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topplus Interview Bergwaldprojekt

Waldschäden nehmen zu: "Wir haben keine Zeit für ideologische Debatten"

Das schnelle Wiederaufforsten der deutschen Wälder nach dem Krieg mit Fichten war damals richtig. Nun haben wir laut Bergwaldprojekt aber ein deutlich schlimmeres Waldsterben als in den 80er Jahren.

Lesezeit: 9 Minuten

Freiwillige, die aktiv bei Naturschutz und Walderneuerung helfen: Das ist eine Säule des gemeinnützigen Vereins Bergwaldprojekt e.V. Wir haben mit dem Förster und Vorstand Peter Naumann über die Arbeit der Organisation, die aktuelle Waldsituation und die Klimawirkung der Wälder gesprochen.

Herr Naumann, wofür steht das Bergwaldprojekt?

Naumann: Das Bergwaldprojekt arbeitet seit 35 Jahren mit den Landesforstverwaltungen in allen Bundesländern, zahlreichen kommunalen Forstbetrieben in ganz Deutschland, mehreren deutschen Waldnationalparks, den Biosphärenreservaten, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt auf den Flächen der Nationalen Naturerbe GmbH und mit der Umweltstiftung Greenpeace im Zukunftswald Unterschönau in Thüringen zusammen.

Wir sind auf diesen Flächen bundesweit jährlich mit 5.000 Freiwilligen im Einsatz für den Schutz, die Erhaltung und die Wiederherstellung von Ökosystemen in Wäldern, Mooren und Offenland.

Durch unsere langjährige Arbeit in vielen deutschen Waldgebieten und die Veränderungen, die wir dabei gesehen haben, ist uns klar geworden, dass wir die Waldbewirtschaftung deutlich naturnäher gestalten müssen, um die Schäden an den Wäldern zu verringern.

Zum Waldsterben 1982 mit Greenpeace gegründet

Wie ist Ihre Organisation entstanden?

Naumann: Das Bergwaldprojekt ist 1986 als Sonderprojekt beim Greenpeace e.V. in Hamburg entstanden. Unter dem Eindruck des ersten Waldsterbens sorgten sich einige Leute um die Zukunft des Waldes und wollten dessen Zustand verbessern - obwohl die Ursachen damals deutlich einfacher zu händeln waren als das, was wir heute sehen.

Nach wenigen Jahren kam es zur freundschaftlichen Trennung von Greenpeace und das Bergwaldprojekt hat sich als eigenständige Organisation 1991 in der Schweiz und 1993 als eingetragener Verein in Deutschland registriert. Später sind die Länder Österreich, Lichtenstein und Spanien gefolgt.

Waldsterben heute dramatischer als in den 80ern

Wie positioniert sich das Bergwaldprojekt zu den aktuellen Waldschäden?

Naumann: Der flächige Verlust von Wäldern hat eine sehr bedenkliche Dimension angenommen. Im Vergleich dazu war das Waldsterben in den 80er Jahren eine harmlose Kinderkrankheit. Der offizielle Verlust lag, laut Ergebnissen der vierten Bundeswaldinventur (BWI 4), im Jahr 2022 schon bei 600.000 ha. Wir halten mindestens 800.000 ha, Stand heute, für realistisch. Das sind bereits 7 % der gesamten deutschen Waldfläche.

Als Förster ist es für mich vollkommen einsichtig, dass es nach dem zweiten Weltkrieg zunächst darum ging, möglichst schnell Nutzholz zu produzieren. Die Waldgeschichte zeigte aber schon damals, dass z. B. Fichtenreinbestände ohne Laubmischbaumarten extrem anfällig gegen Stürme, Borkenkäfer- und Nonnenbefall (eine waldschädigende Raupe eines Schmetterlings) waren und damit die Wälder so stark geschwächt wurden, dass es zum Verlust der vielfältigen Schutzfunktionen kommen konnte. Heute sehen wir sehr eindrücklich, wie schnell der Wald kollabiert, wenn er nur aus einer klimalabilen Baumart besteht.

Fehlende Windruhe führt zur Aushagerung des noch vorhandenen Humus."

Den aktuellen Umgang mit abgestorbenen Borkenkäferbeständen halten wir darum nicht für zielführend. Wenn direkt alle toten Bäume abgeräumt werden, vergrößert man den bereits entstandenen Schaden noch: Denn fehlende Windruhe führt zur Aushagerung des noch vorhandenen Humus, die Gefahr von Schäden durch Spätfröste steigt, die Flächen erwärmen sich bei Sonne sehr stark, im aufgeheizten Boden kommt durch den Abbau der organischen Masse eine regelrechte Stickstoffkaskade in Gang.

Dadurch wiederum steigt das Nahrungsangebot durch Himbeeren und Brombeeren massiv an und führt zur starken Vermehrung des Rehwildes und damit zu erheblichem Verbiss. Dabei wandeln sich viele Waldflächen aufgrund dieser Flächenbehandlung gerade von der CO2-Senke zu einer Quelle. Auch das hat die BWI 4 gerade bestätigt. Der deutsche Wald gibt jetzt mehr Treibhausgase ab als er aufnehmen kann.

30 % der toten Fichten stehen lassen

Wie sollten Schadflächen aus Ihrer Sicht behandelt werden?

Naumann: Wichtig ist zunächst die Festlegung der zu nutzenden Rückegassen, um ein flächiges Befahren der Schadbereiche und überflüssigen Bodendruck zu vermeiden. Aus unserer Sicht sollten zunächst mindestens 30 % der abgestorbenen Fichten stehen bleiben. Das bringt eine natürliche Beschattung, sorgt für mehr Windruhe, hält die Feuchtigkeit auf der Fläche und schützt vor Schäden durch Hitze oder Spätfröste. Dadurch haben Schattenbaumarten wie Tanne und Buche bessere Startbedingungen.

Die verbliebenen Fichten brechen dann in den nächsten Jahren in der Regel von oben her zusammen, bleiben auf der Fläche und sorgen so noch weiterhin für ein Feuchtigkeitsreservoir.

Kritiker bemängeln, dass stehendes Totholz die Waldbrandgefahr deutlich erhöht und sich die Flächen mit den umgestürzten Bäumen später nur schwer pflegen lassen.

Naumann: Wie immer im Leben gibt es Vor- und Nachteile und man muss abwägen. Die Waldbrandgefahr ist in den zum Teil beräumten Flächen nicht groß, da immer wieder Freiflächen die Totholzflächen unterbrechen. Die positiven Effekte für den naturnahen Waldumbau sind immens. Die Totbäume sorgen nicht nur für ein feuchteres verjüngungsfreundliches Waldinnenklima, sondern sie schützen zudem vor Wildverbiss, denn das Schalenwild wagt sich nur sehr ungern in den entstandenen Verhau. Das Fichtenholz zerfällt relativ schnell, so dass es die Pflegemaßnahmen nicht lange erschwert.

Jagd ist unerlässlich

Stichwort Wild: Hier nehmen Sie und das Bergwaldprojekt eine klare Position ein. Welche?

Naumann: Ein angepasster Wildbestand ist aus unserer Sicht die existenzielle Grundlage in der derzeitigen Phase der Walderneuerung, die Jagd ist der Dreh- und Angelpunkt. Die Wilddichte in vielen Regionen Deutschlands ist um den Faktor 10 zu hoch. Das zeigen Verbissgutachten und das Monitoring über Weiserzäune.

Wir befürworten deshalb eine intensive Bejagung mit allen gesetzlich zulässigen Mitteln. So könnten bspw. Drohnen helfen, die Tiere aufzuspüren. Die leider oft noch praktizierte Trophäenjagd mit dem Schwerpunkt auf starken Geweihen, lehnen wir ab. Alles, was innerhalb der Jagdzeit gesehen wird und Schusszeit hat, sollte erlegt werden.

Die Schalenwildjagd ist sicher ein emotionales Thema und sollte deshalb faktenbasiert behandelt werden. Die tatsächliche Wilddichte liegt aufgrund der guten Nahrungsbedingungen weit über den „gefühlten“ Bestandszahlen. Weiser ist hier immer der Grad des Verbisses bei den wichtigen Hauptbaumarten. Wir erwarten hier auch von der Politik eine klare Positionierung.

Übrigens kommt auch dem Wolf eine positive Rolle zu. Daran sollte sich auch ein künftiges Wolfsmanagement orientieren. Der Wolf kann eine starke Unterstützung beim naturnahen Waldumbau leisten. Entscheidend ist ein professionelles Management der Tierart und die Einbeziehung und Unterstützung aller beteiligten Gruppen in Land- und Forstwirtschaft durch die Behörden.

Probleme lösen, statt darüber zu streiten

Derzeit entsteht nicht der Eindruck, dass es einen breiten Konsens in der Branche gibt, wie der Waldumbau zu laufen hat. Wie sehen Sie das?

Naumann: Meiner Ansicht nach ist die Diskussion oft viel zu sehr von der jeweiligen politischen Gesinnung geprägt. Das sollten wir dringend ändern, wenn wir die Probleme lösen wollen, anstatt nur darüber zu streiten wer Recht haben könnte und fortzusetzen, was offensichtlich nicht mehr funktioniert unter den veränderten Klimabedingungen.

Wir sind in Zukunft auf resiliente Wälder angewiesen, die uns sowohl wertvolles Holz liefern als auch ihre wichtigen ökosystemaren Funktionen wie Schutz vor Überschwemmungen und Erosion, Trinkwasserspeicherung, Biodiversität und Kühlung in der Landschaft erfüllen. Die aktuellen Schäden in den Wäldern sind nicht nur wegen der Klimaveränderung so heftig. Wenn wir möglichst naturnah arbeiten, können die Ökosysteme ihre Widerstandsfähigkeit erhalten oder wieder entwickeln.

Die aktuell bekannte Situation der Wälder rät uns eindeutig, jetzt zu reagieren. Die Schäden durch Borkenkäfer werden sich rasch auf andere Regionen und andere Arten ausdehnen. Wir sollten die Zeit nutzen, um dort bereits jetzt stabilere Bestände zu etablieren.

Cluster-artig pflanzen und schützen

Können auch Gatter einen Beitrag leisten, um die Naturverjüngung zu fördern?

Naumann: Zäune und Hordengatter können sinnvoll sein, wenn es in der Nähe wertvolle Mischbaumarten gibt, die sich dann verjüngen. Aber angesichts der aktuell 800.000 ha Schadfläche kann das nur ein Element sein. Genau wie die Pflanzung. Hier ist es sinnvoll, Cluster-artig zu arbeiten und gezielt standortheimische Arten einzubringen. Schon aus Kostengründen sollten wir zuerst immer auf die Kräfte der Natur setzen.

Wie sieht denn der ideale Wald aus Ihrer Sicht aus?

Naumann: Ein idealer Wald ist ein Wunschzustand, der kaum erreicht werden kann! Naturnahe, artenreiche, strukturierte und resiliente Mischwälder sind aber eindeutig anpassungsfähiger an die kommenden Klimabedingungen als die labilen Fichten- und Kiefernwälder, die dem massiv einsetzenden Klimawandel nichts entgegen zu setzen haben und zu allem Überfluss auch noch den Standort für künftige Waldgenerationen verschlechtern. Wenn wir die Klimaveränderung aber nicht bei 2 Grad in den Griff kriegen, dann wird es auch für die naturnahen Bestände schwierig.

Weil Hitze immer mehr zum Problem wird, sollten die Wälder vorratsreicher werden und bei forstlichen Eingriffen stets der Kronenschluss gewahrt werden. Damit bleibt die Bestandesinnentemperatur möglichst kühl. Das muss bei allen Maßnahmen im Vordergrund stehen. Der Rückegassenabstand sollte größer werden, um eine unnötige weitere Fragmentierung der Wälder zu vermeiden und wertvolle Holzbodenfläche zu erhalten. 30-40 Meter Abstand sollten hier das Minimum sein. Unserer Ansicht nach geht es künftig in Richtung Einzelstammnutzung. Das erfordert ein Umdenken und Übung. Der wachsende Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften ist dabei ein Problem, das dringend behoben werden muss.

Bäume nicht nur als Energieträger sehen

Und welche Nutzung streben Sie an?

Naumann: Wir sind auf die Nutzung unserer Wälder angewiesen. Dabei ist es wichtig wertvolles Stammholz zu erzielen, um Holz- und Möbelbau zu sichern. Die momentane energetische Nutzung von Holz ist kritisch zu betrachten und muss sich aus unserer Sicht dringend ändern. In Deutschland werden derzeit über 50 % des jährlichen Holzaufkommens verfeuert. Für die längerfristige Fixierung von Kohlenstoff muss eine sinnvolle Kaskadennutzung wie bspw. im Bauholz im Fokus stehen. Hier haben z.B. Baumarten wie Eiche, Esskastanie und Weißtanne durch ihre günstigen Holzeigenschaften Vorteile.

80 hauptamtliche Mitarbeiter im Verein

Wie arbeitet das Bergwaldprojekt im Detail?

Naumann: Wir sind ein eingetragener gemeinnütziger Verein und finanzieren uns durch Spenden, Kooperationsbeiträge der Projektpartner und Unternehmen. Der Verein beschäftigt aktuell ca. 80 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Projektkoordination, Projektleitung, Administration, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, Logistik, Umweltbildung, Fundraising und Unternehmenskooperationen. Die Projektleitenden sind Fachkräfte aus Forstwirtschaft, Biologie, Landschaftsökologie und ähnliches. 

Wir führen Projekte in verschiedenen Kategorien durch. Das sind Freiwilligenprojekte, Waldschulprojekte in Zusammenarbeit mit Bildungs- und Jugendhilfeeinrichtungen oder Corporate Volunteer Projekte, also mit Mitarbeitergruppen von Unternehmen. In allen Projekten engagieren sich zusammen rund 5.000 Freiwillige pro Jahr. Die Projekte für Freiwillige werden auf unserer Website veröffentlicht und dort kann man sich auch online zu einem beliebigen Projekt anmelden. Die Teilnahme ist für die Freiwilligen übrigens kostenfrei.

Wo sind die Einsatzgebiete für Ihre Teams?

Wir arbeiten mit den Freiwilligen in Wäldern, Mooren und im Offenland an aktuell ca. 100 Projektorten in Deutschland. Unter fachkundiger Anleitung werden Pflanzungen, Pflegemaßnahmen, Biotoppflege oder auch Renaturierungsmaßnahmen durchgeführt. Die Arbeiten finden ausschließlich in öffentlichen Wald- und Naturschutzgebieten statt, wir sind im Körperschaftswald in allen Bundesländern unterwegs.

Ziele der Arbeitseinsätze sind der Schutz und die Wiederherstellung der Ökosysteme, den Teilnehmenden die Bedeutung und Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen bewusst zu machen und eine breite Öffentlichkeit zu einem naturverträglichen Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu bewegen. Ganz neu im Fokus sind bei uns Agroforstsysteme, um Land- und Forstwirtschaft sinnvoll zu kombinieren und ökologische, wirtschaftliche und soziale Vorteile zu schaffen. Dazu werden wir auch auf privaten Flächen arbeiten, um eine naturnahe Entwicklung voran zu bringen.

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