Die langjährigen Verhandlungen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten über ein Freihandelsabkommen liegen in den letzten Zügen und trotz des Widerstands einiger Mitgliedsstaaten könnte das Projekt bald abgeschlossen sein. Ein Nebeneffekt wäre die Öffnung des europäischen Geflügelmarktes für Brasilien, den größten Geflügelfleischerzeuger der Welt.
Das lässt die europäische Branche nicht ungerührt, wird doch befürchtet, dass auf diese Weise große Mengen an Geflügelfleisch zu niedrigeren Produktionsstandards nach Europa gelangen, ohne dass dies für den Verbraucher an der Theke oder im Restaurant erkennbar ist.
Nachhaltige Wahl aus Europa
Vor diesem Hintergrund haben die Geflügelverbände von Deutschland (BVH), Frankreich (CIPC), Polen (KRD-IG) und Spanien (Avianza) im Herbst mit Unterstützung der EU die Initiative EURSPO ins Leben gerufen. Die soll unter dem Motto „Geflügel aus Europa: Eine nachhaltige Wahl“ für die umwelt- und tierwohlgerechte Produktion in den EU-Mitgliedsstaaten trommeln. Ziel ist, ein Bewusstsein für die hohen Produktionsbedingungen in den europäischen Geflügelställen zu schaffen und dem Verbraucher damit die Gelegenheit für eine bewusstere Kauf- beziehungsweise Konsumentscheidung zu schaffen.
Die Initiatoren stützen sich dabei auch auf eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey. Dabei gaben gut 72 % der Teilnehmer an, dass ihnen wichtig ist, dass ihre Lebensmittel in Deutschland oder der EU erzeugt werden. Fast 77 % fanden es aus Klimasicht nicht richtig, dass Geflügelfleisch aus Südamerika nach Europa transportiert wird. Sollte es doch so kommen, würden sich drei von vier Befragten wünschen, dass für Lebensmittel aus Mercosur-Staaten die gleichen Tierwohl- und Umweltstandards gelten wie für Waren aus der EU:
Essen ist Gewissensfrage geworden
Bei der Vorstellung der Kampagne stellte Amil Hota vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) am Donnerstag in Berlin fest: „Essen ist mehr als Überleben“. Essen sei auch zu einem gesellschaftlich und politisch oft kontrovers diskutiertem Thema und zu einer Gewissensfrage geworden. Nach Hotas Überzeugung hat Geflügelfleisch dabei aber beste Karten, denn ernährungsphysiologisch sei es vorzüglich und die besonders nachhaltig erzeugten Geflügelprodukte aus der EU böten auch für die „Gewissensfrage“ starke Antworten.
Die Botschaft „europäisches Geflügelfleisch ist gut für die Verbraucher und gut für die Welt“, soll die Initiative nun in die Öffentlichkeit tragen. Damit verbunden ist die Forderung der Branchenverbände nach einer EU-weiten verpflichtenden Herkunftskennzeichnung im Außer-Haus-Verzehr. Die soll die bewusste Kaufentscheidung für heimische Erzeugnisse auch in der Gastronomie einfacher machen, denn hier besteht nach Darstellung von Hota noch eine große Informationslücke, zumal 55 % des Umsatzes bisher weitgehend intransparent abläuft, was die Herkunft anbelangt.
Metzgermeister Grabowski: Mit Fleischherkunft werben
Das gilt auch auf dem Restaurant-Teller, was Metzger und Fleischsommelier Christoph Grabowski besonders umtreibt. Er kann nicht verstehen, dass hier Wein und selbst Wasser auf der Karte oft ausführlich deklariert und beschrieben werden, das Fleisch aber meistens anonym bleibt. Grabowski zeigte sich überzeugt, dass Kunden bereit sind, für derart ausgezeichnete Produkte mehr zu zahlen. „Wir müssen dahin kommen, dass Gastronomen mit der Herkunft ihrer Waren werben“, meint der Fleischenthusiast.
Am Herzen liegt ihm aber noch in anderes Thema: Dass in Deutschland fast nur noch Edelteile gegessen werden und damit ein großer Teil vom Tier verworfen oder exportiert werden muss. Grabowski hat sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Verbraucher wieder für Fleischteile zu begeistern, die heute als verpönt gelten, seien es Kämme oder Füße vom Huhn oder Ohren und Schnauzen vom Schwein. Der Fleischsommelier sieht sich als „Pionier von Produkten, bei denen sich anderen die Fußnägel hochrollen“. Das hat für ihn viel mit Wertschätzung für das Nutztier und Lebensmittel zu tun.
Und das kann schon beim gewöhnlichen Brathähnchen anfangen. Grabowski zeigte am praktischen Beispiel, dass sich Hähnchen auch anders als nur in Brustfilet und Keule zerlegen lassen. Mit etwas anders gesetzten Schnitten lassen sich Teilstücke gewinnen, die weniger vom Tier übrig lassen, aber mindestens genauso gut oder sogar besser schmecken, wie der Metzger demonstrierte. Ziel müsse sein, möglichst alles vom Tier zu verwerten. Das sei nachhaltiger und nicht zuletzt auch profitabler für den Landwirt, so Grabowski.