Die politischen Entscheidungsträger auf nationaler und europäischer Ebene stehen vor Herausforderungen, die vor zehn Jahren kaum vorstellbar waren, stellt Dr. Norbert Röder vom Thünen Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen fest.
Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage sollen landwirtschaftliche Betriebe entlastet werden – vorrangig durch den Abbau bürokratischer Hürden. Besonders Umweltauflagen werden oft als Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung betrachtet. Doch diese Vorschriften verfolgen einen klaren Zweck: Sie sollen Umweltprobleme lösen oder zumindest abmildern, erklärt der Agrarökonom.
Kahlschlag bei den Vorgaben geht nicht
Ein undifferenzierter Bürokratieabbau nach dem „Rasenmäherprinzip“, wie er aus der Politik gefordert wird, steht diesem Ziel entgegen. Ein solcher Ansatz würde laut Röder dazu führen, dass Verfügungsrechte in erheblichem Umfang von der Gesellschaft auf einzelne Akteure übertragen werden.
Die ökologischen Herausforderungen in der Landwirtschaft bleiben jedoch bestehen, auch wenn entsprechende Vorschriften abgeschafft werden. Es ist daher wahrscheinlich, dass der Problemdruck anhält oder sogar zunimmt. Die Folge: Die Politik wird später umso drastischer eingreifen müssen.
Umwelt- und Planungsrecht lässt sich verschlanken
Unstrittig ist, dass es große Spielräume gibt, das Umwelt- und Planungsrecht zu verschlanken. Dieser Rechtsbereich hat sich über einen langen Zeitraum auf EU-, Bundes- und Landesebene entwickelt, so Röder weiter.
Zwar werde es den einen großen Wurf nicht geben. "An vielen Stellen sind aber deutliche Vereinfachungen möglich, ohne das Schutzniveau wesentlich zu verändern. So ist beispielsweise nur schwer nachvollziehbar, warum im Wasser-, Dünge- und Pflanzenschutzrecht die relevanten Mindestabstände für die Ausbringung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln teilweise auf der Basis völlig unterschiedlicher Methodiken abgeleitet werden", sagt er.
Auch die derzeitigen Regelungsversuche zur Abgrenzung von Dauergrünland - die Definition in der GAP-Direktzahlungenverordnung umfasst mehr als 800 Wörter - würden zeigen, das Zusammenspiel von Förder- und Fachrecht funktioniert nicht.
Große Hoffnung in Digitalisierung
Ein erhebliches Entlastungspotenzial für alle Beteiligten bietet nach Ansicht Röders eine intelligente Digitalisierung der Kommunikation zwischen Landwirten und Behörden. Dies bedeutet, dass einmal erfasste Daten für verschiedene Fragestellungen genutzt werden können.
Dafür ist eine Vereinheitlichung der relevanten Definitionen und Meldefristen in den verschiedenen Rechtsbereichen unerlässlich. "Es muss geklärt werden, welche Informationen Landwirte ohnehin erheben und für verschiedene Zwecke in ähnlicher Form benötigt werden."
Allerdings dürfte die Umstellung bürokratischer Prozesse in der Verwaltung zunächst zu einem Mehraufwand führen, da das bestehende System so lange parallel betrieben werden muss, bis das neue reibungslos funktioniert. Wird dieser vorübergehende Mehraufwand nicht mitbedacht, droht, dass sich das derzeitige „Deutschland-Tempo“ bei der Digitalisierung der Verwaltung fortsetzt, mahnt der Leiter einer Arbeitsgruppe, die sich mit den Fragen im Themenfeld Agrarpolitik, Landnutzung und Biodiversität in Agrarlandschaften befasst.
Radikale Neuordnung der europäischen Finanzarchitektur steht bevor
Ein weiteres zentrales Thema für die kommende Bundesregierung ist die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Angesichts massiver politischer Herausforderungen hat die EU-Kommission Leitlinien für den kommenden mittelfristigen Finanzrahmen vorgelegt. Diese sehen unter anderem eine radikale Neuordnung der europäischen Finanzarchitektur und eine deutliche Reduzierung der Förderprogramme vor.
Die Vorschläge stoßen bei Vertretern der Landwirtschaft und des ländlichen Raums auf erhebliche Bedenken, weiß der Experte. "Nach den Erfahrungen mit der letzten GAP-Reform – Stichworte: Nationaler Strategieplan, Öko-Regelungen – besteht die Gefahr, dass Politik und Verwaltung sich erneut nicht rechtzeitig konstruktiv mit möglichen Veränderungen befassen. Stattdessen könnten sie, bildlich gesprochen, gezwungen sein, einen Bilderhaken mit einem Vorschlaghammer anzubringen. Nur weil man über eine mögliche Veränderung schweigt oder die Augen davor verschließt, wird sie nicht unwahrscheinlicher."
Diese sieben Chancen bietet der Umbau
Ein solcher Umbau birgt zahlreiche Risiken und Herausforderungen, aber auch Chancen. "Ich sehe mindestens sieben:
adäquatere Definitionen zum Beispiel für Dauergrünland, landwirtschaftliche Nutzung und landwirtschaftliche Nutzfläche oder Landschaftselemente,
klarere Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern,
Auflösung der Zwei-Säulen-Struktur der GAP,
mehrjährige Budgetspielräume auch für Interventionen der bisherigen Ersten Säule,
die Entwicklung einer inhaltlich konsistenten Förderarchitektur, sodass mit einer höheren Gemeinwohlwirkung einer Maßnahme auch ein höherer wirtschaftlicher Anreiz verbunden ist,
eine Ablösung des gegenwärtigen zentimetergenauen Vermessungswahns,
die stärkere Nutzung der EU-Mittel auch für den Ausgleich spezifischer ordnungsrechtlicher Auflagen.
Umweltstandards nicht schlagartig absenken
Eine Optimierung der Prozesse in der Agrarförderpolitik bietet die Möglichkeit, sowohl die Landwirte zu entlasten als auch den Schutz der natürlichen Ressourcen zu gewährleisten. Werden hingegen Umweltstandards in einem ersten Schritt abgesenkt, besteht die große Gefahr, dass sich die mühsam errungenen Kompromisse wie in der Zukunftskommission Landwirtschaft oder im Strategischen Dialog in Luft auflösen, so Röder.
Dies würde dazu führen, dass Landwirte und Landwirtinnen nicht nur großen und zunehmenden Unsicherheiten auf den Märkten sowie bei Klima und Witterung ausgesetzt wären, sondern auch infolge der Politikgestaltung.