Wer durch den leerstehenden Sauenstall von Familie Beermann geht, spürt schlagartig, wie entschieden der Betrieb bei Neustadt am Rübenberge nördlich von Hannover auf links gedreht wurde. Irgendwo hört man jemanden bohren, es riecht nach frischer Farbe. Im verschachtelten Altgebäude gibt es Buchten, die abgesehen von ein paar Spinnenweben morgen wieder Sauen beherbergen könnten. Eine Tür weiter liegen Kühlräume mit Wurstwaren von Wild, Schwein und Hochlandrind sowie moderne Schlachtkammern. Die Zuchtsauen verließen allesamt den Hof. Heute finden sich Duroc-Schweine, Damwild, Hochlandrinder und Freilandhähnchen auf dem Betrieb.
Direktvermarktung als neues Standbein
Familie Beermann hat aus einem klassischen Sauenbetrieb mit 650 Sauen innerhalb weniger Jahre einen Hof gemacht, der zu 100 % auf Direktvermarktung setzt. „Früher hatten wir gar keinen Kontakt zum Endkunden. Inzwischen ist das Gegenteil der Fall und wir leben von der Kundennähe“, sagt Laura Beermann, 22 Jahre, Agrarstudentin und künftige Hofnachfolgerin. Die Gründe, die den Betrieb in die Umstellung und Umnutzung der Gebäude trieben, waren wie bei vielen anderen Sauenhaltern zahlreich.
Der Hof der Familie Beermann ist heute zweigeteilt: Zum einen gibt es den landwirtschaftlichen Betrieb mit Ackerbau auf rund 100 ha und Tierhaltung, zum anderen die Direktvermarktung mit Schlachtung, Verarbeitung und Verkauf. Im Einsatz ist die ganze Familie: Vater Arndt (46), Mutter Silke (57), Laura und ihre Schwester, der Großvater sowie ein fest angestellter Mitarbeiter stemmen den neuen Alltag. Dass alle drei Generationen zusammenhalten, ist hier die tragende Säule des Konzeptes.
Erst Wachstum, dann Sackgasse
Noch vor zwei Jahrzehnten schien alles auf Expansion ausgelegt. Arndt Beermann übernahm 2005 den Betrieb. Schon zuvor hatte er die Sauenhaltung mit Ferkelaufzucht von 120 auf 400 Tiere hochgefahren und zwei neue Ställe im Außenbereich gebaut. 2007 folgte eine neuer Ferkelaufzuchtstall, 2014 eine umfassende Erweiterung auf 650 Sauen. „Das war es, was ich in der Schule gelernt hatte: Spezialisieren, wachsen, effizienter werden“, sagt Arndt rückblickend.
Leidenschaft für Damwildhaltung als Türöffner
Vielleicht begann der Ausstieg bereits im selbem Jahr - 2014 stieg die Familie in die hobbymäßige Haltung von Damwild ein. Auf 2,5 ha hinter den Sauenställen im Außenbereich errichtete Arndt ein Gehege. Seine Passion für die Tiere ist deutlich sichtbar: Damhirsche zieren das Grundstück, das Logo und die Fahrzeuge des Hofes. Als es die Vermarktung des Wildfleisches ging, realisierte die Familie: „Uns liegt das Vermarkten – es macht uns sogar Spaß.“ Parallel stockten Beermanns seit 2020 die Sauenhaltung ab, um den Anforderungen der Initiative Tierwohl nach mehr Platz gerecht zu werden. So wuchs die Idee, den Sauenbestand langsam herunter zu fahren und dafür Kapazitäten für die Direktvermarktung zu haben, damals mit Damwild und Gänsefleisch im Angebot. In dieser Zeit zogen die ersten Duroc-Schweine ein.
Gründe für den Ausstieg aus der Sauenhaltung
Für Arndt häuften sich nach und nach die Probleme. Der politische Druck durch den nötigen Ausbau des Deckzentrums und der Forderung nach freier Abferkelung wuchs. „Wir hätten Millionen investieren müssen. In unseren bestehenden Gebäuden war das nicht darstellbar“, so der Betriebsleiter. Gleichzeitig wurde es immer schwieriger, Personal zu finden. „Wenn ich keinen Mitarbeiter habe, kann ich rund um die Uhr arbeiten und schaffe es trotzdem nicht“, sagt er.
Ausschlaggebend waren 2021 schließlich der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest sowie der Marktzusammenbruch durch die Corona-Krise – und das überraschende Angebot, den Hofladen der Schwägerin nahe Hannover zu übernehmen. Als Betriebsleiter musste er entscheiden: Steigt er groß in die Direktvermarktung ein oder hält er an der Sauenhaltung fest und investiert weiter? „Da haben wir gesagt: Jetzt oder nie“, so der Landwirt.
Kehrtwende trotz Risiko
Finanziell war der Wandel nicht ohne Risiko. Zwar hatte die Familie die Direktvermarktung bereits 2020 und 2021 aufgebaut, doch Altlasten aus der Zeit der Sauenhaltung liegen weiter auf dem Betrieb. „2014 hatten wir erst investiert. Der eine Kredit läuft aktuell noch über zehn Jahre“, sagt Arndt.
Damals erzielte der Betrieb mit 650 Sauen zwar einen Millionenumsatz – allerdings lagen die Gewinnmargen im Keller. Heute ist das Umsatzvolumen kleiner, aber die Gewinne deutlich höher. Trotzdem ist es schwieriger, hohe Kapitaldienste zu erhalten. „Das war ein Sprung ins kalte Wasser – aber wir wollten aussteigen, bevor uns die freie Abferkelung endgültig gezwungen hätte“, sagt er. Denn zuletzt habe man pro Ferkel 20 € draufzahlen müssen.
Duroc-Schweine und Schottische Hochlandrinder ziehen ein
Im Jahr 2021 stellten sie also die Sauenhaltung ein. Nur die Duroc-Schweine blieben. Die zwölf Sauen leben heute in offenen, stroheingestreuten Buchten in den Ställen im Außenbereich. Arndt Beermann hatte zwar versucht, einen Stall zu verpachten, jedoch war auch das nicht von Dauer. Also stehen heute einige Teile leer. „Dafür haben die Schweine viel Bewegungsfreiheit und das Fleisch ist herausragend“, so Tochter Laura. Aufstocken wollen sie trotz potenziellem Platz erst einmal nicht, damit die Vermarktung in eigener Hand bleibt. Aktuell bringen sie wöchentlich das Fleisch von zwei bis drei Schweinen an ihre Kunden.
Familie Beermann setzt auf robuste Tierarten und ein großes Platzangebot. Den Betrieb ergänzen vierzehn Mutterkühe und ihre Nachzucht, die ganzjährig auf verschiedenen Winter- und Sommerweiden leben. Die Wahl fiel auf Schottische Hochlandrinder, weil sie händelbar und menschenbezogen sind. Zudem kommen sie ohne Stall aus und sind „richtige Hingucker für die Kunden“, wie Laura sagt.
Auch die Damwildhaltung stockten sie auf. Im 4 ha großen Damwildgehege leben 25 Muttertiere mit ihrer Nachzucht und zwei Hirsche. Zwischen September und November entnimmt Arndt Beermann die Jährlinge per Weideschuss. Das Fleisch wird verarbeitet und je nach Saison verkauft – etwa als Wildgulasch oder -bratwurst. Aktuell bauen sie einen Wildschlachtbereich in den alten Sauenstall, um künftig auch diesen Schritt selbst durchführen zu können.
Gänse, Flugenten und Freilandhähnchen erweitern das Sortiment
Die 300 Gänse und 350 Flugenten sind vor allem zur Weihnachtszeit beliebt. Rund 60 Hähnchen schlachtet die Familie pro Woche – sie zählen zu den Bestsellern im Sortiment. Im alten Sauenstall hat die Familie einen Schlachtraum dafür eingerichtet. Die Küken wachsen in den ersten 14 Tagen auf den ehemaligen Wärmeplatten des Abferkelstalls auf. Weil sie so gut wie alle Umbaumaßnahmen selbst durchführen konnten und nötiges Zubehör gebraucht kauften, beliefen sich die Kosten für den Umbau auf rund 25.000 €. Das Veterinäramt bezog die Familie frühzeitig ein: „Wir haben unsere Pläne vorgestellt, die Anforderungen übernommen und direkt so gebaut. Das lief reibungslos“, so Arndt Beermann.
Neue Anforderungen an den Betriebsleiter: Verarbeitung und Öffentlichkeitsarbeit
Den Ackerbau realisiert Arndt fast komplett über einen befreundeten Landwirt, damit er sich der Vermarktung und Tierhaltung widmen kann. Viele der neuen Aufgaben haben nichts mehr mit der klassischen Landwirtschaft zu tun. Er sagt: „Wir mussten extrem viel lernen. 20 Jahre lang habe ich auf dem Trecker gesessen, im Stall gestanden oder mal im Büro gearbeitet. Aber direkten Kontakt zum Endverbraucher hatte ich eigentlich nie.“
Der klassische Betriebsablauf sieht heute so aus: Dienstags Geflügel schlachten, mittwochs zerlegen, inkl. Schweine- und Rindfleisch, das vom Schlachter kommt. Donnerstags bis samstags laufen die Märkte und die Hofläden sind geöffnet. Nebenbei betreibt die Familie eine gut besuchte Kaffee-Ecke im Innenhof, betreut den Onlineshop und liefert ihre Waren an drei Wiederverkäufer. Für die Kundenkommunikation organisieren sie Planwagenfahrten zu den Tieren. Ein neues Warenwirtschaftssystem soll Ordnung in die zahlreichen Bestellkanäle bringen. Denn die zu überblicken, sei zurzeit eine der größten Herausforderungen.
Kundennähe und Transparenz rechtfertigen die Preise
Was die Familie besonders motiviert, ist die neue gesellschaftliche Anerkennung. „Früher wurden wir kritisiert und angefeindet, jetzt freuen sich die Leute auf den Besuch bei uns“, sagt Silke. Die gebotene Transparenz schaffe mehr Verständnis – zumindest für die Kunden, die sich mit Ernährung und Tierhaltung wirklich auseinandersetzen. Die Devise der Familie: Kunden mitnehmen, ihre Geschichte erzählen. Denn: „Nur wer versteht, warum ein Produkt mehr kostet, ist bereit, es zu bezahlen.“
Schritt für Schritt wollen Beermanns das Sortiment erweitern. Bolognesen, Rouladen und Gulasch im Glas sind in Planung. In ihrer Bachelorarbeit plant Laura außerdem den Ausbau der Hofstelle ihrer Tante. Streichelzoo, Kinderspielplatz, Blumenfelder – Ideen gibt es genug.