Einloggen / Registrieren

Startseite

Schlagzeilen
Meinung & Debatte
Newsletter
Messen & Termine
Themen
Wir für Euch
Heftarchiv
Sonstiges

Bundestagswahl 2025 Maul- und Klauenseuche Gülle und Wirtschaftsdünger

topplus 10 Jahre Initiative Tierwohl

ITW: Erfolgsstory oder nur Zwischenlösung?

Die Initiative Tierwohl ist bei Schwein und Geflügel heute der Standard. Geschäftsführer Robert Römer erklärt, warum die deutsche Landwirtschaft das System auch weiterhin braucht.

Lesezeit: 6 Minuten

Vor 10 Jahren ging die Initiative Tierwohl (ITW) an den Start. Heute ist sie zumindest bei Schwein und Geflügel Standard. Aber wie geht es nun weiter mit dem Programm? top agrar hat zum Jubiläum den Geschäftsführer Robert Römer zur Zukunft befragt.

Herr Römer, Sie haben die Entstehungsgeschichte der Initiative Tierwohl von Anfang an mit begleitet. Hand aufs Herz! Hätten Sie gedacht, dass die ITW 10 Jahre übersteht?

Römer: Die ITW war von Anfang an als Programm für die Breite des Marktes gedacht. Wir mussten die Rahmenbedingungen also massentauglich machen. Ich gebe zu, bei allen Partnern der Wertschöpfungskette ist dabei viel Schweiß und Geld geflossen. Wir durften keine halben Sachen machen, um nicht in der Nische zu landen. Dabei gab es zwischendurch auch viel Gegenwind. Aber ich kannte den ersten ITW-Geschäftsführer Alexander Hinrichs schon damals gut und wusste: mit ihm haben wir diesen langen Atem!

Was waren die kritischsten Phasen?

Römer: Der öffentliche Druck auf die Branche war Anfang der 2010er-Jahre immens. Alle wollten mehr Tierwohl: Politik, NGOs und nicht zuletzt die Verbraucher. Doch bezahlen wollte das von den Genannten schon damals niemand. Als die ITW dann 2014 an den Start ging, hieß es nicht selten: „… das reicht alles nicht aus.“ Kritisch war es vor allem zu Beginn: Denn niemand wusste, was Landwirte im Stall umsetzen können und welche Elemente für mehr Tierwohl sorgen. Zudem war anfangs das Budget zu niedrig, sodass die Einzelhändler nachbessern mussten. Außerdem fehlte zu Beginn eine Produktkennzeichnung und beim Anforderungskatalog gab es in den ersten Jahren zu viele Wahlmöglichkeiten. Das haben wir alles überwunden.

Wie gut ist die ITW heute aufgestellt?

Römer: Diskussionen und nörgeln an der ITW gibt es auch jetzt. Betrachtet man die Zahlen, dann kann man nur zu einem Schluss kommen: Die ITW ist eine Erfolgsgeschichte! Über 12.000 Landwirte machen mit. Fast 90 % der Hähnchen und Puten sowie über 60 % der Mastschweine in Deutschland profitieren vom ITW-System. Bislang sind ungefähr 1,5 Mrd. € in Richtung Landwirtschaft geflossen – ohne einen einzigen Cent Steuergeld. Zudem haben wir ein einzigartiges Netzwerk geschaffen, in dem alle Beteiligten aus Landwirtschaft, Fleischwirtschaft und Handel für die gesamte Kette Lösungen für mehr Tierwohl entwickeln.

Trotzdem wird doch der Platz zwischen staatlicher Kennzeichnung und Haltungsform 3 als neuen Standard im LEH enger. Ist ITW doch „nur“ eine Art Brückentechnologie?

Römer: ITW ist keine Brückentechnologie. Seit zehn Jahren ist sie die einzige Lösung, die breitenwirksam mehr Tierwohl in den Markt bringt. Natürlich gibt es Herausforderungen, aber bei Rückschlägen darf man nicht sofort den Kopf in den Sand stecken und aufgeben. Das ist seit zehn Jahren unser Tagesgeschäft.

Unsere Philosophie ist: kleine Schritte bei gesicherter Finanzierung.

Sehen Sie die staatliche Kennzeichnung und die Haltungsform 3 nicht als Konkurrenz?

Römer: Nein! Bei der staatlichen Haltungskennzeichnung arbeiten wir gemeinsam mit der Landwirtschaft daran, bei Schwein die Stufe „Stall + Platz“ zu erreichen. Und wenn das einmal geschafft ist, kann niemand behaupten, die ITW-Landwirte wollten nicht mehr Tierwohl. Es ist dann gewissermaßen vom Staat bestätigt. Und bei den Zielen des LEH in Sachen Haltungsform 3 muss man abwarten. Wir prüfen derzeit, inwieweit wir im Sinne der Bauern unterstützen können. Klar ist aber auch: Deutschland ist keine Insel und bei einer schwächelnden Wirtschaft ist eine breitenwirksame Verschiebung in Stufe 3 eine Herkulesaufgabe. Ohne die ITW wird das schon gar nicht gelingen.

Dem LEH trauen viele Bauern nicht über den Weg. Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit den Händlern?

Römer: Nun ja, 10 Jahre Treue und die bereits investierten 1,5 Mrd. € sprechen für sich, finde ich. Es wird immer Meinungsverschiedenheiten und Herausforderungen geben, daran besteht kein Zweifel. Entscheidend ist, dass sich alle Beteiligten am Ende zusammenreißen und die gemeinsame Sache nicht aus dem Blick verlieren.

Was würde passieren, wenn eine Handelskette ausschert?

Römer: Das wäre eine große Herausforderung! Umso wichtiger ist es gemeinsam hart daran zu arbeiten, die ITW weiterzuentwickeln und die gute Zusammenarbeit zu festigen.

Wo sehen Sie die ITW 2030?

Römer: Wir wollen die ITW Rind auf ein stabiles Fundament stellen. Im Jahr 2030 sind wir mit Rind hoffentlich dort, wo wir auch mit Schwein und Geflügel stehen. Bei Schwein und Pute haben wir dann die durchgängige Nämlichkeit erreicht. Zudem sehe ich die Finanzierung in fünf Jahren breiter aufgestellt, sodass nicht nur über den LEH, sondern auch über die Gastronomie die Mehrerlöse erwirtschaftet werden. Mit dean&david, Wienerwald und natürlich McDonald’s ist der Anfang gemacht. Doch bisher zögern noch viele Gastronomen beim Bekenntnis zu mehr Tierwohl.

Die ITW wird in Gremiensitzungen vonseiten der Tierschützer immer wieder unter Druck gesetzt, denn diese fordern deutlich höhere Auflagen. Viele Bauern wollen da nicht mehr mitgehen. Welche Entwicklung erwarten Sie?

Römer: In den ITW-Gremien sitzen keine Tierschutzorganisationen. Eines ist aber sicher: Die ITW wird in kleinen Schritten vorgehen und nur dann die Kriterien verschärfen, wenn die Mitglieder, die die Lebensmittelkette repräsentieren, den Änderungen zustimmen. Übersetzt heißt das: Die Auflagen müssen für den Großteil der Landwirte praktikabel und die Finanzierung sicher sein. Im Fall der Anpassung an das staatliche Tierhaltungskennzeichen hatten wir allerdings keine Wahl. Es waren keine einfachen Entscheidungen in den Gremien. Ohne die Anpassung wäre die ITW in die niedrigste Stufe der staatlichen Kennzeichnung gefallen. Das wäre der Tot gewesen! Ungeachtet dessen bleibt unsere Philosophie: kleine Schritte bei gesicherter Finanzierung.

Inwieweit würde die ITW mitgehen, wenn die Vorgaben bei der staatlichen Kennzeichnung erhöht würden - beispielsweise von 12,5 auf 15 % mehr Platz?

Römer: Sollte es von staatlicher Seite entsprechende Anforderungen geben, würden wir wie bisher auch gemeinsam mit den Vertretern der Lebensmittelkette darüber beraten, wie damit umzugehen ist und was für die Schweinehalter noch umsetzbar wäre.

Die Bauern können die Preise mit ihren Abnehmern frei aushandeln.

Der Bonus ist mittlerweile nur noch eine Preisempfehlung. Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Bauern nicht auf den Kosten sitzen bleiben?

Römer: Die Empfehlung gilt schon seit Juli 2021 und ist nicht neu. Allerdings haben wir das System so aufgebaut, dass der Handel seine Absicht erklärt hat, das Sortiment umzustellen. Das wiederum sichert die Nachfrage. Gemeinsam mit der Aufpreisempfehlung entsteht so ein Maximum an Planungssicherheit im Rahmen dessen, was kartellrechtlich machbar ist. Man kann es auch positiv sehen. Die Bauern können die Preise mit ihren Abnehmern frei aushandeln. Wenn der Markt es hergibt, sind somit Aufpreise über der Empfehlung möglich.

Ist das nicht Wunschdenken? Rund 600 Schweinemäster haben zu 2025 die ITW-Teilnahme aufgekündigt, auch weil es sich für sie mit den höheren Auflagen (u.a. 12,5 % mehr Platz) nicht mehr rechnet.

Römer: Das sind tendenziell eher kleine Betriebe. Trotzdem ist es schade! Der Grund dürfte meistens die Notwendigkeit der Buchtenstrukturierung sein. In Bezug auf das Gesamtsystem ist das aber ohne größere Auswirkungen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob bei allen Betrieben bereits das letzte Wort gesprochen ist.

Sehen Sie bei ITW Rind wirklich noch eine Chance auf einen Durchbruch?

Römer: Auf jeden Fall! Denn nicht alle Betriebe können den Schritt in die Haltungsform 3 mal eben realisieren. Der Zwischenschritt über die ITW Rind ist daher für viele Betriebe wichtig und auch für den Markt langfristig interessant. Das Gleiche gilt übrigens auch für Geflügelfleisch. Wir gehen davon aus, dass Haltungsform 3 an Bedeutung gewinnt. Dennoch wird auch langfristig ITW der wichtigste Partner an der Seite der Bauern sein.

Ihre Meinung ist gefragt

Was denken Sie über dieses Thema? Was beschäftigt Sie aktuell? Schreiben Sie uns Ihre Meinung, Gedanken, Fragen und Anmerkungen.

Wir behalten uns vor, Beiträge und Einsendungen gekürzt zu veröffentlichen.

Mehr zu dem Thema

top + Wissen, was zählt.

Voller Zugriff auf alle Beiträge, aktuelle Nachrichten, Preis- und Marktdaten - auch in der App.

Wie zufrieden sind Sie mit topagrar.com?

Was können wir noch verbessern?

Weitere Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

E-Mail-Adresse

Vielen Dank für Ihr Feedback!

Wir arbeiten stetig daran, Ihre Erfahrung mit topagrar.com zu verbessern. Dazu ist Ihre Meinung für uns unverzichtbar.