Zwischenfruchtanbau, reduzierte Bodenbearbeitung, Humusaufbau – die Kernideen regenerativer Landwirtschaft klingen vielversprechend und sind auf vielen Betrieben etabliert. Große Lebensmittelhersteller, wie z. B. Nestlé machen regenerative Maßnahmen sogar zur Bedingung für ihre Erzeuger. Doch hält die Praxis, was die Theorie verspricht? Eine neue Studie des agri-benchmark-Netzwerks, veröffentlicht in der Fachzeitschrift EuroChoices, zieht eine ernüchternde Bilanz: Das Klimaschutzpotenzial werde überschätzt, viele Annahmen halten einer genaueren Überprüfung nicht stand.
Wer steckt hinter der Studie?
Die Autoren Dr. Yelto Zimmer, Dr. Joachim Lammel, Prof. Dr. Ludwig Theuvsen und Barry Ward sind Teil des agri-benchmark-Netzwerks, einer internationalen Forschungsgemeinschaft von Agrarökonomen. Ihre Arbeit basiert auf betriebswirtschaftlichen Analysen realer Betriebe – sie soll unabhängig, praxisnah und weltweit vergleichbar sein. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der überregionalen Gegenüberstellung verschiedener Anbausysteme und deren Produktionskosten, Erträgen und Umweltwirkungen.
Die Forscher analysierten für die aktuelle Studie eine Vielzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen sowie betriebswirtschaftliche Daten aus dem eigenen Netzwerk.
Das Versprechen: Kohlenstoffspeicherung im Boden
Zunächst vorweg: Die Autoren der Studie unterstreichen die Umweltvorteile, die die regenerative Landwirtschaft mit sich bringt. Doch die Hoffnung, durch reduzierte Bodenbearbeitung und Zwischenfrüchte Kohlenstoff dauerhaft im Boden zu binden, wird in der Praxis nicht erfüllt, so die Studienergebnisse. Es gebe keine überzeugenden Belege für eine signifikante CO₂-Fixierung, unterm Strich bleibe der Effekt gering. Die Analysen zeigen weiterhin, dass Unterschiede in der Boden-Kohlenstoffspeicherung meist durch unterschiedliche Probentiefen und nicht durch den Anbaustil entstehen. Außerdem komme es zu Zielkonflikten, da durch die reduzierte Bodenbearbeitung erst einmal mehr Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden müssen.
Fehlannahmen bei Wirtschaftlichkeit und Ertragssteigerung
Neben der Klimabilanz nehmen die Wissenschaftler auch das ökonomische Potenzial der regenerativen Landwirtschaft unter die Lupe – und kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Die weltweit tätige Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) prognostizierte kürzlich, dass Landwirte in Deutschland ihre Gewinne durch regenerative Methoden um 50 % steigern könnten. Sie rechnen dabei mit Einnahmen von 38 €/ha aus Zertifikaten für Zwischenfrüchte. Doch in der EU sind diese Maßnahmen bereits durch Agrarumweltprogramme gefördert. Diese Rechnung gehe in der Praxis also nicht auf.
Hinzu kommt: Unter bestimmten klimatischen Bedingungen können reduzierte Bodenbearbeitung und Zwischenfrüchte sogar Ertragsrückgänge verursachen. Hier identifizieren die Autoren eines der Kernprobleme.
„Leakage-Effekt“: Wenn Emissionen nur verlagert werden
Wenn die Erträge durch die vermehrte Anwendung regenerativer Maßnahmen tatsächlich sinken, muss die Nachfrage anderswo gedeckt werden. Die Studie warnt vor diesem sogenannten Leakage-Effekt: Werden hierzulande weniger Nahrungsmittel produziert, steigt der Druck, an anderen Orten wie Südamerika neue Anbauflächen zu erschließen – etwa durch die Umwandlung von Grasland oder Wäldern in Ackerflächen. Die globale Klimabilanz könnte sich dadurch sogar verschlechtern, anstatt sich zu verbessern.
Mögliche Alternative: Stickstoff effizienter nutzen
Anstatt auf eine unsichere und nur schwer messbare CO₂-Speicherung zu setzen, plädieren die Wissenschaftler für eine gezielte Reduktion der laufenden Emissionen. Der größte Hebel liegt dabei in der effizienteren Nutzung von Stickstoffdüngern. Rund 80 % der CO₂-Emissionen im Ackerbau stammen aus der Mineraldüngung. Wer hier ansetzt, könne nachhaltige Effekte erzielen, ohne dabei auf staatliche Subventionen oder CO₂-Zertifikate angewiesen zu sein.
Konkret könnte das bedeuten: präzisere Düngerapplikation durch moderne Sensortechnik bzw. Präzisionslandwirtschaft, die Nutzung effizienterer Stickstoffformen und optimierte Fruchtfolgen, um den Düngemittelbedarf insgesamt zu senken.
Klimaschutz: Ja, aber mit realistischen Lösungen
Regenerative Landwirtschaft kann letztlich je nach Standort und Betriebsstruktur sinnvolle Umweltvorteile bieten. Doch die Erwartung, sie könne eine zentrale Rolle als CO₂-Senke einnehmen, sei zumindest nach der Meinung der Studienführer überzogen. Zusammenfassend: Für eine nachhaltige Landwirtschaft soll ein anderer Ansatz zielführend sein, nämlich wirkliche Emissionsreduktionen anstelle von unsicherer Kohlenstoffspeicherung.
Die gesamte Studie können Sie hier lesen: "Regenerative Agriculture and Climate Protection - High Expectations, Low Delivery".
Einordnung der Studie
Bei der Betrachtung der Studienergebnisse sollte man berücksichtigen, dass sie den Fokus ausschließlich auf die CO₂-Einsparungen legt. In der regenerativen Landwirtschaft bzw. der Umsetzung regenerativer Maßnahmen stehen jedoch weitaus umfassendere Fragen im Vordergrund: Wie können Landwirte ihre Bodenfruchtbarkeit erhalten und fördern, um ihre Erträge auch in Zeiten des Klimawandels zu stabilisieren?
Eine weitere Studie der Boston Consulting Group (BCG) und des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) kommt zu anderen Ergebnissen. Sie betrachtet die regenerative Landwirtschaft ganzheitlicher, mit Fokus auf Bodenfruchtbarkeit, Wasserspeicherung und langfristige Ertragsstabilität. Sie argumentiert, dass regenerative Landwirtschaft nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich von Vorteil sein kann. Laut dieser Untersuchung profitieren Betriebe von höheren Gewinnen durch reduzierte Betriebskosten, einer verbesserten Wasserhaltefähigkeit der Böden und einer langfristigen Ertragsstabilität – selbst unter klimatischen Extrembedingungen. Besonders betont wird die Rolle des Humusaufbaus für eine nachhaltige Bodenbewirtschaftung.