Die Energiewende schreitet voran, was den Markt für erneuerbare Energieproduzenten erweitert. Doch die aktuellen Rahmenbedingungen für die Nutzung erneuerbarer Energiequellen für den Haushalt, die Industrie und das Verkehrsnetz sind nicht ideal.
Eine langanhaltende Überlastung und wenig Entlastungsmöglichkeiten schädigt z.B. die Leistungen von Transformatoren und führt zu hohen Kosten. Anpassungen sind nötig, belasten aber den Bundeshaushalt zukünftig. Welche Optionen gibt es?
In einem umfangreichen Bericht greift Spektrum die Stromnachfrage, Stromspeicher und die Gefahren und Hürden der grünen Energiewende auf und beleuchtet erste Lösungsansätze.
Stromleitungen als Einbahnstraße – das war gestern
Um das Problem mit dem aktuellen Stromnetz zu verstehen, ist es wichtig, die Ebenen des Energiesystems zu beleuchten:
Die oberste Ebene ist das nationale und europäische Verbundnetz, bei dem Strom aus Kraftwerken ins Netz eingespeist und an die Orte transportiert wird, wo er benötigt wird.
Die nächste Ebene sind die Verteilernetze, die die Strommenge regeln, der an die Verbraucher geht.
Dieses „alte Konzept“, wie es der Spektrum benennt, würde sich nun immer weiter von dem jetzt Zustand entfernen. Aufgrund der Energiewende und der steigenden Nutzung von PV-Anlagen, gibt es nun nicht mehr nur den Weg von den Kraftwerken zum Verbraucher.
Jeder Haushalt mit einer PV-Anlage auf dem Dach, aber auch große Freiflächen- oder Agri-PV-Anlagen fungieren selber als Mini-Kraftwerk und speisen häufig selbst ins Netz ein. Die Konsequenz: Strom wird in gegensätzliche Richtungen geschickt. Dass diese Umstellung Konsequenzen mit sich zieht, liegt auf der Hand.
Hohes „Verkehrsaufkommen“ in den Stromleitungen
Spektrum beschreibt den Stromkonflikt in einfachen Bildern: Der Strom, der nun in beide Richtungen geschickt wird, sorgt für ein hohes „Verkehrsaufkommen“ in unseren Stromleitungen“. Dadurch werden die „Straßen“ und „Kreuzungen“, also die Leitungen und Verteiler, stark beansprucht. Das liegt auch der geplanten Maximalleistung, die noch vor einem Jahrzehnt oder länger für ein Wohnhaus eingeplant wurde und nun bei vielen Haushalten nicht mehr aktuell ist.
Als Fachreferenz sprach Spektrum mit Christian Rehtanz von der Technischen Universität Dortmund. Nach Rehtanz sei man früher von einer Maximalleistung von ein bis zwei kW für Hausanschlüsse ausgegangen. Je nach Beratungsquelle findet man heutzutage Empfehlungswerte von 14 kW für einen modernen Haushalt. Darin ist auch die vermehrte Nutzung von E-Autos und passenden Ladeboxen eingeschlossen.
Freiflächen- und Agri-PV-Anlagen werden seltener beschrieben oder berücksichtigt, da sie im Bundesdurchschnitt derzeit nicht so häufig vorkommen. Besonders für Landwirte oder Landeigentümer spielen passende Anschlüsse und Leitungen aber eine immer größere Rolle.
Wenn Hochleistungsbetriebe in die „Zahnarzt-Allee“ einziehen
Wenn in einer Wohnsiedlung viele Häuser dazu beitragen, dass das Stromnetz stark belastet wird, spricht man auch von einer „Zahnarzt-Allee“. Gemeint sind Wohnstraßen von einkommensstarken Familien, die nach der Arbeit gleichzeitig ihre E-Autos laden, den Backofen, Fernseher, Soundanlage und die Waschmaschine mit Trockner einschalten. Im schlimmsten Fall sorgen die Haushalte durch ihren starken Strombedarf dafür, dass die Stromleitungen in ihren Straßen zu stark erhitzen und kaputtgehen.
Auch in die Jahre gekommene landwirtschaftliche Betriebe mit viel Dachfläche und Strombedarf können durch falsche Leitungen von dem Problem der „Zahnarzt-Allee“ betroffen sein. Werden Freiflächen- und Agri-PV-Anlagen installiert, erfolgt eine Verlegung von passenden Stromleitungen nachträglich und ist daher in der Regel dem Bedarf und Angebot vom Feld zum Verteiler angepasst.
Hohe Kosten für die Modernisierung des Bestandnetzes
Wie bereits beschrieben, gehen neue Anlagen häufig mit einer passenden Kabelstruktur einher. Doch was ist mit dem bestehenden Netz, das sich über ganz Deutschland erstreckt? Im Zuge der Energiewende und der Ausweitung von Dach- und Flächen-PV Anlagen in Kombination mit E-Autos und passenden Kabelstationen ist eins klar: Das Netz muss erneuert werden – und das kostet.
Spektrum gibt dazu an, dass die Kosten für das Aufbrechen von Straßen, die Neuverlegung und die Verschließung bundeweit einen Investitionsbedarf von ca. 200 Mrd. € betrage. Dazu kämen weitere 328 Mrd. € für Übertragungsnetze. Neben den hohen Kosten kommen bei der Umstellung auf Engpässe in der Versorgung und der Personalmangel erschwerend hinzu.
Ansätze zur Überbrückung von Engpässen
Spektrum gibt in dem Bericht an, dass seit Jahresbeginn 2024 der Netzbetreiber Engpässe bei der Stromlieferung durch eine Reduzierung der Leistung regulieren darf. Dabei darf das gesetzliche Minimum von 4,2 kW, das für den Betrieb alltäglicher Gebrauchsgegenstände benötigt wird, nicht unterschritten werden. Das Minimum schließt den weiteren Gebrauch von beispielsweise Waschmaschinen, Wärmepumpen und E-Autos mit ein.
Ansätze zum Ausgleich von Versorgungsschwankungen
Heimspeicher in Kombination mit intelligenten Messsystemen sollen in der Lage sein, Schwankungen auszugleichen, werden aber derzeit kaum verwendet. Auch durch lokale Verteilernetze können Schwankungen ausgeglichen werden, jedoch fehle nach Spektrum dafür aktuell der passende Marktmechanismus.
Intelligente Messstellen als zukünftiger Lösungsansatz?
Der Vorteil von digitalen oder „intelligenten“ Messstellen, liegt in der Übermittlung des aktuellen Bedarfs und Speicherrücklagen an Unternehmen, die in Zusammenarbeit mit dem Netzbetreiber das Angebot an Energie bedarfsgerecht anpassen. Dadurch lassen sich Engpässe genauer umgehen.
Damit das funktioniert, müssen bundesweit und flächendeckend digitale Stromzähler installiert werden. Nach Spektrum ließe sich diese Umstrukturierung frühestens 2032 realisieren. Spektrum sprach dafür mit dem Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE). Die Verteilung von digitalen Stromzählern führe nach dem Fraunhofer IEE nicht zwingend zum Erfolg.
Eine Alternative würden herstellerspezifische Systeme, wie in E-Autos darstellen, da so eine bessere Auslese der Daten und Steuerung des Angebots möglich wäre. Ob Fahrzeughalter auch Interesse daran hätten, ihr Auto für die Entlastung des Stromnetzes bereitzustellen, sei eine andere Frage.
Vorgeschaltete Module können den Stromfluss vor dem Zähler minimieren
Eine weitere Option stellen sogenannte „Mikro Smart Grids“ dar. Dabei handelt es sich um ein Modul, dass den Stromfluss vor dem Zähler möglichst gering hält, um so die Energie im eigenen Haushalt oder Unternehmen besser zu verteilen. Verknüpft werden können z.B. PV-Anlagen, Speicher oder E-Autos. Diese Mikro Smart Grids werden derzeit noch erforscht und sind daher noch nicht für einen flächendeckenden Einsatz vorgesehen.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die „vehicle to grid technology“, bei der E-Autos als Stromspeicher für das öffentliche Netz eingespeist werden. Doch auch hier sehen Vertreter das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) Probleme. Vor allem Ladeboxen und Fahrzeuge müssten entsprechend ausgerüstet werden, was auf „ältere“ Modelle nicht zutreffe. Nur so kann das System alle Informationen für eine passende Regulation auslesen.