"Es kann nicht sein, dass wir bei einem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest (ASP) tonnenweise Fleisch von gesunden Schweinen vernichten, nur weil niemand bereit ist, es zu vermarkten“, brachte es kürzlich der Präsident des Niedersächsischen Landvolks, Holger Hennies, auf den Punkt. Das ist weder ethisch noch volkswirtschaftlich vertretbar. Zudem bedroht es die Existenz der schuldlos in Not geratenen Schweinehalter.
Auslöser der Misere sind die in ASP-Restriktionszonen geltenden Verbringungsverbote für Schweine. Betroffen sind vor allem Schweinehalter in einer ASP-Sperrzone III. Die wird eingerichtet, wenn es in einem Bundesland mehr als einen ASP-Ausbruch in Hausschweinebeständen gibt. Die jüngsten Erfahrungen in Hessen haben jedoch gezeigt, dass häufig auch Schweinehalter in einer Sperrzone II, also bei mehr als zwei ASP-Funden bei Wildschweinen, vor den gleichen Problemen stehen.
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Die Vermarktung von Schweinefleisch aus ASP-Restriktionszonen ist auch nach 4,5 Jahren noch immer nicht geregelt.
Das Fleisch von Schweinen aus Com-pliant-Betrieben ist völlig unbedenklich – sowohl für den Verbraucher als auch in puncto Seuchenübertragung.
Der Lebensmitteleinzelhandel, die Verarbeiter und die Außer-Haus-Verpfleger weigern sich dennoch, Frischfleisch aus ASP-Sperrzonen abzunehmen.
Die Leidtragenden sind die Schweinehalter. Neben dem Tierschutzproblem in ihren Ställen erhalten sie oftmals keinen Cent für ihre schlachtreifen Tiere.
Der Handel und die Verarbeiter müssen endlich Verantwortung übernehmen!
Wohin mit den Schweinen?
Das Problem ist, dass die Schweine weiter wachsen und die Ställe aus allen Nähten platzen. Die zuständigen Behörden können zwar Ausnahmegenehmigungen vom Verbringungsverbot erteilen, wenn Tierschutzprobleme im Stall drohen. Das ist aber nur für Mastbetriebe möglich, die verschärfte Biosicherheitsmaßnahmen umsetzen, sogenannte Compliant-Betriebe (s. Kasten).
Was sind Compliant-Betriebe?
Ausnahmegenehmigungen vom generellen Verbringungsverbot von Schweinen in ASP-Restriktionszonen sieht das Tiergesundheitsrecht der EU für sogenannte Compliant-Betriebe vor. Frei übersetzt sind das Schweinehalter, die sich an die Regelungen der EU-Durchführungsverordnung 2023/594 halten und in dem Zusammenhang erhöhte Biosicherheitsvorgaben erfüllen. Dazu gehört z. B., dass sie einen Biosicherheits-Managementplan vorhalten, die Schweinehaltung inklusive des Futterlagers eingezäunt haben, den Bestand regelmäßig amtstierärztlich klinisch untersuchen lassen, jede Woche die ersten beiden verendeten Schweine zur Untersuchung geben und die zu schlachtenden Schweine klinisch und ggf. virologisch untersuchen lassen.
Und selbst dann dürfen die Schweine auch nur in dafür von den Behörden zugelassene (benannte) Schlacht- und Verarbeitungsbetriebe verbracht werden. Die sind bislang aber rar gesät. Und das hat mehrere Gründe:
Für die Benennung müssen sich die Betriebe bewerben. Das ist in der Regel eine reine Formsache. Aber die benannten Unternehmen werden namentlich in einer für jedermann einsehbaren Onlineliste geführt. Doch wer möchte schon, dass der Firmenname mit der ASP in Verbindung gebracht wird?
Viele Schlachtunternehmen fürchten zudem, ihre Exportlizenzen in Drittländer zu verlieren, wenn sie Schweine aus ASP-Restriktionszonen abnehmen.
Der größte Hemmschuh sind jedoch die Bedenken, auf den Schweinehälften bzw. auf dem Fleisch sitzen zu bleiben.
Denn frei handelbar ist nur risikomindernd behandelte Ware, also z. B. Fleisch, das mindestens 30 Minuten bei 70 °C hitzebehandelt wurde. Die Nachfrage nach Würstchen und Konserven ist jedoch begrenzt. Zudem werden Werte vernichtet, wenn man Filets und Koteletts zu Wurst verarbeitet.
Der LEH will das Fleisch nicht
Rentabel ist die Verwertung nur, wenn auch Frischfleisch vermarktet werden kann. Aber weder der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) noch die verarbeitende Industrie oder die Außer-Haus-Verpflegung wollen Frischfleisch aus ASP-Restriktionszonen haben.
Die Folgen sind katastrophal: Die wenigen Unternehmen, die sich dennoch bereit erklären, Schweine aus Restriktionsgebieten zu schlachten, liegen häufig weit vom ASP-Geschehen entfernt. Die Transportwege sind dementsprechen lang. Und für ihre Schweine bekommen die Mäster in der Regel keinen Cent. Im Gegenteil: Sie werden auch noch für die höheren Transportkosten und die zusätzlichen Untersuchungskosten zur Kasse gebeten.
top agrar-Brief an Aldi & Co.
Doch warum weigert sich der Lebensmitteleinzelhandel so vehement, diese Schweine abzunehmen? Schließlich handelt es sich um das am intensivsten untersuchte und kontrollierte Schweinefleisch, das man derzeit am Markt bekommen kann!
top agrar hat bei den größten Playern des LEH nachgefragt. Insgesamt haben wir 15 schriftliche Anfragen an Aldi Nord und Süd, sämtliche Edeka-Regionalgesellschaften sowie die Zentralen von Kaufland, Lidl, Netto, Norma, Penny und Rewe verschickt.
Wir wollten wissen, ob und in welchem Umfang die Handelsunternehmen bereits Frischfleisch aus ASP-Restriktionszonen vermarkten? Und wenn nein, warum nicht? Außerdem haben wir kritisch nachgefragt, warum sich die Unternehmen bei Geflügelfleisch aus Vogelgrippe-Sperrzonen anders verhalten. Denn dieses Fleisch wird vom LEH frei vermarktet. Dabei handelt es sich bei der Aviären Influenza (Vogelgrippe) sogar um eine Zoonose, die auch auf Menschen übertragbar ist, die Afrikanische Schweinepest hingegen nicht.
Die Antwort kam fristgerecht, die Unternehmen reagierten jedoch nicht einzeln. Sie ließen unsere Anfrage vom Rechtsanwalt ihres Branchenverbandes beantworten, dem Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e.V.
Zunächst einmal monierte der LEH, dass sowohl von der Branche als auch der Politik immer nur der Handel als Vermarktungsmöglichkeit für Schweinefleisch aus ASP-Restriktionsgebieten gesehen werde. Dabei mache der Anteil des LEH an der insgesamt vermarkteten Schweinefleischmenge gerade mal 30 % aus. Der Großteil der Ware gehe in die fleischverarbeitende Industrie und die Außer-Haus-Verpflegung.
Das stimmt. Deshalb wurden zu den zahlreichen Branchengesprächen, zu denen unter anderem das Niedersächsische Landwirtschaftsministerium und der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) in der Vergangenheit eingeladen hatten, auch immer Verarbeiter und Anbieter von Außer-Haus-Verpflegung eingeladen.
Fakt ist jedoch, dass der LEH mit einem Marktanteil von 30 bis 40 % bei Frischfleisch ein wichtiges und unverzichtbares Ventil ist, wenn es um die Vermarktung von Schweinefleisch aus ASP-Restriktionszonen geht.
Fleisch wird stigmatisiert
In seinem Antwortschreiben argumentiert der LEH zudem, dass allein der Handel gesetzlich verpflichtet sei, Frischfleisch von Schweinen aus ASP-Sperrzone II und III zu kennzeichnen. Für die fleischverarbeitende Industrie und die Außer-Haus-Verpflegung gelte das nicht. Deshalb seien diese beiden Absatzkanäle viel besser geeignet.
Mit der Sonderkennzeichnung ist der ovale Genusstauglichkeits-/Identitätsstempel gemeint, der durch zwei parallel verlaufende Linien schräg durchkreuzt wird (s. Übersicht). Er soll signalisieren, dass das Frischfleisch aus ASP-Sperrzonen zwar voll genusstauglich ist, aber nur national in Deutschland vermarktet werden darf.
Durch diese Kennzeichnung werde das Fleisch stigmatisiert und nahezu unverkäuflich, argumentiert der LEH. Die BSE-Krise habe gezeigt, wie sensibel der Verbraucher auf jede Art von Sonderkennzeichnung reagiere.
Diese Argumentation hinkt jedoch. Denn bei wiederholten ASP-Nachweisen bei Wildschweinen und der entsprechenden Ausweisung einer Sperrzone II muss das Fleisch von geschlachteten Hausschweinen aus dieser Sperrzone gar nicht besonders gekennzeichnet werden, sofern die Tiere aus sogenannten Compliant-Betrieben stammen, die erhöhte Biosicherheitsvorgaben erfüllen. Und das ist inzwischen überwiegend der Fall. Eine Schlachtung aus Non-Compliant-Betrieben ist zwar auch möglich. Die Hälften müssen dann jedoch mit einem Kreuzinnenstempel gekennzeichnet und das Fleisch einer risikomindernden Behandlung zugeführt werden.
Frischfleisch von Schweinen aus Compliant-Betrieben kann also mit einem ganz normalen EU-Identitätskennzeichen (ovaler Stempel ohne Schrägbalken) vermarktet werden. Eine Kennzeichnung mit dem besonderen Identitätskennzeichen ist im Falle von Compliant-Betrieben lediglich für Frischfleisch aus ASP-Sperrzone III vorgeschrieben, also bei ASP-Ausbrüchen in mehreren Hausschweinebeständen.
Verbraucher aufklären
Das mag ein Handycap sein. „Um eine Stigmatisierung des Fleisches zu vermeiden, haben wir der EU-Kommission deshalb eine alternative Kennzeichnung vorgeschlagen“, bestätigt die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (SPD) gegenüber top agrar. Der Vorschlag sieht einen neutralen rechteckigen Stempel mit einem Zahlencode vor. Dieser Zahlencode ließe sich für die Nachverfolgung problemlos in das Warenwirtschaftssystem des Handels integrieren.
Die Frage ist allerdings, ob die Verbraucher überhaupt ablehnend auf den ovalen Stempel mit doppeltem Schrägstrich reagieren würden? „Dazu gibt es bislang weder Umfragen noch wissenschaftliche Untersuchungen“, gibt Dr. Jörg Altemeier, Leiter der Stabsstelle Tierschutz bei Tönnies, zu bedenken.
Vielleicht würde es ja auch reichen, den Verbraucher ähnlich wie in Polen über die intensiven Kontrollen und die Unbedenklichkeit des Fleisches von Schweinen aus ASP-Restriktionszonen besser aufzuklären. Auch Polen ist verpflichtet, Frischfleisch aus Sperrzone III mit einem ovalen Stempel mit doppeltem Schrägbalken zu kennzeichnen. „Große Einzelhandelsketten wie ‚Biedronka‘ bauen in ihre Werbeanzeigen z. B. kleine Infokästen ein, in denen die Unbedenklichkeit des Fleisches und die Bedeutung des Stempels erklärt werden“, argumentiert Dr. Altemeier.
Unbedenklichkeit bestätigt
Fakt ist, dass das Fleisch von Schweinen aus ASP-Sperrzonen II und III das am intensivsten untersuchte Fleisch ist, das in den Handel kommt. Die Unbedenklichkeit wurde von dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und dem Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) im September 2024 noch einmal in einer gemeinsamen Stellungnahme bestätigt. „Es gehen keine gesundheitliche Gefahren von Schweinefleisch aus ASP-Restriktionszonen aus, da das Virus nicht auf Menschen übertragbar ist“, heißt es dort. Auch die Gefahr einer Virusverschleppung sei vernachlässigbar bis sehr gering, wenn alle rechtlichen Vorgaben für Compliant-Betriebe eingehalten werden.
Um ganz sicher zu gehen, dass Schlachtschweine aus ASP-Sperrzonen keine Virusträger sind, gibt es zudem den Vorschlag, die Tiere im Schlachthof per PCR-Verfahren (Nachweis des Virusgenoms) freizutesten. Die Idee, die auch vom LEH unterstützt wird, entstand während eines Branchengesprächs im Ministerium in Hannover.
Denkbar ist, von jedem Schlachttier eine Blutprobe zu nehmen, jeweils fünf Proben zu poolen und dann per PCR auf das Vorhandensein von ASP-Viren untersuchen zu lassen. Jede Untersuchung würde etwa 30 € kosten, also 6 € pro Schwein, und das Ergebnis läge innerhalb von 48 Stunden vor. „Wir haben daher das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) gebeten, das Verfahren vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) bewerten zu lassen“, so Dr. Dirk Willem Kleingeld vom Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium.
Inzwischen liegt die Stellungnahme des FLI vor. „Darin steht, dass mit dem Genomnachweis per real Time-PCR ein validiertes Verfahren zur Verfügung steht, das einen sehr sensitiven und hoch spezifischen Nachweis des ASP-Erregers erlaubt“, bestätigte ein Sprecher des BMEL gegenüber top agrar. Und zwar noch in der Inkubationszeit und über die sichtbaren klinischen Anzeichen hinaus.
Das Problem sei, dass der aktuelle Code der Weltgesundheitsorganisation für Tiere (WOAH) zur ASP und ein Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) derzeit keine Möglichkeiten zum Freitesten von Schweineschlachtkörpern vorsehe, so das BMEL. Daher sehe die EU-Kommission auch keinen Spielraum, das Freitesten anzuerkennen. Das sieht man in Hannover anders. „Das Freitesten steht im Einklang mit Kapitel 15.1.15 des Terrestrial Animal Health Code der WOAH. Deshalb ist es durchaus möglich, die Anforderungen zum Verbringen von frischem Fleisch aus ASP-Sperrzonen in der Verordnung (EU) 2020/687 entsprechend zu ändern“, so Dr. Kleingeld.
Das wäre auch im Sinne des LEH. „Wenn diese Methode funktioniert, könnte man möglicherweise auf eine spezielle Kennzeichnung verzichten“, so der Justitiar des LEH.
Trockenübung zur Vermarktung
Um für den Ernstfall vorbereitet zu sein, plant Niedersachsen für Ende Februar 2025 eine ASP-Übung zur Vermarktung. Es soll das Zusammenspiel zwischen Behörden, Verbänden, Viehtransporteuren, Schlachtern, Zerlegebetrieben und Verarbeitern bis hin zum Lebensmitteleinzelhandel geübt werden. Ziel ist, bestehende Schwachstellen zu erkennen und abzustellen.
Drei Landkreise sind involviert. Und vom LEH hat zumindest ein Vertreter einer großen Handelskette seine Teilnahme angekündigt. Eine verbindliche Zusage, im Ernstfall Schlachtschweine aus Restriktionszonen abzunehmen, sei von ihm aber nicht zu erwarten, soll er bereits im Vorfeld klargestellt haben.