Wärmstes Jahr seit Wetteraufzeichnung, höchster Anteil von erneuerbaren Energien im Strommarkt, Rekordwerte bei der Einspeisung von Wind- und Solarstrom: Das Jahr 2024 weist einige Rekorde auf. Das stellt die Energiewende auch vor neue Herausforderungen. Darum kommt auf die neue Bundesregierung ab Februar einiges an Arbeit zu.
Rückblick: Energiewende 2024
Die öffentliche Nettostromerzeugung in Deutschland hat 2024 einen Rekordanteil erneuerbarer Energien von 62,7 % erreicht. Bei der Solarstrom-Erzeugung wurde 2024 ein neuer Bestwert von 72,2 Terawattstunden (TWh) erzielt, auch der Ausbau der Photovoltaik liegt weiterhin über den Zielen der Bundesregierung. Da auch die Erzeugung aus Braunkohle (-8,4 %) und Steinkohle (-27,6 %) weiterhin stark zurück ging, war der deutsche Strommix so CO2- arm wie nie zuvor. Der Importsaldo stieg auf ca. 24,9 TWh. Das geht aus einer Auswertung hervor, die das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE heute vorgelegt hat. Quelle der Daten ist die Plattform energy-charts.info
Windenergie: 2024 war laut Bundesverband Windenergie (BWE) ein absolutes Erfolgsjahr: Projekte mit über 10.000 MW erhielten einen Zuschlag bei den Ausschreibungen. Zudem wurden 12.000 MW neu genehmigt.
Mit einer Jahres-Zubauleistung von über 15.000 MW setzt sich der rasante PV-Boom 2024 das zweite Jahr in Folge fort, berichtet das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) mit Bezug auf Zahlen der Bundesnetzagentur. Um das Ausbauziel von 80 % Anteil an erneuerbaren Energien im Stromsektor für 2030 zu erreichen, soll die Solarleistung nach den Planungen der alten Bundesregierung auf 215 GW (215.000 MW) steigen. Ende 2024 ist mit einer PV-Leistung von knapp 100.000 MW damit schon fast die Hälfte des Ausbauziels 2030 erreicht.
Deutschlands Treibhausgasemissionen sind 2024 gegenüber dem Vorjahr um 3 % auf 656 Mio. CO2-Äquivalente gesunken – 48 % weniger als 1990. Laut Analyse „Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2024“ der Denkfabrik Agora Energiewende hätten die Rückgänge zu gut 80 % in der Energiewirtschaft stattgefunden. Die Emissionen gingen das dritte Jahr in Folge zurück und erreichten einen historischen Tiefstand. Allerdings hat sich der Rückgang im Vergleich zum Jahr 2023 deutlich verlangsamt, wodurch sich die Reduktionskurve weiter abflacht.
Die Einnahmen aus dem europäischen und dem nationalen Emissionshandel lagen in Deutschland im Jahr 2024 bei rund 18,5 Mrd. €. Die Erlöse aus diesen beiden zentralen Klimaschutzinstrumenten lagen damit noch einmal leicht über denen des Vorjahres. Die Erlöse fließen vollständig in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), der als Finanzierungsinstrument einen zentralen Beitrag zur Erreichung der energie- und klimapolitischen Ziele Deutschlands leistet.
Dunkelflauten haben die Preise Ende 2024 punktuell nach oben getrieben. Über das Jahr gesehen war Strom an der Börse 2024 jedoch 15 % günstiger als 2023, berichtet der Stromanbieter Tibber: Von Januar bis Oktober hätten die Monatsdurchschnittspreise immer unter den Vorjahreswerten gelegen.
89,4 % der Menschen in Deutschland befürworten den Ausbau von erneuerbaren Energien „voll und ganz“ oder „eher“. Das zeigt eine aktuelle, repräsentative Umfrage des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, die von der E.ON Stiftung gefördert wird. Im Vergleich zu den Ergebnissen aus den drei Vorjahren wird deutlich: Die Zustimmung in der Bevölkerung ist stabil.
Resümee zur Ampelregierung
Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) zieht ein überwiegend positives Fazit zur Ampelregierung aus Energiesicht: Die scheidende Bundesregierung habe die einseitige Abhängigkeit von russischem Erdgas beendet, den Atomausstieg erfolgreich absolviert und den Ausbau der günstigen Solar- und Windenergie deutlich beschleunigt. Auch der Netzausbau sei vorangegangen und der Rahmen für die Wärmewende in Gebäuden und Netzen gesetzt worden. „Nicht mehr umgesetzt wurden die überfällige Reform des Strommarktes, die umfassende Aktivierung von Flexibilitäten oder die Optimierung des Netzanschlusses. Auch die Dekarbonisierung von Industrie und Verkehr braucht mehr Elan. Hier liegen die Kernaufgaben der nächsten Bundesregierung”, resümiert BEE-Präsidentin Simone Peter.
Rückschläge im Jahr 2024
Die Zukunft der Biogasbranche ist weiter ungewiss. Die letzten Biomasseausschreibung im Oktober 2024 war erneut deutlich überzeichnet. Bei einer ausgeschriebenen Menge von 234 MW wurden 712 Gebote mit einer Gebotsmenge von 622 MW eingereicht. Nur 283 Gebote haben einen Zuschlag erlangt.
Elektromobilität: Im Jahr 2024 wurden nur rund 380.600 reine Elektro-Pkw neu zugelassen, wie das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) mitteilte. Das ist ein Rückgang von über 27 % im Vergleich zu 2023. Auch der Anteil der Elektroautos an allen Neuzulassungen sank - auf 13,5 %. Im Jahr davor war noch fast jeder fünfte neu zugelassene Pkw (18,4 Prozent) ein Batterieauto. Mit nur 1,4 Mio. Elektroautos auf deutschen Straßen rückt das Ziel von 15 Mio. Batteriefahrzeugen bis 2030 in weite Ferne.
Die Treibhausgasemissionen sind laut Agora Energiewende in der Industrie trotz wirtschaftlicher Schwäche um 3 Mio. t CO2-Äq gestiegen. Im Gebäudesektor hätten nur milde Temperaturen die Emissionen um 2 % gedrückt – witterungsbereinigt seien sie gestiegen. Die Emissionen des Verkehrssektors stagnierten dagegen weiterhin.
Der Biodieselabsatz ist 2024 stark eingebrochen: Laut Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat) am Umweltbundesamt um 24 % im Vergleich zum Vorjahr. Der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB) erklärt den Rückgang unter anderem mit der vor kurzem geänderten 38. Bundesimmissionsschutzverordnung. Danach können Mineralölunternehmen eingesparte Emissionen aus den Vorjahren nur noch 2024 und dann erst wieder ab 2027 auf die Treibhausgasminderungsquote anrechnen lassen. Aufgrund des Überschusses an CO2-Einsparungen aus den Vorjahren, die 2024 eingelöst wurden, bestand offenbar im laufenden Jahr kein Bedarf, die üblichen Biodiesel-Mengen einzusetzen. Das könnte sich 2025 und 2026 wieder ändern.
Noch immer verteilen sich Genehmigungen und Zuschläge bei der Windenergie ungleich über das Bundesgebiet. NRW liegt mit großem Abstand vor dem Norden und Nordosten an der Spitze, Bayern und Baden-Württemberg bleiben abgeschlagen. Laut BWE sei die Trendwende für den Süden Deutschlands nötig, auch für die Netzstabilität.
Klimawandel schreitet voran
In Deutschland war noch nie seit Messbeginn 1881 ein Jahr so warm wie 2024. Damit muss der Deutsche Wetterdienst (DWD) nach 2023 erneut ein „Rekordjahr“ melden. Uwe Kirsche, Pressesprecher des DWD: „Erschreckend ist vor allem, dass 2024 das Vorjahr gleich um außergewöhnliche 0,3 Grad übertroffen hat. Das ist beschleunigter Klimawandel.“ Der sehr milde Winter 2023/2024 sowie das rekordwarme Frühjahr brachten zugleich ungewöhnlich hohe Niederschlagsmengen. 2024 war in Deutschland ein deutlich zu nasses Jahr. Die Sonnenscheindauer lag leicht über dem hierzulande typischen Mittel. Das meldet der DWD nach ersten Auswertungen der Ergebnisse seiner rund 2000 Messstationen.
Ausblick 2025
Windenergie: Mit 14.000 MW wird mehr Leistung ausgeschrieben als im Vorjahr. Die Bundesnetzagentur hat den Höchstwert für die Einspeisevergütung auf 7,35 ct/kWh festgelegt. „Mit dem Beibehalten des Höchstwerts auf demselben Niveau schafft die Bundesnetzagentur stabile Rahmenbedingungen“, urteilt der BWE. Trotz steigender Preise für Anlagen und Bauleistungen sei so eine Grundlage für die Realisierung künftiger Projekte gelegt.
Zum 1. Januar 2025 steigt der CO2-Aufschlag gemäß Brennstoffemissionshandelsgesetz BEHG auf fossile Kraft- und Brennstoffe um jeweils rund ct/l. Bei Benzin beträgt der Aufschlag inklusive Mehrwertsteuer dann insgesamt knapp 16 und für Diesel und Heizöl gut 17 ct/l. Zusätzlich steigt zum Jahreswechsel die Treibhausgasminderungsquote von 9,35 auf 10,6 %. Das heißt: Die Kraftstoffanbieter müssen den Anteil klimaschonender Kraftstoffe weiter erhöhen. Darauf weist der en2x – Wirtschaftsverband Fuels und Energie hin. Biokraftstoffe sind vom CO2-Aufschlag ausgenommen. Da Benzin bis zu 10 % und Diesel bis zu 7 % erneuerbare Kraftstoff-Anteile aus nachhaltiger Biomasse enthalten, fällt die Mehrbelastung zum Jahreswechsel für Kraftstoffe mit höherem Bioanteil geringer aus.
Nötige Rahmenbedingungen
Mehr Flexibilität: Eine der drängendsten Aufgaben der kommenden Bundesregierung ist laut BEE die Flexibilität im Strommarkt. Dies müsse Hand in Hand mit der Reform des Strommarktdesigns gehen. „Mit dem weiteren Ausbau der fluktuierenden Quellen Wind- und Solarenergie durch den Abbau von Markthemmnissen, schnelleren Genehmigungen und mehr verfügbaren Flächen wird Erzeuger-, Speicher- und Verbraucherflexibilität immer wichtiger, um das Energiesystem effizient und bezahlbar zu gestalten“, sagt BEE-Präsidentin Peter. Nötig sei eine Flexibilitätsstrategie, die flexibel steuerbare Leistung auf allen Ebenen anreize, systemdienliches Verhalten belohne und Speicher und Sektorenkopplung von Hemmnissen befreie.
Neues Strommarktdesign: Der BEE wiederholt seine Forderung nach der Umstellung auf eine mengenbasierte Förderung im EEG. Das bedeutet: Statt einer Förderung über einen Zeitraum von 20 Jahren, die zum Erreichen eines hohen Erlöses eine maximale Einspeisung von Strom unabhängig vom Verbrauch anreizt, sollte eine bestimmte Menge an Kilowattstunden gefördert werden – unabhängig davon, wie viele Jahre das dauert. Damit könnte die Einspeisung flexibler gestaltet werden.
Der Anschluss mehrerer erneuerbarer Erzeugungsmengen und Speicher an denselben Netzverknüpfungspunkt helfe hier ebenfalls. Verbraucherseitig könne mit dem Smart Meter-Rollout, dynamischen Tarifen, variablen Netzentgelten und der Stromsteuerabsenkung Flexibilität geschaffen werden, die auch den Ausbau der Wärmepumpen und E-Autos unterstützt.
Kraftwerkssicherungsgesetz: Die Erneuerbaren sind mit fast 60 % Anteil im Strommarkt laut BEE mittleweile systemsetzend. Das müsse auch in der Kraftwerkssicherung Berücksichtigung finden. „Bis 2030 sind 38 Gigawatt (GW) zusätzliche erneuerbare Leistung möglich, bis 2045 sogar bis zu 100 GW – dezentral, günstig und vor allem ohne klimaschädliches Erdgas oder fossilen blauen Wasserstoff“, sagt Peter. Alleine flexibilisierte Biogasanlagen könnten kurzfristig zusätzlich 6 GW, perspektivisch 24 GW erschließen. Wasserkraft, Heim- und Großbatteriespeicher sowie Geothermie und die grüne KWK kämen hinzu. „Wenn die neue Bundesregierung sofort die Weichen stellt, kann sie bei der Kraftwerkssicherung nochmals annähernd die vierfache Leistung der bisher vereinbarten H2-ready Gaskraftwerke entfesseln“, fasst sie zusammen.
Wärmewende: Für den dringend nötigen Schub bei erneuerbaren Energien im Wärmemarkt müssten laut BEE die derzeitigen Förderprogramme über die Legislatur hinaus reibungslos fortgeführt werden, um einen Stillstand beim Ausbau zu verhindern. Neue Vorschläge zum CO2-Preis könnten hiermit verbunden werden. Auch müssten Anbieter fossiler Technologien, die versprechen, auf Erneuerbare Energien umzustellen, tatsächlich liefern.
Verkehr: Neben starken Anreize für den Umstieg auf Elektromobilität und eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur fordert der BEE auch die Nutzung von Biokraftstoffen und E-Fuels in Bereichen, die schwer oder gar nicht zu elektrifizieren sind. Außerdem seien Maßnahmen der Betrugsprävention zu ergreifen, da das System THG-Quote in den vergangenen zwei Jahren von Fälschungen unterlaufen wurde.
Um erneuerbaren Kraftstoffen zum Durchbruch zu verhelfen, ist laut Verband en2x eine grundsätzliche Neugestaltung der Energiebesteuerung notwendig. Entsprechende Vorschläge der EU-Kommission für eine Reform der Steuer lägen seit mehr als drei Jahren auf dem Tisch. Sie sehen vor, dass für nachhaltige und klimaschonende Kraft- und Brennstoffe deutlich niedrigere Mindeststeuersätze gelten als für rein fossile. Das wäre ein substanziell höherer Klimaschutz-Anreiz als nur durch den CO2-Aufschlag, beispielsweise noch mehr auf fortschrittliche Biokraftstoffe zu setzen, die auf Rest- und Abfallstoffen basieren.
„Eine strategisch kluge und sozial ausgewogene Klimapolitik ist als Schlüssel für Stabilität und Resilienz wichtiger denn je“, schreibt die Denkfabrik Agora Energiewende in ihrer Analyse zur Energiewende. Zentral seien noch attraktivere Strompreise durch niedrigere Netzentgelte und eine Senkung der Stromsteuer. Steuerliche Anreize, Klimaschutzverträge und grüne Leitmärkte könnten der Wirtschaft Innovationsimpulse geben. Im Gebäudesektor seien Kontinuität und eine sozial gestaffelte Förderung entscheidend. Die Finanzierung könnten eine Anpassung der Schuldenregel und ein Zukunftspakt zwischen Bund, Ländern und Kommunen sichern.
Zum Nachlesen
Agora Energiewende: Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2024
Umweltbundesamt: https://www.umweltbundesamt.de/
Fraunhofer ISE: Deutscher Strommix 2024
Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung: Stand der Elektromobilität in Deutschland
Internationales Wirtschaftsforum Regenerative Energie: Solarboom in Deutschland