Über 300 m lange Stahlreihen ziehen sich über das Grünland. Auf dem nassen Untergrund zeugen tiefe Fahrspuren von den schwierigen Verhältnissen beim Bau. Trotzdem geht es voran: Auf einigen Gestellen werden bereits Module montiert, die blau in der Sonne schimmern. Am Horizont ist die Skyline von Bremen zu erkennen, aber auch große Hallen von mehreren Werften an der ca. 2 km entfernten Weser. „Mit einigen verhandeln wir gerade über einen Stromliefervertrag“, sagt Milchviehhalter Henning Kruse von der „Kruse Milch und Energie“ aus dem niedersächsischen Lemwerder. Kruse hält rund 300 Kühe, hat aber auch seit Jahren Erfahrung mit der Energieproduktion: Seit 2011 hat er auf mehreren Stall- und Hallendächern Photovoltaikanlagen mit 800 kW installiert und betreibt eine 75-kW-Biogasanlage auf Güllebasis.
Doch jetzt geht er einen ganz neuen Schritt: Auf ca. 18 ha lässt er den derzeit größten Agri-Photovoltaikpark in Deutschland, den „Energiepark Butzenhausen“, installieren. Hierfür investiert er rund 10 Mio. €.
Ausrichtung nach Ost-West
Die Anlage wird eine Gesamtleistung von 15 MW haben. Sie ist in zwei Abschnitte aufgeteilt: Ein Teil der Module ist 30° nach Osten, der andere 30° nach Westen ausgerichtet. „Wir wollen die klassische Mittagsspitze vermeiden“, sagt Kruse. Nach Berechnungen wird die Anlage zwei Peaks haben: Eine um 10.00 Uhr und eine gegen 15.00 Uhr.
Die Anordnung hat sich aber auch aus einem anderen Grund ergeben: Auf den Dauergrünlandflächen in der Wesermarsch gibt es in ca. 2 m Tiefe eine wasserundurchdringliche Schicht. Daher kommt es im Winterhalbjahr regelmäßig zu Staunässe. Ohne die flachen Entwässerungsgräben („Grüppen“), die die Flächen in regelmäßigen Abständen durchziehen, wäre das Land nicht zu bewirtschaften. „Wir haben die Modultische an diesen Gräben ausgerichtet“, sagt er. Daher ergeben sich zwischen den Modultischen Streifen von 9 bis 14 m Breite.
Grundfutterernte möglich
Bei der Aufständerung hat Kruse auf Betonfundamente verzichtet, um die Anlage bei Bedarf nach 20 oder 30 Jahren einfach beseitigen zu können. Für Standfestigkeit sorgen die 2 m ti.ef in die Erde gerammten Pfosten.
Das Montagegestell besteht nur aus einem Mittelständer, auf dem die ca. 4,5 m langen Modultische montiert sind. Damit kann Kruse rechts und links von dem Ständer unter den Modulen weiter wirtschaften.
Die Module sind an der tiefsten Stelle 1,50 m hoch, an der höchsten sind es 3 m. Kruse will die Streifen wie bisher zur Grundfutterernte nutzen mit der Ausbringung von Gülle und Mineraldünger über Mähen und Schwaden bis zur Abfuhr mit dem Ladewagen. Für weitere Parks würde er die Modultische auf eine Mindesthöhe von 2,30 m planen. „Dann könnten wir die Flächen bei Bedarf auch als Weide nutzen. Bei 2,30 m sollten auch aufspringende Kühe die Module nicht beschädigen können“, erklärt er.
Auch wenn die Aufständerung die Bearbeitung der Fläche einschränkt: Unterm Strich erhofft er sich mit den Modulen einen Mehrertrag. Denn trotz des im Winter sehr nassen Untergrunds ist der Klimawandel gegenwärtig: „In den letzten Jahren hat die Sommertrockenheit dafür gesorgt, dass wir fast immer einen kompletten Schnitt weniger machen konnten als noch vor fünf bis zehn Jahren“, sagt er. Üblich waren bislang sechs Schnitte. Das ist jetzt nicht mehr möglich.
Pro Hektar sind zwischen 0,8 und 0,9 MW Leistung installiert. „Mehr Leistung bringt nicht unbedingt mehr Stromertrag, weil sich die Module gegenseitig verschatten“, weiß er.
Auf der Anlage sind 36 Wechselrichter mit 330 kW verbaut. Für den Anschluss ans Mittelspannungsnetz gibt es zwei große Transformatoren. Zudem denkt Kruse aktuell über den Bau eines Speichers mit 30 MW nach.
Strom für Schiffswerften
Die Region ist ideal für Photovoltaik. „Der ständige Wind bei uns sorgt für eine gute Hinterlüftung der Module. Wir erzeugen bei mehreren Dachanlagen immer über 1.050 kWh/kW im Jahr und sind damit nicht viel schlechter als in Süddeutschland“, lautet seine Erfahrung.
Geplant ist die Produktion von 15 GWh Strom, also 15 Mio. kWh im Jahr. Die Werften können etwa 70 % ihres Jahresbedarfs mit dem Strom decken. Im Winter fehlt allerdings Sonne. Hier wäre eine Deckung über Windenergie denkbar. Der Strompreis dürfte nach aktuellen Verhandlungen bei 7 bis 8 ct/kWh liegen. Dazu kommen weitere 7 bis 8 ct/kWh für Leitung und Speicher. Die Stromerzeugungskosten der Agri-PV-Anlage schätzt er auf 5,5 bis 6 ct/kWh. „Agri-PV-Strom muss mit anderen Erzeugungsarten konkurrieren, der Strom ist nicht grüner als von einem normalen Solarpark“, sagt Kruse. Sein Vorteil ist die Nähe zu den Stromabnehmern, die aus Marketinggründen auf die Herkunft von Kruses Anlage verweisen und sogar mit ihren Kunden dort vorbeifahren können.
Den restlichen Strom, den er ins Netz einspeist, könnte nach der neuen Vergütung für Agri-PV-Anlagen vergütet werden. Dafür muss er an einem Ausschreibungsverfahren teilnehmen. Der Höchstgebotspreis bei der Ausschreibung liegt bei ca. 9 ct/kWh.
Deutschlandweit erste Zertifizierung
Für die Anerkennung als Agri-PV-Anlage ist ein Zertifikat nötig. Hierfür hat Kruse im Juni 2024 das deutschlandweit erste Zertifikat für eine Agri-PV-Anlage erhalten. Ausgestellt hat das Zertifikat das bislang einzige Institut, das in diesem Bereich tätig ist: Die Abcert AG aus Esslingen.
Zur Zertifizierung haben die Prüfer zunächst die geplante Technik anhand der Norm „DIN Spec 91434“ untersucht. Der zweite Schritt ist die Abnahme der Anlage nach Fertigstellung, dann folgt eine Nachzertifizierung alle drei Jahre.
Was und wie geprüft wird, hat das Unternehmen auf seiner Seite www.abcert.de genau beschrieben.