Dr. Hinrichs, neben der Diskussion um höhere Haltungsformen nimmt das Thema CO2-Emissionen Fahrt auf. Warum müssen sich die Landwirte jetzt mit der Thematik auseinandersetzen?
Hinrichs: Erstens ist es wichtig, dass die Land- und Fleischwirtschaft selbst ihre Emissionswerte erhebt. Nur so wird sie auskunftsfähig. Wenn wir nichts tun, übernehmen das andere für uns. Diese Kreise steuern die Klimadebatte teilweise jedoch ideologiegetrieben. Also sollten wir das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen und mit harten Fakten ins Rennen gehen.
Zweitens kommen auf die Branche regulatorische Anforderungen zu. Große Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft müssen entsprechend der regulatorischen Vorgaben zu ihren Klimaleistungen berichten. Die CO2-Emissionen von den landwirtschaftlichen Betrieben sind in diesem Zusammenhang ein wichtiger Bestandteil. Landwirte kommen um die Erstellung des hofeigenen CO2-Fußabdrucks künftig also nicht herum.
Wenn unsere Branche den CO2-Fußabdruck nicht selbst erhebt, tun das andere.
Warum ist die Erhebung der Werte so wichtig?
Hinrichs: Klimawerte werden z.B. die Schlachtunternehmen von ihren liefernden tierhaltenden Betrieben benötigen. Nur dann können die Unternehmen eigene Klimabilanzen erstellen. Aber auch andere Branchen wie z.B. Banken und Versicherungen werden zukünftig diese Informationen bei der Vergabe von Fremdkapital oder der Kalkulation von Versicherungskonditionen einfordern.
Wie hoch sind die Fußabdrücke für Schwein, Rind, Geflügel und Milch ungefähr und wie stehen wir im internationalen Vergleich dar?
Hinrichs: Genau diese Frage gilt es zu beantworten. Denn bislang haben wir noch keine verlässliche Datenbasis. Es gibt lediglich Einzelberechnungen. Deshalb wurde QS Mitte letzten Jahres beauftragt, eine einheitliche Branchenlösung zur Berechnung von CO2-Emissionen in der Tierhaltung zu koordinieren.
Worauf kommt es dabei im Detail an?
Hinrichs: Um den CO2-Fußabdruck z.B. für Fleisch verlässlich ermitteln und später veröffentlichen zu können, ist es wichtig, dass die Branchen vom Start weg mit vergleichbaren Methoden arbeiten. Auch wenn wir derzeit den Fokus auf die Schweinehaltung und Deutschland legen, müssen wir in späteren Schritten andere Tierarten einbeziehen und uns über die nationalen Grenzen hinweg austauschen.
Wie wichtig ist die Rolle speziell der Nutztierhalter beim Thema Klimaschutz in der gesamten Wertschöpfungskette Lebensmittel?
Hinrichs: Bei der Erzeugung und Vermarktung von Fleisch und Fleischwaren steht die gesamte Kette in der Verantwortung. Sicherlich kommt dabei der Futtermittelproduktion und der Tierhaltung eine besondere Rolle zu, weil davon auszugehen ist, dass in diesen Produktionsabschnitten ein relevanter Anteil der CO2-Emissionen entsteht.
Für den LEH sind die CO2-Emissionen der Lieferanten relevant.
Welche Rolle spielt der CO2-Fussabdruck heute beim Einkaufsverhalten der Handelsketten im LEH?
Hinrichs: Nicht nur die großen Unternehmen der Fleisch- und Milchwirtschaft unterliegen den Berichtspflichten, sondern auch die Unternehmen des Lebensmittelhandels. Insofern müssen sie zu der Klimawirksamkeit ihres Sortiments berichten. Daher sind die CO2-Emissionen ihrer Lieferanten für die Handelsunternehmen relevant.
Die Branche diskutiert derzeit intensiv darüber, wer die CO2-Emissionen in der Landwirtschaft am besten ermitteln könnte. Welche Rolle spielt hier QS?
Hinrichs: Wer die CO2-Emissionen am besten ermitteln könnte, ist schwer zu sagen. QS als Branchenorganisation kann aber sehr gut unterstützen und koordinieren, um zu einer praxistauglichen und einheitlichen Vorgehensweise in der Branche zu kommen. Hier hat QS eine über 20-jährige Erfahrung.
Die Methode zur Berechnung der CO2-Emissionen wird derzeit von Fachleuten der Landwirtschaftskammern Niedersachsen und NRW, der LfL Bayern, dem Thünen Institut und vom KTBL erarbeitet. Das Ziel ist, dass eine Berechnungsmethode erarbeitet wird, die praxistauglich ist und als Angebot im QS-System eingebunden werden kann.
Was ist das Ziel der Branchenlösung über QS? Und was spricht gegen individuelle Einzellösungen, z.B. in den einzelnen Bundesländern?
Hinrichs: Das Ziel einer Branchenlösung ist, die Klimaleistung in der Nutztierhaltung insgesamt sichtbarer zu machen. Darüber hinaus soll für jeden Landwirt die Grundlage geschaffen werden, sein betriebsindividuelles Verbesserungspotenzial zu finden und seine eigene Klimabilanz zu optimieren. Das geht aber nur, wenn die CO2-Werte nicht über verschiedene Rechenmethoden ermittelt wurden. Denn dann sind sie in der Regel nicht miteinander vergleichbar.
Ein gemeinsames Vorgehen hat für jeden einzelnen Betrieb auch den Vorteil, dass er je nach Vermarktungsstruktur nicht verschiedene Berechnungsmodelle verschiedener Abnehmer bedienen muss. Das würde den Arbeitsaufwand auf den Höfen unnötig in die Höhe treiben.
Für welche Nutztierbereiche entwickelt QS die Branchenlösung?
Hinrichs: Im ersten Schritt wird ein Angebot für die Schweinehaltung entwickelt. Danach sollen Angebote für die Rinder- und Geflügelhaltung folgen. Die Milchwirtschaft beschäftigt sich bereits seit längerer Zeit mit der CO2-Berechnung.
Parallel haben wir von den QS-Gremien auch den Auftrag erhalten, für Obst, Gemüse und Kartoffeln ein Angebot zu koordinieren. Grundsätzlich ist es wichtig, bei den CO2-Emissionen in der Landwirtschaft immer den Betrieb als Ganzes in den Blick zu nehmen und nicht einzelne Betriebsbereiche losgelöst von den anderen zu betrachten.
Für die bessere Vergleichbarkeit brauchen wir die Branchenlösung.
Wie muss ich mir die Erstellung der Klimabilanz in der Praxis vorstellen?
Hinrichs: Im Rahmen der Branchenlösung ermitteln die Tierhalter mithilfe eines praxistauglichen Rechenmodells einmal ihre betriebsindividuellen CO2-Emissionen. Für die Schweinehaltenden Betriebe kann das dann so aussehen, dass sie die benötigten Primärdaten in die von QS bereitgestellte Eingabemaske einfügen. Dort werden sie dann auch Hilfestellungen finden, welche Primärdaten von dem Betrieb benötigt werden. Im Hintergrund wird dann der CO2-Wert berechnet.
Die Daten werden anschließend in der QS-Datenbank gespeichert. Der Landwirt kann dann den betriebsindividuell errechneten CO2-Wert seinen verschiedenen Abnehmern zur Nutzung freigeben. Zukünftig möglicherweise bei Bedarf auch Banken und Versicherungen. Das hat den großen Vorteil, dass er dann nicht verschiedene Rechenmodelle bedienen muss. Der Aufwand für den Tierhalter ist also geringer.
Für die Abnehmer der Tiere hat es den Vorteil, dass sie – bei entsprechender Berechtigung durch den Tierhalter – die CO2-Werte ihrer Lieferbetriebe über die zentrale QS-Datenbank abrufen können und sofort wissen, dass diese Werte vergleichbar sind, weil ihnen ja die gleiche Rechenmethode zugrunde liegt.
Werden die Zahlen dann auch international vergleichbar sein?
Hinrichs: Das Rechenmodell, das derzeit erarbeitet wird, soll alle regulatorischen Anforderungen erfüllen. Insofern gehen wir davon aus, dass es vergleichbar mit Lösungen in anderen Ländern ist. Aber in einem der nächsten Schritte wird der internationale Austausch gesucht.
Wer ist verantwortlich dafür, dass die Berechnungen korrekt durchgeführt werden und wer kontrolliert?
Hinrichs: Für die Entwicklung des Berechnungsmodells sind die Landwirtschaftskammern NRW und Niedersachsen sowie die LfL Bayern, das Thünen Institut und das KTBL verantwortlich. QS wird die Dateninfrastruktur zur Verfügung stellen.
Um sicher zu gehen, dass mit den vom Landwirt eingegeben Daten korrekt gerechnet wird, wird bei der Dateneingabe eine technische Plausibilitätsprüfung erfolgen.
Was muss der Tierhalter zukünftig tun/berichten/ausfüllen und wie oft?
Hinrichs: Der Tierhalter muss die benötigten Primärdaten aus seinem Betrieb in die von QS bereitgestellte Klimabilanz-Anwendung eintragen und kann danach seinen individuellen CO2-Fußabdruck berechnen lassen.
Um allen die Arbeit zu erleichtern, möchten wir Schnittstellen zu bestehenden Programmen, wie z.B. Betriebsmanagementtools, CO2-Berechnungstools oder Systemen von Erzeugergemeinschaften aufbauen. Das Ziel muss sein, dass die Bauern ihre Daten nur einmal eingeben müssen und dann an die QS-Anwendung übertragen können.
Wie wird der Datenschutz sichergestellt?
Hinrichs: Wir stimmen vor dem Start mit allen Beteiligten ein klar definiertes Rollen-Rechte-System ab.
Die Branchenlösung enthält keine Regelungen zur Honorierung der Klimaleistungen
Wann beginnt die Erfassung und bis wann ist mit einer Lösung über QS zu rechnen?
Hinrichs: Die Wirtschaft strebt an, dass Schweine haltende Betriebe ab dem ersten Quartal 2025 ihre Daten für die CO2-Berechnungen in einer von QS bereitgestellten Plattform eingeben können.
Handelt es sich um ein freiwilliges Angebot oder werden die Angaben später eine Voraussetzung zur Teilnahme am QS-System sein?
Hinrichs: Hierbei handelt es sich Stand heute um ein freiwilliges Angebot über die QS-Plattform. In welchem Umfang es künftig genutzt wird, entscheiden die Markteilnehmer.
Kann ich mit meinem betrieblichen Klimaschutzbeitrag künftig Geld verdienen? Das fragen sich viele Landwirte. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Hinrichs: Die Branchenlösung umfasst keine Regelungen zur Honorierung. Es ist aber möglich, dass Marktpartner außerhalb des QS-Systems Vereinbarungen dazu treffen.