wird, weil er zu Irritationen führen und sogar Gegenstände in Häusern zum Vibrieren bringen kann“, sagt Russell McKenna, Experte für Energiesystemanalyse an der ETH Zürich.
In der Forschung gäbe es jedoch nur eine bekannte Studie, die eine bestimmte Windkraftanlage untersucht hat, und das war vor etwa drei Jahrzehnten, als gerade die ersten Prototypen gebaut wurden. „Bei den heutigen Anlagen ist kein Zusammenhang mit tieffrequentem Lärm mehr nachweisbar, das ist aber noch nicht in das allgemeine Wissen eingedrungen“, sagt McKenna.
Problem Faserbindemittel
Ein Problem beim Recycling von Rotorblättern stellt das Faserbindemittel dar. Da duroplastische Kunststoffe wie Epoxidharz oder Polyester nicht schmelzen, ist eine Rückgewinnung der Glasfasern kaum möglich. Daher werden die meisten Rotorblätter derzeit zerkleinert und auf Deponien oder inoffiziellen „Zwischenlagern» entsorgt
„Technologien wie die Pyrolyse (thermochemische Behandlung ohne Sauerstoff) können zur Rückgewinnung der Blattfasern beitragen. Die Qualität des zurückgewonnenen Materials und der sehr niedrige Marktpreis des neuen Materials machen diese Option jedoch wirtschaftlich unattraktiv“, erklärt McKenna.
Bei neueren Rotorblättern sähe die Situation besser aus, da die großen Hersteller jetzt ein Harz verwenden, das sich am Ende der Lebensdauer auflöst, sodass die Fasern in 20 Jahren leichter wiedergewonnen werden können. „Es wird also eine Kombination von Ansätzen verfolgt, um möglichst viel Material in den Kreislauf zurückzuführen. Letztlich sind solche Belastungen immer gegen die positiven Nebeneffekte des Windenergieausbaus abzuwägen – einer davon ist die Abkehr von fossilen Energieträgern“, resümiert er.
Der größte Handlungsbedarf
„Es liegt auf der Hand, dass die Akzeptanz von Windkraftanlagen in der Bevölkerung entscheidend ist, da sie das Landschaftsbild prägen. Eine ähnliche Situation haben wir seit Jahrzehnten mit der bestehenden Netzinfrastruktur“, erklärt der Wissenschaftler. Die Menschen würden wollen, dass der Strom aus der Steckdose kommt und verlassen sich täglich darauf. Das Stromnetz hänge an Masten in der Landschaft, die von den Menschen nicht immer akzeptiert werden. „Mit anderen Worten: Menschen wollen die (Energie-)Dienstleistung, aber das Problem der Auswirkungen soll woanders liegen“, stellt er den bekannten „Nimby-Effekt“ da (Nimby steht für „Not in my Backyard“, sinngemäß: „Nicht vor meiner Haustür“).
Ähnlich verhalte es sich mit Windturbinen: Die Akzeptanz in der Bevölkerung sei generell hoch, beispielsweise befürworten 60 % der Schweizer Bevölkerung Windkraftanlagen im zukünftigen Strommix, aber auf lokaler Ebene gäbe es oft Widerstand. Es habe sich gezeigt, dass die Akzeptanz für Windturbinen steigt, wenn die Gemeinde davon profitiert, zum Beispiel durch eine finanzielle Beteiligung am Projekt oder wenn Arbeitsplätze für die lokale Wirtschaft geschaffen werden. „Dabei geht es nicht nur um technische Arbeitsplätze – Windparks können auch attraktive Standorte für den Tourismus sein“, sagt McKenna.
Viel Aufklärung nötig
Generell müsse in der Bevölkerung noch viel Aufklärungsarbeit über die jeweiligen Vor- und Nachteile der Windenergie geleistet werden. Bei allen Energietechnologien sei immer ein Kompromiss notwendig, und es sei unvernünftig, sich auf die Nachteile einer Technologie zu konzentrieren, ohne die Alternativen zu berücksichtigen.
„Diese Forschung zeigt, dass alle diese Technologien Vor- und Nachteile in einer Vielzahl von Wirkungskategorien haben. Leider neigt die Diskussion über die Energiewende dazu, sich auf bestimmte Vor- oder Nachteile zu konzentrieren und andere zu ignorieren“, kritisiert er.
Diese und andere Studien hätten einige der ‚Mythen‘ rund um die Windenergie entlarvt und sie von den tatsächlichen Auswirkungen und Forschungsherausforderungen abgegrenzt. Sein Plädoyer: „Es ist wichtig, dass alle Beteiligten, einschließlich der Öffentlichkeit, das Gesamtbild vor Augen haben, wenn sie zwischen verschiedenen Energietechnologien abwägen.“