Der Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), Friedrich-Otto Ripke, spricht im Interview mit dem Pressedienst Agra Europe über den Markterfolg der Branche, mehr Zeit für die Transformation und die Perspektiven des Veredelungsstandorts Deutschland
AgE: Herr Ripke, Messen sind gemeinhin Stimmungsbarometer für die Wirtschaft. Mit welchen Erwartungen fahren Sie zur EuroTier?
Ripke: Der Geflügelwirtschaft geht es gut. Das schlägt sich in der Stimmung unseres Verbandes ebenso nieder wie in der seines Präsidenten. Wir fahren gut gelaunt nach Hannover.
Geflügelfleischverzehr wird weiter zunehmen
Der Markt für Geflügelfleisch wächst. Trend oder Momentaufnahme?
Ripke: In Deutschland steigt die Nachfrage nach Geflügelfleisch und Eiern seit Langem kontinuierlich, in den vergangenen 20 Jahren um insgesamt etwa 25%. Ich glaube auch, vorhersagen zu können, dass es so weitergeht. Wir sind im Moment beim Fleisch bei 22 Kilo pro Kopf. Die Prognose für 2031 beläuft sich auf knapp 32 Kilo. Bei Eiern ist es ähnlich.
Die Geflügelbranche ist in Hochstimmung, der Rest der Wirtschaft verfällt in Depression. Wie geht das zusammen?
Ripke: Ganz ohne Sorgen sind wir natürlich nicht. Auch für die Ernährungsbranche gilt, Politik darf den Menschen nicht zu viel zumuten. Lebensmittel sind bereits teurer geworden, im oberen Segment dämpft das die Nachfrage. Dessen ungeachtet setzt die Politik immer stärker auf die höheren Haltungsstufen. Diese Rechnung geht aber so nicht auf.
Was nützen höhere Haltungsstufen, wenn wenn sie in den Regalen liegen bleiben?
Woran merken Sie das?
Ripke: Die Mehrzahl unserer Betriebe ist mit der ITW-Haltungsstufe 2, Stallhaltung Plus, am Markt. Die Produkte werden gut nachgefragt. Unsere Erlöse und die Kosten der Verbraucher passen hier gut zusammen. Wir produzieren auch für die höheren Stufen, merken aber, dass hier die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Das braucht Zeit, das kann man nicht übers Knie brechen.
Was nützen wachsende Mengen in den Haltungsformen 3, 4 und 5, wenn sie in den Regalen liegen bleiben? Der Markt muss für die Produkte aus diesen Haltungsformen bereit sein. Das ist er bislang von der Menge her nicht.
Das heißt, mehr geht nicht am Markt als Stufe 2?
Ripke: Zumindest nicht so schnell, wie manche meinen. Wir wollen trotzdem weiter investieren. Aber da spielt die Politik nicht mit.
Inwiefern?
Ripke: Nehmen Sie das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz. Das gilt bislang für frisches Schweinefleisch, Geflügelfleisch ist nicht drin. Das hat konkrete Folgen: Für Schweineställe geht das Gesetz mit einem „Tierwohlprivileg“ einher. Damit verbunden sind eine bevorzugte Baugenehmigung und günstigere Anforderungen bei der TA Luft.
Für Geflügelställe gilt das derzeit nicht. Das heißt, wenn die Politik uns bessere Rahmenbedingungen schaffen würde, würden unsere Betriebe mehr investieren. So sind wir politisch zum Stillstand verurteilt! Stallum- und -neubauten bleiben für uns deutlich schwerer.
Geflügel mit ins Tierhaltungskennzeichnungsgesetz
Das Bundeslandwirtschaftsministerium will das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz auf die Gastronomie ausweiten und Rindfleisch einbeziehen. Sollte Geflügel mit an Bord?
Ripke: Der Minister ist dafür. Aber es gibt juristische Probleme. Geflügelprodukte fallen unter die EU-Vermarktungsnormen, nicht jedoch Schwein und Rind. Die Kennzeichnung von Geflügelfleisch und Eiern ist damit rechtsverbindlich auf europäischer Ebene vorgegeben. Für Legehennen ist das beispielsweise Bodenhaltung, Freilandhaltung und Biohaltung als feste Begriffe, die national nicht geändert werden können. Ich erwarte deshalb mittelfristig nicht, dass Geflügel in das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz einbezogen wird und von den Vorteilen profitiert.
Das liegt ausnahmsweise mal nicht an der Politik…
Ripke: Aber sie könnte es ändern.
Wie?
Ripke: Indem sie ITW als qualitätsgesichertes Haltungsverfahren anerkennt. Dies hätte zur Folge, dass die ITW- und Haltungsform-Stufen das Tierwohlprivileg bei Geflügel auslösen würden. Der eklatanten Ungleichbehandlung, wie wir sie im Moment zwischen Schwein und Geflügel haben, könnte damit ein Ende bereitet werden. Das ist mein innigster Wunsch an Minister Cem Özdemir oder seinen Nachfolger.
Ihr zweitinnigster Wünsch wäre ein staatliches Herkunftskennzeichen?
Ripke: Eine staatliche Herkunftskennzeichnung wäre gut. Ich glaube aber nicht daran, dass es so schnell gehen wird. Weil das so ist, haben wir – Geflügelwirtschaft, Bauernverband, Raiffeisenverband, Netzwerk-Agrar und Lebensmitteleinzelhandel – über die Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft (ZHKL) ein neues wirtschaftsgetragenes Herkunftskennzeichen vorgelegt.
Weit über 100 Lebensmittelhersteller und damit viel mehr als erwartet haben inzwischen bereits einen Nutzungsvertrag für das eingeführte ZHKL-Zeichen „Gutes aus deutscher Landwirtschaft“ abgeschlossen. Die Nachfrage ist also schon zu Anfang groß. Das Zeichen wird seinen Weg machen, ebenso wie es bei ITW war. Beide Zeichen nebeneinander geben den Verbrauchern hinsichtlich Haltung und Herkunft die notwendigen Hinweise. Wenn man uns den Freiraum lässt, können wir also ohne Politik viel schneller und viel besser vorankommen.
Was bleibt von der Borchert-Kommission?
Sie waren Mitglied der Borchert-Kommission. Deren Ziel war, die Tierhaltung in Deutschland insgesamt auf ein höheres Tierwohlniveau zu heben. Daraus ist nichts geworden. Was bleibt?
Ripke: Die Borchert-Kommission hatte die gesamte gesellschaftliche Breite vertreten, die für die Nutztierhaltung ausschlaggebend ist. Über die Jahre ist zwischen fast allen Beteiligten ein gewisses Vertrauen entstanden. Das bleibt.
Die Empfehlungen sind dennoch bis heute nicht umgesetzt worden. War also alles für die Katz?
Ripke: Nein. Es wird oft vergessen, dass wir Ziele über mehrere Jahrzehnte für die Zukunft definiert haben. Ein solches System hätte Planungs- und Finanzierungssicherheit für die Branche gebracht. Das Konzept sieht vier Tierhaltungsstufen vor.
Alle zehn Jahre ist der Aufstieg in die nächste Stufe geplant. Das bedeutet zugleich, dass Tierhalter zehn Jahre sicher sein können, dass sie in der von ihnen gewählten Stufe unverändert produzieren können. Damit wären Investitionen über einen gewissen Zeitraum sicher gewesen, und genau darauf kommt es in der Praxis an.
Streitthema Tierwohl-Finanzierung
Die Krux war und ist die Finanzierung. Warum lehnen Sie eine Finanzierung über die Mehrwertsteuer ab?
Ripke: Weil damit eine politisch gegen uns nutzbare „Fleischsteuer“ eingeführt würde, die erhebliche negative Auswirkungen auf das Image in der Öffentlichkeit und damit auf den Fleischkonsum hätte. Die ursprüngliche Idee einer Tierwohlabgabe als eine Art mengenbezogene Verbrauchssteuer wäre hingegen geeignet und kostenbezogen gewesen und hätte dem Verbraucher glaubwürdig vermittelt werden können.
Trauen Sie der nächsten Bundesregierung zu, die Transformation der Tierhaltung langfristig zu finanzieren?
Ripke: Ich würde es mir wünschen, habe nun aber aus Erfahrung Zweifel. Sicher ist jedoch, dass die deutsche Geflügelwirtschaft nicht auf staatliches Geld wartet. Wir werden für den Markt produzieren und auch ohne staatliches Geld, aber mit etwas mehr Zeit, die Transformation trotzdem schaffen.
Wie bewerten Sie die Arbeit der Ampel im Bereich der tierischen Erzeugung?
Ripke: Schlecht. Die Ampel hat keinen praktikablen Weg für die Transformation gefunden. In der Gesetzgebung wurden handwerkliche Fehler gemacht. Wenn sich etwas getan hat, kam das vonseiten der Wirtschaft. Teile der Grünen haben den Eindruck erweckt, die Transformation zu nutzen, um Tierhaltung abzubauen. Das gilt im Klartext weniger für Cem Özdemir als für Renate Künast und den ideologischen Flügel der Partei. Die Tierhalter hat das misstrauisch gemacht, bis heute.
Die SPD hat ohne selbst einzugreifen zugeschaut und die FDP allein war nicht stark genug, um Schlimmeres zu verhindern. Die nächste Regierung sollte sich davon verabschieden, alles im Detail und früher als andere EU-Mitgliedsaaten regeln zu wollen. Länder wie Frankreich, Polen oder Spanien machen es vor: Dort wird nicht die Nutztierhaltung immer stärker reglementiert. Stattdessen werden dort Märkte bedient, auch in die in anderen EU-Länder wie in Deutschland hinein.
Die Politik muss wegkommen von Ideologie und stattdessen mehr praxisbezogen handeln.
Wir leben in einem Binnenmarkt. Wo ist das Problem?
Ripke: Ich halte es für sehr bedenklich, dass der Selbstversorgungsgrad bei Geflügelfleisch und Eiern in Deutschland deutlich gesunken ist. Wir haben bei Hähnchenfleisch erstmals einen Selbstversorgungsgrad von unter 100%, bei Putenfleisch um die 80%, bei Enten 40%, bei Gänsen 17% und bei Eiern 73%.
Es darf also nicht nur um Tierschutz und Klimaschutz gehen, wenn die Versorgungssicherheit auf dem Spiel steht. Das kann und darf nicht über Importe ausgeglichen werden. Ernährungssicherung für Deutschland kann nur in Deutschland gewährleistet werden und wenn die Nachfrage wie bei uns kontinuierlich weiter steigt, darf die Politik mit nationalen Auflagen nicht bremsen. Sie muss vielmehr unterstützen!
Heißt das, Abschied nehmen von der Transformation?
Ripke: Nein. Aber Politik muss wegkommen von Ideologie und stattdessen mehr praxisbezogen handeln. Das bedeutet auch, dass aus meiner Sicht Ratschläge in die falsche Richtung gehen, immer stärker auf Gemeinwohlleistungen zu setzen, zulasten der Produktion. Das gilt beispielsweise für die Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft oder von Agora Agrar, die Besatzdichten in der deutschen Nutztierhaltung drastisch zu reduzieren.
Ich halte dies für einen Kardinalfehler, weil es gegenwärtig nicht mit dem Markt oder der Nachfrage nach Fleisch und Eiern kompatibel ist. Es braucht vielmehr einen realistischen Zeitablauf und nicht einfach die Annahme, geschweige denn die Vorgabe, unsere Mitbürger müssten sich ab sofort alle vegetarisch ernähren.
Wenn die Vollversorgung in einem Land nicht mehr gegeben ist, ist auch die sichere Versorgung mit Lebensmitteln nach meiner Überzeugung eine elementare Gemeinwohlleistung und mindestens ebenso wichtig wie Naturschutz, Vogelschutz oder Klimaschutz.
Kennzeichnungsgesetz ist handwerklich schlecht gemacht
Sie sprechen von handwerklichen Fehlern in der Gesetzgebung. Was meinen Sie?
Ripke: In einem Ministerium ist die politische Leitung gut beraten, die Fachleute im Haus ohne Ansehen ihrer politischen Couleur ernst zu nehmen, wertzuschätzen und ihren Rat zu nutzen. Wenn sie das nicht tut, passieren eben handwerkliche Fehler.
Ein Beispiel ist das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz. Das Gesetz ist bald anzuwenden, ohne dass alle Kennnummern für neue Schweineställe in den Landkreisen vergeben worden sind. Wenn ein Landwirt einen Bauantrag stellen will für zum Beispiel einen Stall mit Außenklimareiz, dabei aber das Tierwohlprivileg nicht nutzen kann, weil keine Kennnummer vorliegt, wird das ein weiteres Mal großen Verdruss in der Praxis geben.
Wie sehen Sie die Perspektiven für den Veredlungsstandort Deutschland?
Ripke: Ich schätze die Perspektiven insgesamt trotzdem als gut ein. Im Vergleich zu anderen Ländern schneiden wir in vielerlei Hinsicht besser ab. Das gilt für Tierwohl, CO2-Bilanz, aber auch für Produktqualität und Lebensmittelhygiene.
Die Tierhalter sind sachkundig und erfahren und kommunizieren zunehmend selbst mit Verbrauchern. Sie sind entschlossen, nach vorne zu gehen. Wenn wir dann noch von der Politik bessere Rahmenbedingungen bekommen, um Ställe neu oder umzubauen, werden wir unsere Chance nutzen. Denn eins ist klar, wenn wir weniger Tiere halten müssen, aber die Nachfrage steigt, müssen wir mehr Ställe bauen.
Das muss wieder möglich werden in Deutschland, nicht zuletzt in Regionen mit wenig Nutztierhaltung. Wir wollen wieder die unternehmerische Freiheit, die die deutsche Wirtschaft und das „Made in Germany“ groß gemacht haben.
Erwarten Sie, dass die Klimadiskussion an der Geflügelhaltung vorbeigeht?
Ripke: Nein. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir in dieser Diskussion bestehen werden. Wir werden für alle unsere Tierarten CO2-Bilanzen erstellen, auch für Legehennen. Da wird sich zeigen, dass Geflügel deutlich besser abschneidet als manch andere Tierart. Das ist dann nicht nur ein ökologisches Argument, sondern auch ein Marktargument, das wir nutzen können.
Bilanz zum Ende der Amtszeit
Sie werden ihr Präsidentenamt nach acht Jahren in jüngere Hände übergeben. Was überwiegt, Zufriedenheit über das Geschaffte oder Verdruss über das, was Sie nicht erreicht haben?
Ripke: Wir haben im ZDG gemeinsam vieles erreicht. Ein Meilenstein war die freiwillige Vereinbarung zum Verzicht auf Schnabelkürzen bei Legehennen. Wir haben geschafft, den gesetzliche Ausstieg aus dem Kükentöten umzusetzen, wenn auch mit Mühe und viel Frust angesichts des Verlusts eines Großteils der Brütereien. Heute haben die Eier ohne Kükentöten ihren Markt gefunden.
Unser Ziel bleibt, Verbesserungen europäisch zu erreichen und auf nationale Alleingänge verzichten zu können. Das gilt auch für Putenhaltung. Umso enttäuschender ist die Ankündigung des Berliner Agrarressorts, die Putenhaltung national per Verordnung regeln zu wollen.
Auf der Habenseite steht in jedem Fall die gute Entwicklung der ITW und das neue ZKHL-Herkunftszeichen. Unsere Kommunikations-GmbH IDEG ist ein echtes Erfolgsmodell und Vorbild für andere Fleischbranchen. Sie hat uns aus der Schmuddelecke der Massentierhalter herausgeholt und Vertrauen geschaffen. Für ihre nun schon langfristige Finanzierung bin ich den Mitgliedsunternehmen sehr dankbar. Auf alles zusammen bin ich tatsächlich ein wenig stolz, aber auch dankbar für die erfahrene Unterstützung!
Vielen Dank für das Gespräch.