Heute, am 20. März, jährt sich die Entstehung der „Zwölf Artikel“ von Memmingen zum 500. Mal. Damals forderten aufgebrachte schwäbische Bauern von der Obrigkeit die Abschaffung der Leibeigenschaft, weniger Abgaben und weitergehende wirtschaftliche und religiöse Freiheiten.
Das Ereignis gilt als eigentlicher Beginn des Deutschen Bauernkriegs. Wir haben mit dem Historiker Dr. Johann Kirchinger über die Ursachen, den Verlauf und das Ende des Bauernkriegs gesprochen und darüber, ob und welche Beziehungen zu den Bauernprotesten der modernen Zeit bestehen.
Ein Aufstand, der aus aus Überlastung resultierte
Herr Dr. Kirchinger, fragt man Menschen nach wichtigen Ereignissen des 16. Jahrhunderts, hört man „Reformation“, „Martin Luther“, vielleicht auch „Heinrich VIII.“. Der Bauernkrieg ist bei vielen längst nicht so präsent. Warum ist das so?
Dr. Kirchinger: Der Bauernkrieg war geografisch ziemlich begrenzt auf den Südwesten, Franken, Thüringen und später Teile der Habsburger Länder. In den Schwerpunkten des Bauernkrieges im Südwesten Deutschlands und in Thüringen ist die Erinnerung an den Bauernkrieg auch bis heute ungebrochen und lebendig.
Große Teile des deutschsprachigen Raumes waren aber gar nicht betroffen. Damit war es kein Ereignis von deutschlandweiter Relevanz.
PD Dr. Johann Kirchinger, geb. 1976, ist habilitierter Historiker und Dozent am Lehrstuhl für Neuere Geschichte der Universität Stuttgart. Er ist einer der Herausgeber der Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Agrargeschichte und Autor zahlreicher Publikationen zur Geschichte des ländlichen Raumes.
Zuletzt hat er „Die Bauern, ihre Verbände und der Staat. Eine Untersuchung zum Verhältnis von Partizipation und Aministration“ veröffentlicht. Kirchinger ist selbstständiger Landwirt im niederbayerischen Holztraubach du bewirtschaftet dort einen Ackerbaubetrieb mit 160 ha. Darüber hinaus ist er Geschäftsführer der landwirtschaftlichen Spedition „SLG Laaber-Rübe GmbH & CO. KG“.
Wie würden Sie für einen historisch nicht so Bewanderten den Bauernkrieg zeitlich und historisch zusammenfassen?
Dr. Kirchinger: Der Bauernkrieg war eine Aufstandsbewegung im ländlichen Raum in den Jahren 1524 bis 1526, die letztlich aus einer übermäßigen Belastung mit verschiedenen Abgaben und Lasten resultierte. Dabei ist der Begriff „Bauern“ weiter zu fassen als heute. Er meinte damals einen Großteil der Landbevölkerung, denn Bauer war kein wirtschaftlicher, sondern ein rechtlicher Begriff. Bauer war, wer außerhalb der Städte wohnte und weniger Rechte als ein Bürger hatte.
Bauer war, wer außerhalb der Städte wohnte und weniger Rechte als ein Bürger hatte.
Und außerhalb der Städte beschäftigte man sich eben hauptsächlich mit der Landwirtschaft. Zeitgenössisch sprach man auch nicht vom Bauern, sondern vom „gemeinen Mann“.
Warum eskalierte dieser Konflikt gerade in den Jahren 1524 und 1525?
Dr. Kirchinger: In den Jahren davor kamen verschiedene Entwicklungen und Phänomene zusammen: Das Aufkommen des Humanismus sorgte dafür, dass das Römische Recht das herkömmliche Gewohnheitsrecht ersetzte. Das hatte eine Schlechterstellung und den Verlust von Rechten für die Bauern zur Folge, nutzte aber den Fürsten.
Damals entstanden die Grundlagen für das, was wir heute als „Staat“ bezeichnen, also Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk. Daraus folgten für die Untertanen neue Restriktionen und neue Abgaben, denn ein Staat braucht Militär, Bürokraten und damit Geld. Im Ergebnis hieß das mehr Abgaben.
Hinzu kam die Kleine Eiszeit mit vielen Missernten. Das machte es für die Landbevölkerung viel schwerer, diese Abgaben zu leisten.
Schließlich entstand mit der Reformation ein regelrechter Katalysator für den Bauernkrieg. Der von Martin Luther propagierte Freiheitsbegriff schürte zusätzliche Unruhe unter der Landbevölkerung, obwohl er eigentlich von den Bauern völlig falsch interpretiert worden war.
Es ist auch nicht so, dass es erst 1524 zu Aufständen kam. Schon Jahrzehnte vorher hatte es mit der Bundschuh-Bewegung oder dem Armen Konrad immer wieder Aufstände gegeben. 1524 begann aber die größte Bewegung dieser Art.
Regionale Besonderheiten
Gab es dafür besondere Gründe?
Dr. Kirchinger: Auf jeden Fall regionale. In Südwestdeutschland und in Franken gab es eine sehr kleinteilige, verschachtelte Herrschaftssituation mit viele kleinen Territorien. Hier waren Grundherrschaft und Landesherrschaft in der Regel identisch. Das bedeutete, dass die meist landlosen Bauern einen Grundherrn hatten, der zugleich ihr Landesherr war. Der Grundherr war derjenige, dem der Grund und Boden gehörte, den die Bauern bewirtschafteten und wofür sie diesem Abgaben leisten mussten.
Anders als beispielsweise in Bayern konnten die Bauern sich bei Rechtsstreitigkeiten daher nicht an eine höhere Instanz wenden. Daraus resultierte bei Vielen in diesen Gegenden eine gefühlte und auch durchaus reale Rechtlosigkeit. In Bayern gab es im Gegensatz deutlich mehr Möglichkeiten, sich juristisch gegen Willkür des Adels zu wehren. Denn hier waren Grund- und Landesherrschaft nicht identisch und die Herzöge nutzten die Bauern, um sich gegen die adelige Herrschaftskonkurrenz zu wehren. Hier kam es interessanterweise auch zu keinem Aufstand.
Es heißt Bauernkrieg, aber gab es noch andere Gruppen, die sich den Aufständischen anschlossen?
Dr. Kirchinger: Mitunter haben sich auch die Bürger kleinerer Städte angeschlossen. Das geschah allerdings nicht immer freiwillig. Der psychologische Druck, den die mächtigen Bauernhaufen auf Stadtbewohner ausübten, darf nicht unterschätzt werden. Auch Landsknechte haben sich oft angeschlossen. Das waren aber bezahlte Söldner, die durchaus bei der nächsten Schlacht auch auf Seiten der Fürsten stehen konnten.
Jetzt kommt eine naive Frage: Gibt es Parallelen zur Französischen Revolution, etwa beim Widerstand gegen Adel und Obrigkeit? Oder unterschied sich die Bewegung von 1525 doch zu sehr von der 1789?
Dr. Kirchinger: Die Frage ist nicht naiv. Der Bauernkrieg wurde in der Geschichtswissenschaft lange als revolutionäres Ereignis interpretiert, so z.B. in der DDR. Heute würde man das aber nicht mehr sagen. Die Rechnung, ,die Leute haben Hunger und dann gibt es einen Aufstandʻ, geht nicht auf. Es gibt viele Beispiele in der Geschichte, wo die Leute hungerten und darbten und doch keine Revolution anzettelten. Hier müssen noch andere Faktoren hinzutreten.
Der Bauernkrieg wurde in der Geschichtswissenschaft lange als revolutionäres Ereignis interpretiert, so z.B. in der DDR. Heute würde man das aber nicht mehr sagen.
Jede Zeit hat ihre eigene Brille. Ich bin selber in der DDR aufgewachsen, da wurde ganz anders auf den Bauernkrieg geschaut, als das heute beispielsweise der Fall ist. So wurde Thomas Müntzer praktisch als der erste Vorkämpfer einer „protosozialistischen“ Revolution dargestellt. Können Sie das so bestätigen, was ich damals in der Schule gehört habe?
Dr. Kirchinger: Einen revolutionären Charakter kann man vielleicht bei Thomas Müntzer erkennen - für den Bauernkrieg insgesamt gilt das sicher nicht. Die Forderungen im grundlegenden Dokument der Bewegung, den „Zwölf Artikeln von Memmingen“, beziehen sich meist darauf, dass Abgaben und Dienste beschränkt werden sollen - nicht abgeschafft. Das ist wichtig, denn solche Forderungen sind nicht sehr revolutionär. Es wurden auch keine Menschenrechte verhandelt, wie es mitunter hineininterpretiert wird. Und demokratische Forderungen sind in den „Zwölf Artikeln“ schon gar nicht enthalten. Es waren Forderungen von "Unternehmern", die Interessen von unterbäuerlichen Schichten – Taglöhnern und Dienstboten etwa – finden sich darin nicht wieder.
Martin Luther und die Folgen
In welcher Weise hat die Reformation Einfluss genommen auf die „Zwölf Artikel“?
Dr. Kirchinger: Eigentlich nicht so viel. Da gab es die Forderung nach der freien Pfarrerwahl der Gemeinde. Das ist eine Forderung, die man "reformatorisch inspiriert" nennen könnte. Vor allem aber die verlangte Abschaffung der Leibeigenschaft, die angeregt worden war von Luthers Freiheitsbegriff. Wobei das völlig falsch verstanden wurde.
Die Bauern meinten, sie wären ja auch freie Menschen und damit frei von Leibeigenschaft. Darum ging es Luther aber überhaupt nicht. Der großer Reformator meinte die Freiheit von der Sorge um das eigene Seelenheil. Es war ein theologisches Statement gegen den Ablasshandel, nicht für die Unabhängigkeit von weltlichen Herren. Um das ging es ihm überhaupt nicht.
Wie viel hatte der Buchdruck mit dem Erfolg des Bauernaufstands zu tun?
Dr. Kirchinger: Der Buchdruck war extrem wichtig für den Beginn und den frühen Verlauf des Bauernkriegs. Weil sich die zwölf Artikel und andere Schriften für und gegen die Bauern erst dadurch massenhaft verbreiten konnten. Genauso wichtig waren die Bilder auf den gedruckten Flugblättern, die den Aufstand auch für Menschen verständlich machten, die nicht lesen konnten.
Der Buchdruck war extrem wichtig für den Beginn und den frühen Verlauf des Bauernkriegs.
War das Scheitern des Bauernkriegs vorprogrammiert oder hätte es einen Punkt gegeben, an dem es eine größere Bewegung hätte werden können, die vielleicht das ganze Römische Reich erfasste?
Dr. Kirchinger: Nein, das glaube ich nicht, weil die Interessen der Bauern immer so spezifisch waren, dass sich kaum ein übergeordnetes Interesse daraus ableiten ließ. Es entwickelte sich aus diesem ländlichen Aufstand auch keine allgemeine Bewegung, die viele Städte einbezog. Auch Landbewohner aus anderen Regionen, in denen andere sozioökonomische Verhältnisse herrschten, konnten dadurch schon nicht mehr begeistert werden. Deshalb stieß der Bauernkrieg recht bald an seine Grenzen.
Der Aufstand der Bauern wurde 1525 in Frankenhausen endgültig niedergeschlagen, die Rädelsführer hingerichtet. Gab es dennoch Verbesserungen für die ländliche Bevölkerung im Heiligen Römischen Reich?
Dr. Kirchinger: In einzelnen Territorien hat es Erleichterungen gegeben für die Bauern. Große Fortschritte im Hinblick auf Menschenrechte oder Demokratie sind daraus aber nicht abzuleiten. Das hat noch einige hundert Jahre länger gebraucht.
Im frühen 16. Jahrhundert verankert
Welche zentralen Lehren ziehen Sie aus dem Bauernkrieg, die uns heute noch eine Richtung weisen können?
Dr. Kirchinger: Der Bauernkrieg ist so in der Welt des frühen 16. Jahrhunderts verankert, dass man kaum Parallelen zur modernen Zeit ziehen kann. Am ehesten noch darin, dass Bauern sich damals wie auch heute zumeist auf ganz konkrete, spezifische Interessen konzentrieren und übergeordnete gesellschaftliche Forderungen nicht stellen. Das zeigte sich im Bauernkrieg, in den Bauernaufständen des 17. und 18. Jahrhunderts, der Märzrevolution 1848/1849, der Novemberrevolution 1918 und letztlich bis zu den Bauernprotesten wegen des Agrardiesels im vergangenen Jahr.
Dieser Ansatz kommt aus der landwirtschaftlichen Praxis, wo stets eine direkte und unvermittelte Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, Leistung und Gegenleistung, Rechten und Pflichten herrscht. Daraus lassen sich konkrete Forderungen ableiten, aber keine übergeordneten gesellschafts- oder verfassungspolitischen Forderungen.
Solchen Protesten - damals wie heute - fehlt der gesellschaftliche Impuls, der aus einer begrenzten Unmutsbekundung eine große politische Bewegung machen könnte. Das ist seit dem Bauernkrieg keiner einzigen bäuerlichen Bewegung gelungen.
Dann wäre das doch eine Lehre für die heutige Agrarbranche: Einfach von Anfang an die gesellschaftlichen Ansprüche in die eigenen Forderungen einweben und so in die Breite gehen?
Dr. Kirchinger: Das kann ich nicht erkennen. Der Anteil der Landwirte an der Bevölkerung ist inzwischen so klein, dass es sehr schwer werden dürfte, die Gesellschaft bei Protesten mit ins Boot zu bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch!