Deutschlands Energiemix wird sich drastisch wandeln: Bis 2050 wird der Anteil der Energieimporte an der Primärenergieversorgung von 70 % auf 27 % sinken, wodurch Deutschland deutlich unabhängiger von ausländischer Energie wird. Kohleimporte werden um 99 % fallen, Ölimporte um 79 %. Deutschland wird bis 2050 46 % seines Energiebedarfs durch Strom decken – das ist mehr als das Doppelte des heutigen Anteils von 19 %. Das zeigt der erste „Energy Transition Outlook Deutschland“ des Beratungs- und Dienstleistungsunternehmens DNV.
DNV hat als unabhängiger Experte für Energie und Sicherheit sein globales Fundamentalmodell erstmals auf Deutschland angewendet – unter Berücksichtigung neuester Technologietrends und politischer Entwicklungen. Die Besonderheit dabei: Im Gegensatz zu den meisten Energie-Analysten stellt DNV in diesem Bericht nicht mehrere Szenarien dar oder orientiert an den Zielen und erklärt, wie sich diese erreichen lassen. Stattdessen präsentieren die Analysen eine Prognose, in der sie die aus ihrer Sicht wahrscheinlichste Entwicklung der Energieversorgung in Deutschland auf Basis erwartbarer politischer Begebenheiten, technologischer Fortschritte und damit verbundener Kosten darlegen.
Wichtige Entwicklungen
Deutschland macht bei der Umgestaltung seiner Energielandschaft große Fortschritte, doch seine Emissionen wird das Land nicht wie geplant reduzieren können: Der CO2-Ausstoß wird bis 2045 um 89 % sinken und um 95 % bis 2050 (Vergleichsjahr: 1990). Die Politik steht damit vor der Herausforderung, diese verbleibende Lücke zu schließen.
Der Studie zufolge wird Deutschland bis 2050 46 % seines Energiebedarfs mit Strom decken – das ist mehr als das Doppelte des heutigen Anteils von 19 %. Dadurch wird die Effizienz des Energiesystems erheblich steigen und der Primärenergieeinsatz im Vergleich zu heute um 33 % sinken.
Die Elektrifizierung wird durch sinkende Kosten für neue Technologien wie Energiespeicher und Wärmepumpen sowie politische Maßnahmen wie den CO2-Preis vorangetrieben. Die Stromerzeugungskapazität wird sich bis 2050 auf 1.000 TWh verdoppeln – 90 % davon werden aus erneuerbaren Energien stammen.
Weitere Ergebnisse
Politische Rahmenbedingungen und sinkende Technologiekosten werden die Elektrifizierung vorantreiben. Bis 2050 werden weniger als 3 % der Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren fahren, ein Drittel der Haushalte wird mit Wärmepumpen heizen, und fossile Brennstoffe werden nur noch ein Zehntel der Energie in der Industrieproduktion liefern.
Angesichts des geplanten Kohleausstiegs bis 2038 und einer steigenden Residuallast wird die Verfügbarkeit gesicherter Leistung in den 2030er Jahren eine entscheidende Rolle spielen. Daher werden bis 2050 neue H2-fähige und im Übergang erdgasbetriebene Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 42 GW entstehen.
Deutschland wird seine Ausbauziele für erneuerbare Energien für 2045 verfehlen: Es werden 325 GW Solar-PV erreicht (Ziel: 400 GW), 142 GW Onshore-Wind (Ziel: 160 GW) und 66 GW Offshore-Wind (Ziel: 70 GW).
2050 wird die Nachfrage nach Wasserstoff und seinen Derivaten als Energieträger auf 250 TWh/Jahr steigen, angetrieben vor allem durch die schwer elektrifizierbaren Bereiche der Industrieproduktion und des Verkehrs. Die Erdgasnachfrage wird bei 290 TWh liegen.
Der Anteil von Biomethan im deutschen Gasnetz wird von heute rund 1 % auf 27 % im Jahr 2050 steigen und damit 77 TWh der 290 TWh des Gasangebots ausmachen.
Die H2-fähigen Kraftwerke werden bis 2050 nur begrenzt mit Wasserstoff betrieben, da die Kosten im Vergleich zu Erdgas hoch bleiben.
Die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) wird bei der Erreichung dieser Ziele eine Schlüsselrolle spielen: Deutschland wird bis 2050 jährlich 36 Mio. Tonnen CO2 abscheiden — das entspricht 43 % der verbleibenden energiebezogenen Emissionen.
Positive Aussichten für Biomethan
Anders, als viele andere Studien aus Deutschland sieht DNV auch Potenzial für Biogas und Biomethan. DNV geht davon aus, dass der Anteil von Gasheizungen an allen neu installierten Anlagen von heute 40 % auf 15 % 2050 sinken wird. Da eine Gasheizung in der Regel eine Lebensdauer von 15 Jahren hat, wird jedoch auch dieser geringere Anteil zur Trägheit des Systemwechsels beitragen und die Energiewende verlangsamen. Diese Gasheizungen werden jedoch gleichzeitig die Nachfrage nach Biomethan ankurbeln, welches die einzige Energiequelle ist, die konventionelle Heizsysteme in unserem Prognosezeitraum dekarbonisieren kann. DNV erwartet, dass der Anteil von Biomethan am Heizenergiebedarf von heute 3 % auf 27 % im Jahr 2050 steigen wird. Biomethan wird für die Heizungswende entscheidend sein, auch weil Wasserstoff für diesen Zweck zu teuer bleiben wird.
Bedeutung der Bioenergie bleibt
Die Bedeutung der Biomasse als Primärenergieträger hat in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen. Ihr Anteil stieg laut DNV von 2 % im Jahr 2000 auf 13 % 2024 und ist damit nach Erdöl, Kohle und Erdgas der viertgrößte Primärenergieträger. Dieser Trend wird sich bis 2050 fortsetzen, wenn Biomasse nach der Prognose von DNV einen Anteil von 20 % erreichen wird. Bis 2040 wird sie mehr Energie liefern als Erdöl und mit 1.500 PJ/Jahr genauso viel Energie bereitstellen wie jeweils Erdgas und Solarenergie. Die Nachfrage nach Biomasse wird bis 2030 um 10 % auf 1.700 PJ/Jahr steigen und danach bis 2050 langsam, aber kontinuierlich zurückgehen.
Biogas bietet laut DNV eine verfügbare und skalierbare Lösung zur Überbrückung der „Klimalücke“ während des großflächigen Ausbaus der Wasserstoffinfrastruktur. Es ist eine erneuerbare Alternative zu Erdgas und damit eine bereits heute weitgehend verfügbare Option zur Dekarbonisierung der Stromerzeugung. Die Vielseitigkeit von Biogas und seine Kompatibilität mit der bestehenden Erdgasinfrastruktur machen es zu einer wichtigen Ressource für die Reduzierung von Treibhausgasemissionen.
Kein Standortnachteil
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist: Die Energiepreise werden keinen Standortnachteil für die Industrie bringen. Energieintensive Branchen benötigen allerdings Unterstützung, um ihre Geschäftsmodelle gezielt auf Energieeffizienz, Elektrifizierung und CO2-Abscheidung (CCS) auszurichten. Nach den jüngsten Rekordpreisen für Energie werden diese Industrien in Zukunft zudem von fallenden Strompreisen profitieren. Wer Flexibilität in seinen Prozessen ermöglicht, kann zusätzlich profitieren.
Remi Eriksen, Group President und CEO von DNV, betont: „Die große Frage ist, ob all diese Vorteile zu vertretbaren Kosten erreicht werden können. Angesichts der außergewöhnlich hohen Gas- und Strompreise, die Deutschland in jüngster Zeit erlebt hat, bestehen hier natürlich Bedenken. Unsere Analyse zeigt jedoch: Die Energiewende ist für Deutschland bezahlbar.”
Zum Nachlesen
Den 140-seitigen Report können Sie kostenlos herunterladen: https://www.dnv.de/eto-germany/
DNV entstand im Jahr 2013 durch einen Zusammenschluss der zwei führenden Klassifikationsgesellschaften Det Norske Veritas (Norwegen) und Germanischer Lloyd (Deutschland). Das Unternehmen mit Stammsitz in Norwegen hat auch eine deutsche Tochter: Die DNV Energy Systems GmbH sitzt in Hamburg (www.dnv.com)